Eigentum ist dem homo sapiens menschheitsgeschichtlich fremd. Die aus schließende Zuweisung von Dingen an einzelne Individuen kennen wir buchstäblich erst aus allerjüngster Zeit.
Betrachtungen von ALFRED J. NOLL.
Genetisch mag sich vieles festgelegt haben, das unser heutiges Sozialverhalten bestimmt – das Eigentum gehört nicht dazu. Schauen wir in die Vergangenheit, dann wenden wir meist unsere heutigen Rechtsbegriffe auf frühere Kulturstufen an. Viele wollen dann auch auf der untersten Sprosse das Eigentum »an sich« erhaschen. Aber da ist nichts – nichts, was unserer heutigen Vorstellung von Eigentum ähnelt: Der Menschheit ist dieses Konzept des »privaten Eigentums« so fremd wie den kleinen Kindern die Unterscheidung von »Mein« und »Dein«. Sowohl menschheitsgeschichtlich wie auch individuell-biografisch ist die Vorstellung eines privaten Eigentums das Produkt von (gewaltsamen) Abrichtungs- und Disziplinierungsbemühungen.
Anfang des Eigentums
Das Rechtssubjekt irgendwelcher »Eigentumsrechte« an Grund und Boden ist in der Frühzeit nicht das Individuum (davon hat die Urgesellschaft gar keine Vorstellung), es ist auch nicht die Einzelfamilie, sondern die Horde oder Lokalgruppe in ihrer Gesamtheit. Die Urvölker kennen keine rechtliche Scheidung zwischen Grund und Boden und den darauf wachsenden Pflanzen und jagdbaren Tieren, ja noch nicht einmal unbedingt einen Unterschied zwischen »Person« und Natur. Vor diesem Hintergrund wäre die ausschließende Zuweisung von Sachen an bestimmte »Individuen« völlig absurd.
Allmählich aber kommt es mit beginnender Sesshaftigkeit zu Änderungen: Grund und Boden aber bleiben Eigentum der Dorfgemeinschaft. Über zigtausende Jahre bestehen Gesellschaften mit Menschen, die ohne zentrale Herrschaft, ohne Hierarchie und ohne Ausbeutung zusammenleben können. Das ist eine triviale ethnologische Wahrheit: Gleichheit und Herrschaftslosigkeit scheitern nicht an anthropologischen Erfordernissen – sondern an historischen Bedingungen, denen folgend die Menschheit einen anderen Weg beschritten hat.
Grundherrschaft
Grundherrschaft ist das wesentliche Eigentumsverhältnis im Mittelalter. Der Boden ist das wichtigste Produktionsmittel. Die Form der Grundherrschaft hat unmittelbaren politischen Charakter. Herrschaftsrechte, Regalien, Rechte also, die nach heutiger Sicht typisch staatliche Rechte und Funktionen sind (z. B. die Gerichtsbarkeit), werden vererbt, verpfändet und sind Einkommensquellen. Privates Eigentum und politische Befugnisse werden verbunden. Alle Rechte leiten sich aus dem Eigentumsverhältnis ab. Marx bringt dies auf die einprägsame Formel: »In der Lehnsherrschaft erscheint es geradezu, dass die fürstliche Macht die Macht des Privateigentums ist« (MEW 1, S. 233).
Die Vielfalt der Eigentumsformen und Eigentumsobjekte im Mittelalter, die Zersplitterung des Rechts und das Fehlen eines Juristenstandes, der in der Lage wäre, die Vielfalt des Rechts systematisch zu ordnen und es durch Bildung allgemeiner Begriffe zu vereinheitlichen, lassen eine einheitliche Vorstellung von »Eigentum« im Mittelalter aber nicht zu.
Rezeption des römischen Rechts
Die Rezeption des römischen Rechts ist vor diesem Hintergrund besonders bedeutungsvoll. Den Wirrnissen des germanischen Eigentumsrechts steht plötzlich eine glasklare Konzeption und Begrifflichkeit gegenüber: das Eigentum als privatrechtliche Vollherrschaft, die innerhalb der von der Rechtsordnung gezogenen Grenzen jede rechtliche und tatsächliche Verfügung über die Sache gestattet, eine Sachherrschaft, die nur auf bestimmten Wegen erworben werden kann; das Eigentumsrecht als absolutes, gegen jedermann und jedefrau durchsetzbares absolutes Recht setzt sich durch.
Durch Praxis und Wissenschaft fortgebildet vermag das römische Recht in einigen Ländern Deutschlands bis 1900 seine Geltung zu behaupten. Erst die in der Nachfolge der Revolution von 1848 stattfindende »Grundentlastung« beseitigt dann allmählich das grundherrliche Obereigentum und die sich daraus ergebenden Leistungsverpflichtungen der Bauern ebenso wie die grundherrliche Gerichtsbarkeit und Polizeigewalt. In Österreich sieht das kaiserliche Patent vom 4. März 1848 zunächst vor, dass bisher untertänige Bauern gegen Zahlung eines bestimmten Betrages das freie Eigentum an Grund und Boden erwerben können – viele Bauern verschulden sich und es kommt zu neuen Abhängigkeiten, diesmal von den Geldgebern. Erbpacht- und erbzinsrechtliche Verhältnisse werden dann erst im Jahr 1867 beseitigt.
Bürgerliches Eigentumsrecht
Gegen Ende des 19. Jh. verliert das Grundeigentum seinen unveräußerlichen Charakter und wird in den Verkehr hineingerissen und »zu einem ordinären, oft umgeschlagenen Handelsartikel« (Marx). Ab jetzt geht es ums Eigentum in dem Sinne, in dem wir es heute verstehen. »Alles, was jemanden zugehöret, alle seine körperlichen und unkörperlichen Sachen, heißen sein Eigen thum«, heißt es schon im § 353 ABGB aus dem Jahre 1811. § 354 ABGB sagt dann: »Als ein Recht betrachtet, ist Eigenthum das Befugniß, mit der Substanz und den Nutzungen einer Sache nach Willkühr zu schalten, und jeden Andern davon auszuschließen«. Damit ist das positive Eigentumsrecht bestimmt.
Alle Objekte des Privateigentums sind juristisch gesehen »Sachen«, d. h. »alles was von der Person verschieden ist« (§ 285 ABGB). Die Sachherrschaftstheorie bringt zum Ausdruck, dass der Eigentümer die Erlaubnis hat, mit »seiner« Sache nach Belieben zu schalten und zu walten. Insofern hat der Privateigentümer also über die Sache ein umfassendes Herrschaftsrecht.
Das Privateigentumsrecht erschöpft sich aber nicht in dem Recht, die Sache »nach Willkühr« zu gebrauchen. Vielmehr ist die Tauschwerteigenschaft des Eigentums von Bedeutung. Um diesen Wert realisieren zu können (also etwa eine Sache verkaufen zu können), muss zuvor sichergestellt sein, dass nur ich allein befugt bin, die Sache zu nutzen; nur dadurch behalte ich im Hinblick auf meine Sachen die allseitige Veräußerungsmöglichkeit – und beziehe daraus auch die Befugnis, das Eigentumsrecht durch Rechtsgeschäft auf andere zu übertragen. Etwas muss erst »ausschließlich« mir gehören, damit ich es einem anderen verkaufen kann.
Aneignungsfunktion des Eigentumsrechts
Noch etwas aber fehlt: Nicht nur der Gebrauchswert (Konsumieren) und der Tauschwert (Eigentumsübertragung), sondern vor allem die ökonomische Funktion der Aneignung, die das Privateigentum ermöglicht, muss begrifflich erfasst werden.
Unentwegt wird am Markt Privateigentum ausgetauscht bzw. verkauft. Was aber verkauft wird, das muss zuvor produziert werden. Für das Recht der kapitalistischen Gesellschaft ist kennzeichnend, dass nicht die Arbeit den Eigentumserwerbsgrund darstellt – sonst müsste ja alles, was produziert wird, den unmittelbaren Produzenten gehören! –, sondern wiederum nur das Privateigentum. § 414 ABGB sagt: »Wer fremde Sachen verarbeitet; wer sie mit den seinigen vereinigt, vermengt, oder vermischt, erhält dadurch noch keinen Anspruch auf das fremde Eigenthum.« Der/die EigentümerfabrikantIn (»UnternehmerIn«) ist also stets auch der EigentümerIn des neuen Produkts: Er oder sie wird durch die Rechtsordnung ermächtigt, in Bezug auf eine neue Sache (Arbeitsprodukt) für sich die Rechtsstellung eines Privateigentümers/-eigentümerin zu begründen.
Zwar wird der/die LohnarbeiterIn vom Eigentum an den Produktionsmitteln ausgeschlossen; er oder sie ist aber notwendigerweise mit den privaten Produktionsmitteln verbunden, weil er/sie mit diesen produziert und sie im Produktionsprozess produktiv konsumiert. Für den Lohnherrn ist es also wesentlich, die Produktionsmittel und die unmittelbaren ProduzentInnen permanent zusammenzubringen, um sich das Arbeitsprodukt aneignen zu können. Es muss produziert werden. Klammert man dies aus, dann verschwindet aus dem Blickfeld, dass der Ausschluss der großen Mehrheit der Bevölkerung vom Eigentum an Produktionsmitteln die Voraussetzung für Ausbeutung ist: Im Produktionsprozess realisiert sich die Aneignung des Mehrwerts durch den/die EigentümerIn der Produktionsmittel. Und so »schlägt dialektisch das Eigentumsrecht auf Seite des Kapitals in Recht auf fremde Produkte oder in das Eigentumsrecht auf fremde Arbeit um, das Recht, sich fremde Arbeit ohne Äquivalent anzueignen, und auf Seiten des Arbeiters in die Pflicht, sich zu seiner eignen Arbeit und deren Produkt als fremdem Eigentum zu verhalten«, schreibt Marx (MEW 44, S. 364).
Wird das Privateigentum nur als ein Verhältnis zwischen dem/der PrivateigentümerIn und der »Sache« verstanden, also nur als das umfassendste Recht, nach Belieben mit der Sache zu verfahren, kommt die zentrale Bedeutung des Eigentums in unserer Wirtschaftsordnung nicht ins Blickfeld. Durch das private Eigentumsrecht werden eben andere vom Gebrauch des Eigentums ausgeschlossen; es verschafft Herrschaftsbefugnisse über diejenigen, die dem Privateigentümer der Produktionsmittel ihre Arbeitskraft verkaufen müssen.
Mehrheit eigentumslos
Nun ist es ja nicht unbekannt, dass die Mehrzahl der Menschen zwar formal eigentumsberechtigt ist, tatsächlich aber weitgehend und dauerhaft eigentumslos bleibt. Ist aber das Eigentum ungleich verteilt, dann sind damit auch per se die politischen Einwirkungsmöglichkeiten ungleich verteilt. Aus dieser Überlegung leiten sich alle Vorschläge von Umverteilung ab – bis hin zur alten Forderung nach der »Expropriation der Expropriateure«.
Wenn heute zwei Drittel des privaten Vermögens nur zehn Prozent der Bevölkerung gehören; wenn es für junge Menschen in Ballungsräumen nur noch dann möglich ist, Wohnungseigentum zu erlangen, wenn sie erben oder entsprechende Schenkungen erhalten; und wenn eine angemessene Versorgung und die Deckung des Lebensbedarfs im Alter immer öfter nur noch möglich ist, wenn man auf Erbschaften zurückgreifen kann, dann wird – nur um ein Beispiel zu nennen – zumindest die Besteuerung von Erbschaften zur Herstellung größerer sozialer Gerechtigkeit zum unabdingbaren sozialen Erfordernis. In der Auseinandersetzung um diese Frage könnte dann auch zu Tage treten, was schon Hans Kelsen nüchtern kritisierte: Bei der landläufigen Vorstellung vom »ewigen Privateigentum« handelt es sich um nichts anderes als um Ideologie.
In Hinsicht auf das Eigentums sollten wir also in Erinnerung behalten, was schon Hegel bemerkte: »Eine Rechtsbestimmung kann sich aus den Umständen und vorhandenen Rechts-Institutionen als vollkommen gegründet und konsequent zeigen lassen und doch an und für sich unrechtlich und unvernünftig sein«.