Alle und manche noch etwas mehr sind von Verboten und Verordnungen betroffen.
von MONIKA MOKRE und STEPHAN VESCO
»Einschränkungen sind notwendig, um Freiheit zu erlangen«, sagte Bundeskanzler Kurz in einer seiner zahlreichen Pressekonferenzen der letzten Zeit. Dies klingt geradezu nach einer religiösen Botschaft – büße im Diesseits, um im Jenseits in das Himmelreich eintreten zu dürfen. Und ebenso wie die Botschaft vom Himmelreich weckt auch die des Kanzlers gewisse Zweifel daran, ob dieser Zustand tatsächlich je erreicht wird – und wenn ja, wann.
Unklare Festlegungen und Prognosen sind in Religionen üblich, denn hier ist nicht Wissen gefragt, sondern Glauben. Im demokratischen Rechtsstaat hingegen sollten die Regeln klar und auch verständlich sein – und wie Alfred Noll kürzlich in einem Standard-Kommentar festgestellt hat, Rechtsstaatlichkeit muss insbesondere in Krisenzeiten eingehalten werden, um nicht Gefahr zu laufen, sie auf Dauer zu verlieren.
Verbote von Zusammenkünften
Die rasch aufeinander folgenden Gesetze und Verordnungen der letzten Zeit orientieren sich allerdings nicht an diesem Prinzip. Schon die Verordnung, die eine allgemeine Betretungsbeschränkung für den öffentlichen Raum vorsieht, ging über den Gesetzestext weit hinaus, der nur erlaubt, das Betreten bestimmter Orte zu untersagen. In den Tagen vor Ostern wurde nochmals nachgeschärft. Ein Erlass des Gesundheitsministers vom 1. April ordnete die Durchführung eines bundesweiten Verbots auch von Zusammenkünfte in geschlossenen Räumen an (in Wien etwa mit Magistratsverordnung vom 3. April umgesetzt); allerdings explizit nur für den Fall, dass daran mehr als fünf nicht im gleichen Haushalt lebende Personen teilnehmen.
Dies führte zum einen dazu, dass sich die Bevölkerung verunsichert zeigte – war sie bisher doch, der Kommunikation der Bundesregierung folgend, davon ausgegangen, dass Zusammenkünfte in privaten Räumen ohnehin untersagt seien. Andererseits gab es Kritik daran, dass der § 15 des Epidemiegesetzes als Grundlage für die Verordnung herangezogen wurde. Diese Bestimmung sieht aber nur die Untersagung von Veranstaltungen vor, »welche ein Zusammenströmen größerer Menschenmengen mit sich bringen«. Damit werden kaum private Veranstaltungen gemeint sein.
In der Folge kündigte die Regierung einen Rückzieher an. In der Pressekonferenz vom 6. April äußerte sie, die bisher bestehenden Ausgangsbeschränkungen seien ausreichend, weil sich daraus bereits ein Verbot privater Zusammenkünfte mit nicht zum Haushalt gehörenden Personen ergeben würde. Der Erlass sei daher obsolet, so Anschober. Die entsprechende Verordnung des Wiener Magistrats wurde allerdings erst am 10. April aufgehoben.
Damit besteht auch nach wie vor keine direkte Handhabe der Polizei gegen Veranstaltungen in privaten Räumlichkeiten. Mit der Aufhebung der Verordnung ist ein Einschreiten der Exekutive jedenfalls nur mehr wegen Lärmerregung oder Anstandsverletzung zulässig. Eine zu Maßnahmen berechtigende Strafbarkeit wegen Corona wäre ausschließlich bei einem konkreten Verdacht auf eine Infektion wegen Gefährdung anderer gegeben. Das wurde selbst von Wiens Polizeipräsident Pürstl in einem Falter-Interview vom 8. April zugestanden.
Nicht unerwähnt bleiben soll aber, dass mit dem 3. Covid-Gesetz vom 6. April weitreichende Befugnisse zur Polizei hinsichtlich der bestehenden Einschränkungen im öffentlichen Raum geschaffen wurden.
Verlängerung des Zivildiensts
Vielfach problematisch sind auch die in der Coronakrise zur Anwendung kommenden Bestimmungen des Zivildienstgesetzes. Im Wesentlichen wurde dabei auf schon bestehende Vorschriften zum »außergewöhnlichen Zivildienst« zurückgegriffen, welche nun erstmals vollstreckt werden. Diese Form des Zivildienstes ist ausnahmsweise bei »Elementarereignissen, Unglücksfällen außergewöhnlichen Umfanges und außerordentlichen Notständen« vorgesehen. Zu seiner Ableistung kann die Verlängerung bestehender Zivildienste verfügt werden. Entsprechend wurden in der aktuellen Krise Zivildiener verlängert, deren Dienst an sich mit Ende März zu Ende gegangen wäre. Zusätzlich wurden jene eingesetzt, die sich auf den Aufruf der Regierung freiwillig gemeldet hatten.
Das Gesetz sieht nun allerdings eine ungleiche Bezahlung vor. Jene, die bereits Zivildienst leisten, erhalten zu ihrer üblichen Pauschalvergütung von € 346,70 nur einen Zuschlag von € 189,90, also € 536,60 insgesamt. Die freiwillig Gemeldeten erhalten hingegen zusätzlich zu den € 536,60 eine Entschädigung, wie sie einem Wehrpflichtigen zusteht, der einen Einsatzpräsenzdienst leistet, von € 1.140,34 netto. Gegen diese Ungleichbehandlung für gleiche Arbeit haben 60 Zivildiener bereits die Vorbereitung einer Klage veranlasst. Aller Wahrscheinlichkeit nach werden sie Recht bekommen.
Weiters besonders problematisch ist die Tatsache, dass sogar jene Zivildiener verlängert wurden, die selbst einer Risikogruppe angehören. Die Zivildienstserviceagentur empfiehlt den Betroffenen lediglich, »alle gesundheitlichen Einschränkungen« dem Vorgesetzten in der Einrichtung zu melden. Diese habe die gemeldeten Einschränkungen dann »im Sinn ihrer Obsorgepflicht« zu berücksichtigen.
Mit dem 2. Covid-Gesetz vom 21. März neu dazugekommen sind Bestimmungen für die Zuweisung von Zivildienern an bestimmte Einrichtungen, die festlegen, dass einer Beschwerde gegen die Zuweisung keine aufschiebende Wirkung zukommt. Das heißt, dass die Zivildiener einer Zuweisung unbedingt Folge zu leisten haben, jedenfalls solange das Verwaltungsgericht nicht über die Beschwerde entschieden hat. Wer sich weigert, muss wie bisher schon mit einer Geldstrafe von bis zu € 2.180 oder unter Umständen (wenn er sich dem Zivildienst überhaupt »entziehen« möchte) gar mit einer Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr rechnen. Das gilt wohlgemerkt auch für jene, die sich freiwillig gemeldet haben.
In den erläuternden Bemerkungen heißt es, dass man ein »unbürokratisches System« einführen wollte und weiters, dass »[all] dies im Lichte der obgenannten außerordentlichen Ereignisse selbst im Hinblick auf die damit verbundenen Beschränkungen der persönlichen Freiheit sowie der Freiheit der Erwerbstätigkeit sachlich gerechtfertigt erschein[en]« würde. Daran, vor allem an der Verhältnismäßigkeit, sind erhebliche Zweifel angebracht.
Schwer nachvollziehbar ist schließlich eine neue Bestimmung, welche es ermöglicht, auch gewinnorientierte Unternehmen als Träger des Zivildienstes anzuerkennen. Mit der bescheidmäßigen Anerkennung können diesen Zivildiener zugewiesen werden. Für diese fallen als Spesen dann lediglich die dem Bund zu erstattenden Kosten für den Einsatz der Zivildienstleistenden an, das heißt für verlängerte Zivildiener nur € 536,60 monatlich.
Situation in Gefängnissen
Und schließlich gibt es diejenigen, die schon vor der Krise nicht frei waren und auch danach keine Freiheit erwarten dürfen: InsassInnen von Gefängnissen. Das 2. Covid 19-Gesetz ermächtigt die Justizministerin unter anderem dazu, den Besuchsverkehr für die Dauer der vorläufigen Maßnahmen auf telefonische Kontakte zu beschränken. Es ist seit dem 22. März in Kraft. Am 23. und am 26. März erließ die Justizministerin Verordnungen, die diese Regelung umsetzen.
Zweifellos würde ein Ausbruch von Covid 19 in den beengten Verhältnissen einer Justizanstalt zu einer sehr kritischen Situation führen. Damit lässt sich der Entfall von Tischbesuchen argumentieren, doch zur Zeit gibt es auch keine Besuche hinter einer Glasscheibe – mit dem Argument, dass BesucherInnen die JustizwachebeamtInnen anstecken könnten, die ihrerseits dann den Virus in die Anstalt bringen. JustizwachebeamtInnen sind allerdings nicht interniert, sie haben in ihrer Freizeit ebenso viel – oder wenig – Kontakt mit anderen Menschen wie die gesamte Bevölkerung. Mittlerweile bestätigte Fälle einer Infektion bei JustizwachebeamtInnen und einem Häftling zeigen, dass es unmöglich ist, Justizanstalten von der Pandemie abzuschirmen. Auch nicht durch ein Besuchsverbot. Daher stellt sich die Frage, ob dieses totale Verbot notwendig und verhältnismäßig ist. Es gibt gute Gründe, beides zu verneinen, denn es gibt keinen sachlichen Grund, Gefangene aufgrund der Krise schlechter zu behandeln als andere, im Gegenteil sind sie eine Gruppe, deren wenige verbleibende Rechte besonders geschützt werden müssen. Das wird auch durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte bestätigt, wonach das Besuchsrecht in den Schutzbereich des Rechts auf Familienleben nach Artikel 8 der Menschenrechtskonvention fällt.
Die Justizministerin nennt Telefonie und Videotelefonie als Ersatz für die entfallenden Besuche. Dies ist einerseits offensichtlich kein auch nur annähernd vollwertiger Ersatz für die persönliche Begegnung. Und funktioniert andererseits auch nicht. Für Videotelefonie fehlen die technischen Einrichtungen; eine erhebliche Erweiterung der Telefonkontakte scheitert bisher in vielen Anstalten an der langsamen bürokratischen Umsetzung im Strafvollzug. Telefonzeiten hängen noch dazu von den finanziellen Möglichkeiten der Gefangenen ab, denn Telefonieren im Gefängnis ist sehr teuer. Und eine Übernahme der Telefonkosten durch den Staat, die im Vergleich zu allen anderen Hilfspaketen finanziell eher vernachlässigbar wäre, ist noch nicht einmal angedacht.
Auch könnte man der Gefahr des Corona-Ausbruchs im Strafvollzug mit anderen Maßnahmen begegnen. Etwa durch eine Reduzierung der Belegung der Anstalten: durch Aussetzung der Untersuchungshaft, vermehrte Entlassung auf Bewährung bei kurzen Strafen oder Strafresten, vermehrte Genehmigung von Fußfesseln. Letzteres wiederum mit finanzieller staatlicher Unterstützung, denn auch die Kosten für die Fußfessel können von vielen Gefangenen nicht aufgebracht werden. Auch von solchen Plänen haben wir bisher nichts gehört; allerdings wird wohl versucht, den Strafantritt von neuen Gefangenen aufzuschieben. Gleichzeitig wurden jedoch bereits gewährte und gesetzlich ebenso verankerte Vollzugslockerungen, wie Freigänge oder Ausgänge gestrichen, und bereits bewilligte Anträge auf elektronisch überwachten Hausarrest nicht umgesetzt, da es kein Personal gebe, um die Fußfesseln anzulegen.
Der Rechtsstaat braucht Kontrolle – auch und gerade in Krisenzeiten. An dieser Kontrolle fehlt es zur Zeit allgemein, noch mehr allerdings im Gefängnis, das von der Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet bleibt und in dem alle Möglichkeiten der Gefangenen, sich selbst zu organisieren – etwa in einer Gewerkschaft – untersagt sind.
Monika Mokre, Stephan Vesco sind Mitglieder der Solidaritätsgruppe für die Gründung einer Gefangenengewerkschaft Österreich.