Überlegungen einer Kursleiterin, die in der IG DaZDaFBasisbildung aktiv ist. Als Verfasserin bleibt sie hier lieber anonym, da ihre Kolleg*innen sich gerade für eine ÖIF-Zertifizierung entschieden haben – und der ÖIF hat sich bisher kritischen Stimmen gegenüber wenig offen gezeigt.
Rückblende
Es ist Juni 2017, die SPÖ-ÖVP-Koalition ist am Ende, die Diskussionen im Nationalrat scheinen chaotisch. Ich verfolge den Live-Ticker zur Sitzung des Nationalrats, da für diesen Tag eine Entscheidung über das Integrationsgesetz ansteht. Die Diskussion dazu muss ich wohl verpasst haben – am nächsten Morgen entdecke ich jedoch mit einer Mischung aus Wut und Resignation, dass das Integrationsgesetz in Kraft treten wird. Für Drittstaatsangehörige bedeutet dies, dass ihr Aufenthalt in Zukunft nur noch verlängert wird, wenn sie Nachweise über die erfolgreich abgelegte Integrationsprüfung vorlegen können. Dass Aufenthaltstitel und »gelungene Integration« an den Nachweis von Sprachkenntnissen gekoppelt werden, ist leider weder in Österreich noch sonst wo in der EU etwas Neues. Neu in Österreich ist, dass nun neben Sprachkenntnissen ein weiterer Prüfungsteil »Werte und Orientierungswissen« abfragt wird.
Warum mich das betrifft?
Zunächst einmal betrifft die Frage, wie mit Menschen umgegangen wird, die – aus welchen Gründen auch immer – nach Österreich/Europa kommen, uns alle. Aber das ist ein anderes Thema, es soll hier spezifisch darum gehen, was die neue Gesetzgebung für diejenigen bedeutet, die in der Erwachsenenbildung arbeiten.
Ich bin bereits seit einigen Jahren Kursleiterin in der Basisbildung, ich lerne gemeinsam mit Gruppen von acht bis zehn Frauen (Migrantinnen, geflüchtete Frauen) und orientiere mich dabei an den Prinzipien und Richtlinien für die Basisbildung der Initiative Erwachsenenbildung. Die Basisbildung folgt unter anderem Positionen der kritischen Pädagogik, der Migrationspädagogik und der postkolonialen Theorien. Dabei steht die Handlungsfähigkeit der Lernenden im Mittelpunkt. Lernen und Lehren geschehen im Prozess, im Dialog mit den Lernenden. Basisbildung versteht Lernen als dialogisch und wechselseitig. Basisbildung ist wissenskritisch. Basisbildung fördert die Autonomie von Lernenden als Akteur*innen ihrer Lernprozesse und setzt daher nicht voraus, dass Teilnehmer*innen nach einer bestimmten Zeit im Kurs eine Prüfung absolvieren müssen.
Basisbildung ist noch einiges andere mehr und natürlich nicht frei von Widersprüchen – Hierarchien, Paternalismus und prekäre Arbeitsbedingungen durch nicht ausreichende Fördergelder gibt es auch hier.
Dennoch steht die Basisbildung für eine Art Gegenentwurf zu dem, was nun in Folge des neuen Integrationsgesetzes durch den Österreichischen Integrationsfonds (ÖIF) implementiert wird: Teaching to the test, nur abprüfbares Wissen zählt, Ziel von Kursen ist das rasche Absolvieren einer Prüfung, »Lernen« ist hier gleichgesetzt mit der Fähigkeit, ein Kreuzchen bei den richtigen, vorher auswendig gelernten Antworten zu machen. Und wer richtig ankreuzt, ist »integriert«???
Was hier passiert, ist nicht vereinbar mit den Erfahrungen, die ich und andere Kolleg*innen in unserer Arbeit gemacht haben. Es widerspricht den genannten Prinzipien und Richtlinien der Basisbildung. Es widerspricht ebenso aktuellen Theorien und Forschungen aus dem Bereich Deutsch als Fremd- und Zweitsprache (DaF/DaZ) wie auch fundierten Grundsätzen der Politischen Bildung. Kritische Stimmen aus der Forschung und aus der Praxis wurden bereits lange vor der Entscheidung im Nationalrat eingebracht, vielstimmig, über Jahre, in Form von Stellungnahmen und Protesten – das Integrationsgesetz wurde dennoch verabschiedet. Denn all das geschieht in einem politischen Kontext, in dem ständig neue Maßnahmen gefordert werden, die den Druck auf Migrant*innen und Geflüchtete verschärfen: Strafen für diejenigen, die die Integrationsprüfungen nicht fristgerecht absolvieren, Kürzung von Sozialleistungen, »Asyl auf Zeit« und vermehrte Abschiebungen (nach Vorstellung von Innenminister Kickl gerne auch in »gewisse sichere Gebiete« Syriens). Das Integrationsgesetz ist Teil einer Politik, die auf Nationalismus und Populismus setzt, die Angst schürt und die das Thema »Integration« nutzt, um zu polarisieren – und so das Feld der Bildungsarbeit und Beratung von/für/mit Migrant*innen und Geflüchteten massiv vereinnahmt und kontrolliert.
Viele private, profitorientierte Sprachschulen haben die neuen Prüfungsformate sofort angeboten – ein neues Produkt im Sortiment, das sich auf Grund der hohen Nachfrage gut verkauft. Vereine, Beratungsstellen und NGOs, die im Feld arbeiten, müssen sich früher oder später positionieren. Klar ist, dass für sehr viele Kursteilnehmer*innen ein positiver Prüfungsabschluss entscheidend ist. Klar ist auch, dass die Zusammenarbeit mit dem ÖIF Vorteile und Sicherheit bedeutet – denn der ÖIF ist durch das neue Integrationsgesetz zum großen Player geworden. Es ist zu erwarten, dass Projekte in Zukunft zunehmend (wenn nicht ausschließlich) über den ÖIF finanziert werden. Aber wer mit dem ÖIF zusammenarbeitet, wird auch die Bedingungen des ÖIF akzeptieren müssen. Und das bedeutet: Deutschkurse haben das Ziel, die Teilnehmer*innen auf die Integrationsprüfung vorzubereiten. Punkt. Da bleibt kein Raum mehr für Wechselseitigkeit, für Austausch und Dialog, für gemeinsames Lernen, für Autonomie, für Reflexion, für kritische, politische Bildungsarbeit. Wer sich die Prüfungsformate und Unterrichtsmaterialien des ÖIF anschaut, wird feststellen, dass all das auch gar nicht vorgesehen ist.
Der Druck auf alle – Kursleiter*innen, Berater*innen, Projektleitungen und Teilnehmer* innen – ist immens. Immer mehr entschließen sich doch dazu, sich vom ÖIF zertifizieren zu lassen und die neuen Prüfungsformate anzubieten. Von vielen Kolleg*innen höre ich den Satz »Ich bin ja auch gegen das alles, aber ...« gefolgt von dem Argument, dass es darum gehe, die Teilnehmer*innen möglichst gut zu unterstützen oder auch die Arbeitsplätze der Kolleg*innen in Zukunft sichern zu können. Beides ist auch mir wichtig, aber ich frage mich: Welchen Preis sind wir bereit, dafür zu zahlen? Wer die Integrationsprüfung anbietet, trägt diese Politik mit – wenn auch unter Protest. Solange es noch Projekte gibt, die nicht über den ÖIF finanziert und kontrolliert werden, gibt es die Möglichkeit (und auch die Verantwortung), als Kursinstitut, Verein oder NGO bewusst Position zu beziehen. Wenn Widerstand und Proteste aus der Praxis, aus den Kursen, von Kursleiter*innen und Berater*innen laut, zahlreich, kollektiv, solidarisch und entschlossen gewesen wären, dann hätten wir dieses Gesetz vielleicht noch verhindern können. Und selbst jetzt könnten wir noch ein Zeichen setzten, wenn wir uns zusammenschließen und diese Prüfung gemeinsam nicht anbieten. Natürlich müssen viele unserer Teilnehmer*innen die Prüfung ablegen – aber Prüfungen können schließlich auch unabhängig vom Kurs extern gemacht werden. Es schließt sich nicht gegenseitig aus, ein Zeichen zu setzen und die Teilnehmer*innen dennoch zu unterstützen. Beides scheint mir gleichermaßen wichtig und notwendig.
Vor ein paar Wochen habe ich bei einem Besuch im Haus der Geschichte eine Karte mit einem Zitat gezogen, das seitdem mein Nachdenken über die Frage der Positionierung begleitet. Es ist von Ruth Klüger und lautet: »Wo liegen die Grenzen der Feigheit, die man sich zumutet?« Ich würde mir wünschen, dass wir uns da, wo wir unter den gegebenen Bedingungen die Möglichkeit haben, etwas weniger Feigheit zumuten.
Für weitere Infos siehe: igdazdafbasisbildung.noblogs.org
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