Die Initiative Ne da(vi)mo Beograd verschafft sich mit Themen wie Bausünden, Luxusbauten, Bodenversiegelung, desolater Zustand des öffentlichen Verkehrs sowie der eklatanten Luftverschmutzung Gehör.
Ein Bericht von MICHAELA GINDL.
Überquert man die Belgrader Stadtgrenze, fällt der Blick zuerst auf die Bausünden aus Sozialismus und Kapitalismus, die teilweise vernachlässigt, sanierungsbedürftig wirken. Wohnburgen, Asphalt und Beton finden sich in Novi Beograd zuhauf. Zwischendurch architektonisch interessante Bauten wie etwa der Genex-Turm, daneben Konsum-Ungetüme wie das Ušće Shopping Center. Spätestens auf der vom Zahn der Zeit stark angenagten Brücke Brankov Most zeigt Belgrad allerdings seinen zeitlosen Charme, wenn sich die imposante jahrhundertealte Festung Kalemegdan über dem Ušće erhebt, der Stelle, an der die Sava in die Donau mündet. Die Boulevards mit ihren Prachtbauten, die Shopping- und Fortgehmeile Knez Mihajlova, das kulturelle Leben Belgrads, all das begeistert Jahr für Jahr hunderttausende TouristInnen.
Kapitalismustempel der Superlative
Seit Kurzem ist Belgrad jedoch um ein zweifelhaftes Wahrzeichen reicher: Beograd na vodi (Belgrade Waterfront). So zeigt sich Reisenden bei der Überquerung der Sava zuerst dieses gigantische Bauprojekt, momentan bestehend aus vier alles überragenden Hochhäusern und einer Baustelle gigantischen Ausmaßes, des Immobilieninvestors Eagle Hills aus Abu Dhabi. Gearbeitet wird am 168 Meter hohen Kula Beograd (Belgrade Tower) sowie an weiteren Hochhäusern mit Wohn- und Büroeinheiten, einem Einkaufszentrum, Parks, Freizeiteinrichtungen und einer Flaniermeile. Es entsteht ein Luxusviertel der Superlative auf 1,8 Millionen m2 in exklusiver Lage am Sava-Ufer. Die Homepage von Beograd na vodi geizt nicht mit Exklusivität vermittelnden Hochglanzbildern, die Zielgruppe ist eindeutig wohlhabend. Die gebauten Wohnungen mit Preisen, die es durchaus mit dem Wiener Wohnungsmarkt aufnehmen können, werden mit einem serbischen Durchschnittseinkommen von brutto 5.500 Dollar pro Jahr (Stand 2017) kaum erschwinglich sein. 2014 startet das Mammutprojekt mit der Rekonstruktion der Beogradska zadruga (Belgrader Genossenschaft), einem 1907 fertiggestellten Meisterstück serbischer Architektur, das seither als Informationszentrum über Beograd na vodi dient.
Bei einem Bauprojekt dieser Größenordnung, das die Skyline der historischen Stadt nachhaltig verändert, für das jahrhundertelang gewachsene Stadtstrukturen und ein ganzes Viertel weichen müssen und das darüber hinaus eine große Herausforderung für das Ökosystem der Sava darstellt, würde man sich eine flächendeckende Informationskampagne erwarten. In einem Land, in dem die Menschen von dem Geld, das sie verdienen, nicht leben können, sollte viel Fingerspitzengefühl aufgewendet werden, wenn man ein neues Stadtviertel aus dem Boden stampft, das Milliarden an Steuergeldern verschlingt, ausländischen InvestorInnen eine unglaubliche Macht verleiht und die Kluft zwischen Arm und Reich noch sicht- und fühlbarer werden lässt.
Doch in Serbien werden Dinge anders gelöst: Um im Stadtteil Savamala, das teilweise den Plänen von Beograd na vodi weichen muss, Gebäude in Privatbesitz enteignen und abreißen zu können, wurde im Eilverfahren ein neues Gesetz verabschiedet und Widerstand schon im Keim erstickt. Für jene Grundstücke, derer man trotz des Kunstgriffs nicht habhaft werden konnte, wurde der Deus ex machina ausgeschickt: Vom 24. auf den 25. April 2016 fielen Männer mit Schimasken und Schlag stöcken sowie drei Bagger in Savamala ein, im Laufe der Nacht wurden auf einer Fläche von etwa 1.000 m2 die lästigen Gebäude zerstört. PassantInnen und BewohnerInnen wurden von den Maskierten in Schach gehalten, teilweise gefesselt, ihre Mobiltelefone abgenommen. Die Polizei reagierte auf keinen der von schockierten BürgerInnen eingehenden Hilferufe. Obwohl Premier Aleksander Vučić am 8. Juni in einer offiziellen Erklärung verlautbaren ließ, dass unter anderem hohe Persönlichkeiten der Belgrader Stadtregierung die feigen Zerstörungen in Auftrag gegeben hatten und dafür zur Rechenschaft gezogen würden, sah die Staatsanwaltschaft keinen Grund für Ermittlungen.
Ohnmacht und Protest
Dieser Vertrauensbruch und die Ohnmacht gegenüber der Obrigkeit führten zu Demonstrationen. Gleichgesinnte schlossen sich zur Initiative Ne da(vi)mo Beograd (Wir geben Belgrad nicht her/Wir ertränken Belgrad nicht) zusammen, um stärker gegen das Megaprojekt, strukturellen Machtmissbrauch und politische Willkür auftreten zu können. Ihr Maskottchen, die gelbe Badeente, schaffte es selbst in internationale Medien. Sie sammelten Beweise, um korrupte Machenschaften und Vertuschungen aufzudecken. So konnten sie etwa nachweisen, dass der Bau den Hochwasserschutz Belgrads massiv gefährdet. Auch Sicherheitsmängel und tödliche Unfälle von Bauarbeitern werden dokumentiert. Da die Initiatoren Klagen einbringen und Proteste organisieren, sind sie immer wieder Opfer von Repressalien und Verleumdungskampagnen.
Ne da(vi)mo Beograd verschafft sich aber auch mit anderen Themen Gehör, wie etwa der Bodenversiegelung, dem desolaten Zustand des öffentlichen Verkehrs sowie der eklatanten Luftverschmutzung. Ein weiteres von der Stadt geplantes, größenwahnsinniges Projekt ist die Errichtung einer Seilbahn auf den Kalemegdan, die die Festung laut ExpertInnen massiv gefährden würde. Bei der Planung wurden zudem fragwürdige Entscheidungen und intransparente Vorgehensweisen ohne Machbarkeits- oder Finanzierungsstudien evident.
Ne da(vi)mo Beograd setzt sich zum Ziel, Belgrad zu einer selbstbestimmten, modernen Stadt zu machen, die ihren BürgerInnen eine lebensfreundliche, zukunftsweisende Umgebung und ein Recht auf Information und Mitbestimmung zugesteht. Dazu gehört nicht zuletzt ein Lohnniveau, das ein menschenwürdiges Leben für alle ermöglicht. Auch das Gesundheits- und Sozialsystem bedarf einer grundlegenden Optimierung und das politische System muss auf einen demokratischen Weg zurückgebracht werden. Mit medienwirksamen Aktionen wie der Nachpflanzung gerodeter Bäume im Stadtgebiet versuchen sie, über die Grenzen hinaus auf sich aufmerksam zu machen und weitere Mitstreitende im Kampf gegen Willkür und Korruption zu erreichen. Bei all den Baustellen in Belgrad wird Ne da(vi)mo Beograd jede erdenkliche Unterstützung brauchen.
Julia Gaisbacher beschäftigt sich seit 2017 in ihrer Werkserie »One Day You Will Miss Me« mit der fortlaufenden visuellen Dokumentation und Analyse von »Belgrade Waterfront« – für die Künstlerin ein exemplarisches Beispiel für viele Umbrüche der Gegenwart. In urbanen Porträts hält Gaisbacher seitdem alle sechs Monate die Umformung des Belgrader Stadtgefüges sowie bauliche Veränderungen fest.
Mehr Informationen unter: www.juliagaisbacher.com