Innsbruck und Grenoble. Die Grünen und die anderen Grünen. Was anmutet wie eine Liebesgeschichte ist in Wahrheit eine über ein kompliziertes, von Grünparteien in ganz Europa verstreutes Pot-Puri.
Von THOMAS HÖRL
Auf der einen Seite sind es die irischen und österreichischen Grünen, die konservativ-nationalen Parteien als Steigbügelhalter zum Machterhalt dienen. Auf der anderen Seite sind es die französischen Grünen, die mit linken und kommunistischen Parteien entweder zum Wahlerfolg selbst kommen, oder eben sozialistischen Kräften zum Erfolg verhelfen. Europäisch gesehen sind die Grünen Montagues und Capulets. Auf der einen Seite solidarische Politik, auf der anderen Seite knallharte Verteidiger*innen des Establishments und der Profitinteressen. Am besten lässt sich das illustrieren an den beiden Partnerstädten Innsbruck und Grenoble.
Ein grüner Erfolg in Frankreich! Ein grüner allein?
Die Grünen haben in Frankreich einen regelrechten Wahlerfolg eingefahren. Große Städte wie Strasbourg, Lyon, Besançon, Bordeaux, Marseille und viele andere wurden grün eingefärbt. Nur grün? Nein, denn die Grünen in Frankreich haben unlängst Partner*innenschaften mit linken Kräften wie etwa Sozialist*innen oder Kommunist*innen. Dort, wo die Grünen nicht den Maire stellen, verhalfen sie sozialistischen Kräften ins Amt, wie zum Beispiel Anne Hidalgo in Paris.
Auch Grenoble ist ein interessantes Beispiel. 2014 wurde dort der erste Grüne, Éric Piolle, zum Bürgermeister. Piolle ließ sich etwa nicht auf Konservative, Wirtschaftsliberale oder gar beide ein. Piolle ist in einer linken Koalition.
Keine Koalition des kleinsten Kompromisses
Piolle ist nicht alleine mit den Grünen. Er tritt mit der Plattform »Grenoble en Commun« an. Diese ist eine Koalitionsplattform aus 13 Parteien. Darunter die Grünen, La France Insoumise, die kommunistische Partei, die antikapitalistische Plattform Ensemble! sowie Generation s. Ziel war »eine Einigung des gesamten humanistischen Flügels«, wie es Piolle selbst betont. Fast jede*r ist dabei, selbst die halbe sozialistische Partei. Die andere Hälfte befindet sich in einem Sammelbecken aus Liberalen wie La Republique en Marche und rechten Ideologen.
In der Vorstellung der Bewegung heißt es: »Wir wollen weiterhin eine unterstützende, einladende Stadt aufbauen, die die Auswirkungen der globalen Erwärmung antizipiert und ihre Ursachen reduziert. Eine Stadt, die um das Wohlbefinden und die Gesundheit ihrer Bewohner*innen besorgt ist, durch die Qualität unserer Lebensmittel, der Luft, die wir atmen, aber auch durch die Erhaltung der uns umgebenden biologischen Vielfalt. Eine Kultur- und Bürger*innenstadt, in der jede*r ermutigt ist, sich auszudrücken und zu handeln.«
In Grenoble regiert eine Stadtverwaltung, die nicht auf den kleinsten gemeinsamen Nenner setzt, sondern gemeinsam Ziele verwirklicht. Einzelne Parteien reklamieren keine Mandatar*innen für sich, sondern es handelt sich um die Mehrheit einer gemeinsamen Plattform. Insgesamt hält Grenoble en commune 42 der 59 Sitze, und niemand war in der letzten Periode aus der Regierung ausgeschieden. Im Zentrum der Koalition sollte der Kampf für Gleichheit, Freiheit, Feminismus, Solidarität sowie der Kampf gegen jegliche Diskriminierung stehen. Die Resultate der letzten Periode sowie das Programm der Plattform lassen sich sehen.
Eine fortschrittliche Wohnpolitik
Ein primäres Anliegen vor 2014 war es, für die Bewegung leistbares Wohnen zu garantieren. Dafür wollte man vor allem den Gemeindebau ausbauen. Grenoble en commun hatte es sich zum Ziel gemacht, den Anteil der Gemeindewohnungen zu verfünffachen. Bis 2030 sollten 30 Prozent der Grenbobler*innen im zentralen, ökologisch-nachhaltigen und leistbaren Gemeindebau leben. Vor allem Menschen mit einem geringen Einkommen sollten davon profitieren.
Ein zweiter herausragender Schritt war das Experiment, leerstehende Wohnungen, die kurz vor dem Abriss stehen, durch die Stadt besetzen zu lassen und temporär Obdachlose unentgeltlich darin wohnen zu lassen. Das galt vor allem für jene Bauorte, wo teure Immobilienprojekte entstehen sollten.
»0 Carbon« – eine sozialökologisch-transformative Politik
Piolle ist Grüner – das spürt man auch in der Stadt. Eine erfolgreiche Kampagne seitens der Stadtverwaltung selbst lief unter dem Motto »Bäume statt Werbung« (frei übersetzt). Grenoble hatte alle kommerziellen Werbeplakate in der Stadt verboten. Über diese hatte sich nämlich eine private Firma bereichert. Stattdessen ließ Piolle Bäume pflanzen, um die Lebensqualität der Grenobler*innen zu erhöhen.
Aber die Klimapolitik Piolles geht noch weiter. Piolle und seine Koalition wollen Grenoble zur grünen Hauptstadt machen. Dabei unternimmt die Stadtregierung zahlreiche weitere Begrünungsmaßnahmen bei historischen Stätten und Sehenswürdigkeiten und möchte aber zeitgleich den historischen Kern der Stadt bewahren. Klassisch baut die Regierung Fahrradwege aus, und bereits jede*r Fünfte nutzt das Rad als Transportmittel, um in die Arbeit zu kommen. Achtung, denn Piolle ist kein typisch grüner Radfetischist – seine Koalition möchte einen ticketfreien Nulltarif für den ÖPNV umsetzen. An Wochenenden fährt bereits jede Person unentgeltlich. Menschen mit einem geringen Einkommen fahren ohne Ticket. Die Koalition Piolles hat also einen solidarischen Nulltarif eingeführt. Zudem verbindet man die Klimafrage mit sozialer Gerechtigkeit. Bis 2030 soll die Industrie keinen Müll mehr produzieren, klimaneutral will man allerdings erst bis 2050 sein.
Solidarisches Corona-Krisen-Management
Auch die Coronakrise hat Piolles Kabinett solidarisch gemanagt. Schon vor dem Lockdown in Frankreich wurde in Grenoble ein Krisenstab ins Leben gerufen, um Essenslieferungen zu gewährleisten. Am selben Tag initiierte man die Nachbar*innenschaftsplattform »Voisin, Voisine«, um dort freiwillige Helfer*innen zu vernetzen. 2.500 Leute meldeten sich sofort an, um Nachhilfe zu geben, einzukaufen und andere gute Taten zu vollbringen. Ein Großteil der Nahrungsmittel wurde von diesen Freiwilligen verteilt. Auch versuchte Grenoble, kulturelle Events am Leben zu halten.
Diese Politik steht im krassen Gegensatz zu Emmanuel Macrons Kriegsrhetorik und der Inszenierung des französischen Präsidenten als General. In Grenoble haben unterdessen Bildung und Kultur – zwei in Frankreich sehr stark betroffene Bereiche – Priorität. Man wisse, dass gerade der Kulturbereich sich auch die nächsten Jahre nicht erholen werde. Piolle versichert aber in einem Interview mit dem Jacobin Magazin: »In Grenoble werden wir dabei sein, sie zu unterstützen, denn Kreativität, Künstler*innen, kulturelle Praktiken, Engagement und Neugier werden uns helfen, die Welt von morgen zu schmieden.«
Was Grenobles Partnerstadt in Österreich so macht – Parallelen, aber keine Schnittpunkte
Zwischen Grenoble und seiner österreichischen Partnerschaft gibt es zahlreiche Parallelen: Eric Piolle ist der erste grüne Bürgermeister, wenngleich ihn die Grünen nicht für sich reklamieren und er mit einer parteiübergreifenden Plattform antritt. Georg Willi ist ebenso der erste grüne Bürgermeister in Österreich. Grenoble und Innsbruck teilen sich das Interesse, möglichst viele Radwege auszubauen, wenngleich in Innsbruck eine gesamte stadtplanerische Strategie fehlt.
Wo aber Parallelen sind, da gibt es keine Schnittpunkte. Piolle und Willi sind grundverschieden: Piolle ist links sozialisiert worden, Willi kommt ursprünglich vom VGÖ – jene bürgerliche Grünbewegung, die sich positiv auf Konrad Lorenz bezog. Während in Grenoble die Mitbestimmung der/des Souverän/-in/-s im Vordergrund steht, werden in Innsbruck historisch gewachsene Bürger*innenbeteiligungsmechanismen ohne Ersatz gestrichen. Während Piolle die Interessen der Grenobler*innen voranstellt, hat in Innsbruck die Immobilien- und Tourismusindustrie Priorität: Die Billighotels schießen wie Pilze aus dem Boden und verdrängen bezahlbaren Wohnraum. Immobilienspekulanten werden auf allen Ebenen bedient und erhalten großzügige Bebauungsplanänderungen, damit sie ihre Wohnungen leer stehen lassen können. Obdachlose werden mit punitiven Maßnahmen aus der Innenstadt verdrängt, damit wohlbetuchte Tourist*innen durch das Konsum-Disneyland der Maria-Theresien-Straße schlendern können. Ein Gemeinschaftsgarten droht für einen oberirdischen Busparkplatz für Tourist*innenbusse ein gestampft zu werden. Auch von einer solidarischen Corona-Politik war keine Spur – Innsbruck hatte zum Teil die schärfsten Einschränkungen.
Was tun? In Österreich?
Ein linker Wait-and-See-Ansatz in Österreich ist kein verlässlicher Partner. Die gesamte Parteienlandschaft rückt hierzulande nach rechts. Darauf zu warten, dass ein*e Linke*r die Grünen hierzulande übernimmt, hat etwas Messianisches an sich. Die Linke muss sich als ersten Schritt kommunal in den Gemeinden und Städten verankern. So kann die Linke in Österreich stark werden. Das kann sie, wenn sie nicht von einer besseren Welt philosophiert, sondern klar materielle Bedürfnisse vertritt. Es gibt vier Städte, die eine erfolgreiche Linke haben: Innsbruck, Salzburg, Linz und Graz. Ein Patentrezept gibt es nicht, doch die Linke muss heraus aus den Wohlfühlzonen, die sie geschaffen hat, und hinein in die Konflikte. Der Diskurs lässt sich nur nach links verschieben, wenn wir selbstbewusst in Konflikte gehen und für jeden Zebrastreifen kämpfen, als wäre auf der anderen Seite der Sozialismus.