ZEITZEUGiNNEN: Wie geht Weiterleben?

von

Filmbericht von EVA BRENNER.

Oftmals finden die wirklich guten kultu­rellen Ereignisse abseits des Main­streams, leise und in aller Stille statt. So geschehen bei der unspektakulären Pre­miere des Dokumentarfilms »ÜBER WEITER LEBEN. Geschichten aus Wien« von Birgit Peter und Theresa Eckstein am 15. Mai 2019 im Wiener Stadtkino. Das Projekt, dem trotz (bislang) fehlendem Verleih eine (auch) internationale Zukunft beschert sein sollte, hat sich aus einer wissenschaftlichen ZeitzeugInnen-Studie zur Holocaust Educa­tion an der Universität Wien entwickelt und wurde primär privat finanziert (von der Stadt Wien skandalöser Weise mit kei­ner Förderung bedacht). Entstanden ist ein kleines Filmjuwel, das Zeugnis ablegt von einerseits ganz unterschiedlichen Charak­teren noch Überlebender und ohne Pathos Auskunft gibt über die tiefen Wunden, unter denen die Betroffenen, die mit Glück, Anstrengung und größten Mühen das Über-Leben geschafft haben, bis heute leiden. Dazu zählt vor allem eine ausführliche Debatte über die Situation nach 1945, also den Nachkriegsjahren.

Wie weiter nach Ächtung, Schmach, Vertreibung?

Der Dokumentarfilm präsentiert sieben Inter­views und stellt das Unmittelbare des Erzäh­lens und den Vorgang des Erinnerns von extremen Traumata ins Zentrumn knapp 95 Minuten und mit minimalen ästhetischen Mit­teln haben die beiden Filmemacherinnen eine filmische Kurzfassung aus umfassenden Gesprächen über die Bedingungen des Weiter­lebens nach dem Holocaust geführt und dabei höchst sensible Porträts der hochbetagten Männer und Frauen gestaltet – Überlebende, die es auf je individuelle Weise ablehnen, als »Opfer« betrachtet zu werden. Entstanden aus einer Idee einer Lehrveranstaltung am Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft der Universität Wien, war das Projekt als fil­mische Dokumentation von Überlebensge­schichten im Sinne von Oral History geplant. Um die historisch wertvollen Inhalte auch einem breiteren Publikum zugänglich zu machen, hat das Team nun neben einem Doku­mentarfilm auch eine Videoreihe mit Zeitzeu­gInnen des Holocaust zusammengestellt (14 Einzelportraits von jeweils 15 bis 20 Minuten).

14 Portraits und Geschichten aus Wien

Kitty Drill aus Laa an der Thaya musste als kleines Kind nach Mauritius flüchten. Alice Granierer überlebte in Palästina. Robert »Bobby« Rosner und Kitty Suschny konnten nach England emigrieren, Walter Stern und Otto Suschny nach Palästina, doch mussten sie ihre Eltern zurücklassen. Paul Back konnte ebenso mit seinen Eltern nach Palästina ent­kommen. Kurt Rosenkranz floh mit seiner Familie nach Riga und überlebte in sowjeti­schen Lagern. Alfred Schreier überlebte in einem kleinen Bergdorf in Italien und Lucia Heilman versteckt im Werkstättenhof in der Mollardgasse im 6. Bezirk. Helga Pollak-Kin­sky, Herbert »Blacky« Schwarz und Leo Gra­nierer überlebten mehrere Konzentrations- bzw. Vernichtungslager.

Mit Hass kann man nicht leben

Mit beeindruckend leichter Hand, die die auf­wändige Recherche verbirgt, nähern sich die Interviewenden ihren GesprächspartnerInnen. Immer wieder lenken sie die klug geschnitte­nen Gespräche auf den Umstand, dass den aus dem Exil Wiederkehrenden weder Türen geöffnet wurden, noch Entschädigungen für das Erlittenen angeboten wurden. Im Gegen­teil, schnell wurde den Vertriebenen schmerzlich klar, dass ihnen eine ähnliche Ablehnung wie vor dem Krieg entgegen schlug, mussten sie erkennen, wie wenig sich in Österreich geändert hatte – ein Befund, an dem sich leider bis heute kaum etwas verbes­sert hat, ungeachtet der verdienstvollen Auf­deckung der Waldheim Affäre, das späte Ein­geständnis der Mit-Schuld durch das offi­zielle Österreich, diverser Aufarbeitungspro­jekte und verspäteter Zahlungen an die Opfer.

Deutlich zum Ausdruck kommen die Angst und Beklemmung jener, die in Wien im Untergrund versteckt überlebt haben, die jeden Augenblick fürchten mussten, verraten zu werden. Man weiß von den unverzüglich (und von langer Hand vorbereiteten) einset­zenden Verhaftungen nach dem Einmarsch Hitlers in Österreich am 12. März 1938, den grausamen Misshandlungen, Enteignungen und letztendlich Vertreibungen der Wiener Juden und Jüdinnen, an der die örtliche Bevölkerung federführend beteiligt war. Dennoch ist man schockiert von den detail­lierten Lageberichten der Betroffenen, genau wie von der Verleugnung der Schuld nach dem Krieg. Es gab weder nennenswerte Rückgaben von Eigentum, noch Entschuldi­gung oder Reue. Niemand aus der TäterIn­nen- und MitläuferInnen-Gemeinschaft wollte an die Verbrechen erinnert werden, niemand war beteiligt gewesen. Ein uner­träglicher Zustand, der bis heute weiter wirkt und wesentliche Mitschuld am neuerli­chen Aufflammen rechtsextremer Entwick­lungen trägt. Das Bild ist klar: Man wollte die Juden und Jüdinnen loswerden!

Dennoch spricht einer der Zeitzeugen von Nachsicht, wenn er sagt: »Mit Hass kann man nicht leben!« und deutet damit das Dilemma an, in dem sich viele der Rückkehrenden befanden und befinden. Besondere Bewunde­rung verdient die innere Stärke und der ungebrochene Glaube an die Zukunft, die Voraussetzung des Überlebens waren, wäh­rend viele andere, die weniger Glück hatten, in den KZs umkamen oder sich das Leben nahmen, ihre Stimmen nicht mehr erheben können. Umso wichtiger, dass dieser Film jenen eine Sprache verleiht, die noch unter uns sind.

Gelesen 6783 mal Letzte Änderung am Donnerstag, 13 Juni 2019 12:37
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