Die Bedeutung der Wahl zum Europäischen Parlament am 26. Mai wird auch von Linken vielfach sträflich unterschätzt. Ein Kommentar von MICHAEL GRABER.
Die Wahl zum Europäischen Parlament ist natürlich ein Kräftemessen der hiesigen Parteien und eine Auseinandersetzung über die aktuellen Themen der Innenpolitik. Und für viele ist sie auch ein Ventil zur Abrechnung mit der Regierung und/oder mit der parlamentarischen Opposition. Wären das die einzigen Motive, um zur Wahl zu gehen, wäre das allerdings zu kurz gedacht.
Womit wir es gegenwärtig zu tun haben, ist der Aufstieg des Rechtspopulismus und Rechtsextremismus in Europa, wobei Österreich einer der Vorreiter dieser Entwicklung ist. Über die jeweilige Stärke dieser Parteien wird zwar im nationalen Rahmen entschieden, es ist aber nicht zu übersehen, dass dieser Aufstieg ein europaweites Phänomen ist und offensichtlich mit den Strukturen und der Entwicklung der herrschenden Politik auf EU-Ebene und ihrem Einfluss auf die Entwicklung des Kapitalismus in Europa zu tun hat. Um es etwas vereinfacht zu sagen: Die »marktkonforme Demokratie« der Frau Merkel ist nicht das Gegenstück zur »illiberalen Demokratie« des Herrn Orban. In beiden Konzeptionen steckt das Autoritäre, vermittelt über die Institutionen der EU (wie etwa gegenüber Griechenland), einmal mehr als offizieller Bestandteil der Politik und des Regierens auf nationaler Ebene. Dass beides bislang Platz in einer der Fraktionen des Europaparlaments hat, spricht Bände. Denn sie teilen nicht die Werte des »Christlich-Sozialen«, sondern die »Werte« des europäischen Kapitalismus, also die Freiheiten des Binnenmarktes.
Die Rechtsextremen verstecken oder verbinden ihre autoritäre Agenda hinter oder mit dem Nationalismus, was nichts Neues ist, aber vor dem Hintergrund der wachsenden Ungleichheit in der ökonomischen und sozialen Entwicklung in der EU und in den einzelnen Ländern und den Migrationsbewegungen eine neue Basis erhält. Im Übrigen: die autoritären Regierungen, die sich gegen jede solidarische Flüchtlingspolitik wehren, haben ein Migrationsproblem – Millionen Polen arbeiten in Großbritannien und anderen EU-Ländern, Hundertausende Ungarn tun das gleiche.
In Europa hat sich vielfach ein osmotisches Verhältnis zwischen den rechtsextremen Kräften und traditionell bürgerlichen Parteien herausgebildet, wofür auch Österreich ein Beispiel ist: Über die FPÖ reicht der Arm der Neonazis bis in Kreise der Regierung, wo sie trotz aller Dementis geduldet werden.
Die herrschende neoliberale Politik in der EU basiert auf einem Bündnis von konservativen, sozialdemokratischen, liberalen und teilweise grünen Parteien. Die derzeitigen vertraglichen Strukturen, die die Wirtschaftspolitik bestimmen, sind im Kreis dieser Parteien entstanden – von Maastricht bis zum Fiskalpakt. Im Programm der Europäischen Linken heißt es deshalb: »Wir müssen uns den EU-Verträgen, die auf den Prinzipien der Wettbewerbsfähigkeit, Deregulierung und Liberalisierung basieren, widersetzen und sie verändern... Wir schlagen eine Alternative vor, also Europa auf einer neuen solidarischen Grundlage zu errichten, die die Souveränität der Bürgerinnen und Bürger respektiert.« Die Liste »KPÖ Plus – European Left, offene Liste«, die mit über 3.200 Unterstützungserklärungen als einzige nicht im Parlament vertretene Liste und im Gegensatz zu den rechten EU-Austrittsparteien ihre Kandidatur geschafft hat, will zur Stärkung dieser linken oppositionellen Kräfte in Europa beitragen.