Ein kleines Brevier von MICHAEL GRABER
Die Volksstimme hat seit ihrem erstmaligen Erscheinen am 5. August 1945 die politische und gesellschaftliche Entwicklung in Österreich und der Welt fast ununterbrochen kritisch begleitet. Gegründet als Zentralorgan der Kommunistischen Partei Österreichs, erschien sie bis zu ihrer Einstellung im März 1991 mit dem Untertitel »Linke Tageszeitung«. Zwischen 1991 und 1993 gab es zunächst das Wochenmagazin Salto, ehe die Volksstimme seit 1994 neuerlich als Wochenzeitung herausgegeben wurde. Nach der Enteignung der bisherigen Subventionsgeberin, der KPÖ, durch die deutschen Behörden musste die Volksstimme 2004 auf ein Monatsmagazin umgestellt werden. Seither erscheint sie als unabhängige linke Zeitschrift, die sich zwar in einem freundschaftlichen Verhältnis zur KPÖ positioniert und offen ist für linke AutorInnen, ihre wirtschaftliche Grundlage aber durch Abonnements erarbeiten und sichern muss.
Vorgängerin der Volksstimme in der Ersten Republik war die von 1919 bis 1933 und danach illegal erscheinende Rote Fahne, die wiederum aus dem im November 1918 erstmals herausgegebenen Weckruf hervorgegangen war. Als Zentralorgan der KPÖ war die Rote Fahne »kollektiver Propagandist, Agitator und Organisator«, wie Lenin die Aufgaben der kommunistischen Presse umriss. Wie bereits im Titel zum Ausdruck kam, sollte die Volksstimme über die ArbeiterInnenklasse hinaus breitere Bevölkerungskreise ansprechen. Der neue Name entsprach damit auch dem veränderten Selbstverständnis der Partei, die im April 1945 zu den Gründerparteien der Zweiten Republik zählte. Gegenüber der Roten Fahne verfolgte die Volksstimme demgemäß eine populärere Konzeption, die auch die Rubriken Kultur (vor allem Literatur, Theater, Musik und Film), Sport und Feuilleton umfasste. In den folgenden Jahren erreichte die Volksstimme eine Auflage von über 100.000 Exemplaren. In späteren Jahren kam die Sonntagsbeilage hinzu.
Linke Texte für Alle und überall
»Alternativ« war jedenfalls der Vertrieb, in dessen Mittelpunkt die Hauszustellung stand. Tausende PresseaktivistInnen der KPÖ holten sich Sonntag für Sonntag in der Früh bei Verschleißstellen in allen Bezirken die Sonntagsausgabe ab und stellten sie persönlich den AbonnentInnen zu. In den ersten Nachkriegsjahren wurden auch KPÖ-Zeitungen in den Bundesländern gegründet – etwa die Wahrheit in Graz, die Neue Zeit in Linz oder der Volkswille in Klagenfurt –, die aber sukzessive mit der Volksstimme zusammengelegt wurden. Darüber hinaus wurden mehrere Wochen- und Monatszeitschriften für verschiedene Zielgruppen herausgegeben, etwa die Kulturzeitschrift Tagebuch, die Stimme der Frau, Jugend voran oder die beliebte Kinderzeitschrift Unsere Zeitung. Anfang der 1950er Jahre bilanzierte die Partei 37 von ihr herausgegebene Zeitungen und Zeitschriften.
In der österreichischen Zeitungslandschaft war die Volksstimme immer ein Faktor der Gegenöffentlichkeit, gemieden und gehasst vom Mainstream, Angriffspunkt wildester antikommunistischer Ausfälle im Kalten Krieg, aber trotzdem immer weit über die kommunistische WählerInnenschaft hinaus gelesen. Aus politischen Gründen unterlag sie einem weitgehenden Inseratenboykott, und der sie produzierende Globus-Verlag war von der lukrativen Schulbuchproduktion ausgeschlossen. Die Volksstimme musste sich also immer gegen den »Markt« behaupten. Entgegen der Boulevardisierung der Medienlandschaft leuchtete die Volksstimme auch in jene Bereiche der Gesellschaft hinein, die sonst kaum einen Platz fanden, z.B. in die Betriebe. In gesellschaftlichen Auseinandersetzungen ergriff sie Partei zugunsten der Benachteiligten und Diskriminierten.
Gegenkultur, Antifaschismus und das schönste Volksfest
Ein gewisses Alleinstellungsmerkmal war die Tatsache, dass die Volksstimme die einzige österreichische Tageszeitung war, die in den sozialistischen Ländern Osteuropas erhältlich war. Gewiss wurden Berichte aus den Staaten des realen Sozialismus durch die überwiegend schönfärberische Brille der KPÖ geschrieben, dem steht jedoch die bedingungslose Unterstützung etwa des Befreiungskampfes des vietnamesischen Volkes gegen die USA in den 1970er Jahren gegenüber, was die Volksstimme aus der damaligen Zeitungslandschaft heraushob. Sie leistete auch damit einen wichtigen Beitrag zur Meinungsvielfalt der österreichischen Presse.
Die Volksstimme war stets Plattform fortschrittlicher Gegenkultur und prominenter AutorInnen des »anderen Österreich« und, wenn man so will, auch das Zentralorgan des Antifaschismus in diesem Land. Ein Beispiel: Ohne die durch die Volksstimme hergestellte Öffentlichkeit für Alfred Hrdlicka hätte dieser das Denkmal gegen Krieg und Faschismus bei der Albertina (trotz der Unterstützung durch den damaligen Bürgermeister Helmut Zilk) in den 1980er Jahren kaum durchsetzen können. Einzigartig ist auch die Verbindung der Zeitung mit dem seinerzeit größten Volksfest in Wien, dem Volksstimmfest, dem sie bis heute den Namen gibt.
Mit der Auflösung der bezahlten Zeitungsredaktionen nach der Einstellung der Tages- und Wochenzeitung musste die Volksstimme zu einer »alternativen« Arbeitsweise übergehen und auf professionelle ZeitungsmacherInnen verzichten. Umso stolzer sind daher die heutigen MitarbeiterInnen, dass ihre »Zwischenrufe links« (so der Untertitel der Monatshefte) eine traditionsreiche Publikation der Linken in Österreich weiterführen – und das auf einem anerkannt hohen Niveau, was nicht zuletzt den zahlreichen, ja hunderten AutorInnen der letzten Jahre zu verdanken ist, die ohne Honorare für die Volkstimme schreiben.