Rot-Rot-Grün in Berlin? Volksstimme Redaktion Orig. Foto: Die Linke, Jakob Huber
29 Oktober

Rot-Rot-Grün in Berlin?

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Am 18. September 2016 fand in der deutschen Bundeshauptstadt Berlin die sogenannte Wahl zum Abgeordnetenhaus, also dem Landesparlament, statt. Die Linke schaffte es mit 15,6 Prozent drittstärkste Partei zu werden. SPD und CDU liegen vor ihr, die Grünen liegen mit 15,2 Prozent knapp hinter der Linkspartei. Für viele schockierend ist das Ergebnis der rechtspopulistischen AfD, welche 14,2 Prozent erreichte. Eine rot-rot-grüne Koalition scheint höchstwahrscheinlich; erste Verhandlungen fanden bereits statt. Dies wäre auch nicht die erste Regierungsbeteiligung der Linken in Berlin.

Bereits von 2002 bis 2011 waren die Linke in einem rot-roten Senat mit den Sozialdemokraten und wurden letztlich dafür hart von den WählerInnen abgestraft, als sie von ursprünglichen 22,6 auf 11,7 Prozent abstürzten. Volksstimme-Redakteur Christian Kaserer traf Katina Schubert – Landesgeschäftsführerin von Die Linke in Berlin – im Karl-Liebknecht-Haus und sprach mit ihr über Gemeinsames und Trennendes bei Rot-Rot-Grün, mit welchen Problemen die Linkspartei bei ihrer letzten Regierungszeit zu kämpfen hatte und was es in Berlin und Europa in Zeiten des grassierenden Neoliberalismus und erstarkender rechtspopulistischer Parteien braucht.

 

Was ist passiert? Weshalb wurde »Die Linke« 2011 abgewählt?
Berlin war, als wir 2002 in die Regierung kamen, in einer schwierigen Situation: Wir haben einen 60 Milliarden Euro Schuldenberg und einen strukturell defizitären Haushalt von der Großen Koalition übernommen. Hier mussten weitere Einsparungen geleistet werden. Das war einer der Hauptgründe, weshalb der damalige Senat nicht sonderlich beliebt war. Es war jedoch wichtig, dass wir politische Beinfreiheit erlangten um Reformen anzugehen. Hätten wir das damals nicht gemacht, wäre es in dieser Stadt heute noch schlimmer. Neben den Einsparungen haben wir allerdings auch viel Positives erwirkt: Wir förderten zum Beispiel die direkte Demokratie mit der Möglichkeit von Bürgerentscheiden auf Landesebene. Auch das Schulsystem haben wir aufgebrochen und Gemeinschaftsschulen eingeführt. Das Modell ist übrigens sehr erfolgreich, inzwischen auch wissenschaftlich belegt und wird bei den kommenden Verhandlungen eine wichtige Rolle spielen, da wir sie zur Regelschule erheben wollen. Wir haben einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor eingeführt, der Langzeiterwerbslosen neue Perspektiven eröffnete. Für uns selbst hatte diese Regierungszeit vor allem den Vorteil, dass wir Erfahrung sammeln konnten.

 

Was war für diese Wahl die Ausgangslage in Berlin?
Wir sind in Opposition, haben über fünf Jahre versucht uns Substanz anzueignen und haben Konzepte für Berlin entwickelt. Das war auch dringend nötig, denn der Stadt geht es schlechter als bei den letzten Wahlen vor fünf Jahren. Wir haben die Regierung mit einem ausgeglichenen Primärhaushalt verlassen, wodurch Spielraum vorhanden war. Doch der uns folgende Senat war in sich so gelähmt und blockierte sich so sehr, dass selbst Bürgerämter nicht mehr funktionierten. Das bekamen natürlich auch die Wähler mit. Ein weiterer Punkt ist die gravierende Wohnungsnot. Die Mieten steigen und Wohnungen sind knapp. Außerdem haben viele das Gefühl, dass Politik an ihnen vorbeigeht und sie keine Rolle spielen. Daher war eines unserer Themen, sich die Stadt zurück zu holen und den Dialog zu suchen und zu führen.

 

Wie habt ihr den Wahlkampf geplant und wie sah eure Kampagne aus?
Vor zwei Jahren haben wir die Kommission für »Strategie und Wahlen« einberufen. Wichtig war dabei die Analyse, was die Situation in Berlin ist. Daraus haben wir die zentralen Botschaften entwickelt. Studien gibt es, auch wenn sie bürgerliche Studien sind, ja zuhauf. Natürlich haben wir aber auch eine eigene Umfrage durchgeführt über die Erwartungen, die an uns als Linkspartei gestellt werden. Daraus und aus unseren eigenen Erfahrungen, immerhin sind wir ja auch Berliner mit allen Nöten und Sorgen, haben wir dann das Programm entwickelt, welches dann von den Parteimitgliedern mit großer Mehrheit abgesegnet wurde. Insgesamt wurden 400 Plakatmotive entwickelt, die wir zu zehn verdichteten. Dazu gab es Pre-Tests. Die zentrale Botschaft war, sich die Stadt zurück zu holen und dass Demokratie und Politik nichts ist, was an den Bürgerinnen und Bürgern vorbeigehen darf.

 

Katina Schubert (c) Die Linke
Katina Schubert

Gibt es Gemeinsamkeiten und Trennendes bei Grüne, SPD und Linke?
Was uns trennt ist das Herangehen an Politik. Die SPD lebt hier in der Stadt die Herangehensweise, dass die Stadt ihr gehört und Bürger ihre Kreise nicht stören sollen. So gibt es ja landeseigene Unternehmen, die sozialdemokratisch durchwirkt sind. Ihr Politikmodus ist einer des Ansagens und Folgens. Wir wollen Politik auf Augenhöhe machen und das heißt, dass um die beste Lösung gestritten und der Dialog mit der Bevölkerung gesucht wird. Das wird eine der schwierigeren Auseinandersetzungen.
Weiterhin werden wir uns mit der Wohnungspolitik auseinandersetzen müssen. Was heißt denn bezahlbarer Wohnraum? Da hat die SPD eine ganz andere Vorstellung als wir und die Grünen, als bürgerliche Partei, natürlich ebenso. Aber ich denke, dass man sich da einigen kann. Natürlich haben wir Glück, dass wir uns nicht um Dinge wie die Nato streiten müssen.
Ein weiterer Punkt ist die Haushaltspolitik. Zehn Jahre haben wir konsolidiert und den Haushalt ausgeglichen um Handlungsspielräume zu haben. Das führte jedoch zu einem enormen Sanierungsstau. Hier müssen wir Pfade öffnen für ein massives Investitionsprogramm. Da sind wir uns ja auch alle einig. Jedoch trennt uns die Art des Herangehens, wie man den Sanierungsstau auflösen kann. Immerhin muss das so organisiert werden, dass der Haushalt nicht wieder in Schieflage gerät und außerdem gilt auch bei uns die Schuldenbremse und es gibt die EU-Kommission. Das wird uns noch viel Gehirnschmalz kosten: Investitionsbedarfe decken ohne in die Schuldenbremsenfalle zulaufen.

 

Rechnest du mit einem Erfolg der Verhandlungen?
Ich gehe davon aus, immerhin bleibt uns nicht viel anderes übrig. Jede andere Koalition wäre für die Stadt nämlich fatal und das wollen wir nicht. Wenn es so wäre, dass wir uns in allen wichtigen sozial-, arbeitsmarkt- und wohnungspolitischen Fragen nicht durchsetzen können und letztlich nur Teil eines bürgerlichen Bündnisses wären, das den Status quo und das sparen als Selbstzweck fortschreibt, dann scheitert so eine Koalition allerdings. Aber davon gehe ich nicht aus.

 

Hat Die Linke mit so einem Erfolg gerechnet?
Wir haben alles darauf gesetzt, mindestens 15 Prozent zu bekommen und die Zahl unserer Bürgermeister und Stadträte zu erhöhen. Die Wahlziele haben wir alle erreicht, außer dass wir die AfD nicht heraushalten konnten.

 

Wie geht man als Linke mit einer starken rechtspopulistischen Partei um?
Diese Stärke der AfD ist für uns eine neue Situation. Bereits im Wahlkampf haben wir uns inhaltlich mit ihnen auseinandergesetzt. Wir arbeiten nicht mit ihnen zusammen, aber wir setzen uns mit ihnen auseinander. Berührungspunkte gibt es ja inhaltlich überhaupt keine. Aber wenn sie dummes Zeug reden, gehen wir das offensiv an. Es ist notwendig zu zeigen, dass sie inhaltlich keine Kompetenzen haben. Erst recht nicht auf Landesebene. Mehr als Parolen schreien können sie nicht. In Berlin ist die AfD zu großen Teilen aus Mitgliedern der CDU zusammengesetzt, sowie aus Neonazis. Wichtig ist es uns zu zeigen, wer diese Leute wirklich sind. Normale Leute, die aus Frust die AfD wählen, wollen wir damit erreichen. Leute, die Inhaltlich wirklich hinter ihnen stehen werden wir nicht erreichen können. Wollen wir aber auch nicht.

 

Hatte die AfD im Wahlkampf der Linken einen großen Raum?
Wir haben keinen expliziten Anti-AfD-Wahlkampf geführt. Das hätte ihnen Platz gegeben, den sie nicht verdienen. Antirassismus und Antifaschismus sind allerdings Teile unserer Partei. Negativ-Campaigning bringt aber nichts, denke ich. Das ist nicht unser Stil.

 

Ist die Gefahr, die von AfD, Pegida und ähnlichen Gruppen ausgeht, groß?
Ja. Sie schaffen es, sich in zivilgesellschaftliche Strukturen einzuschleichen und sind Elternvertreter und so weiter und so fort. So schaffen sie es, menschenfeindliche Positionen gesellschaftsfähig zu machen und zwar genau da, wo Kinder aufwachsen. Dagegen muss man angehen und breit zusammenarbeiten. Mit der CDU und der FDP haben wir vor der Wahl auch einen Konsens vereinbart, dass solche Parolen im Wahlkampf nichts verloren haben.

 

Wie weit ist der Prozess des sich in zivilgesellschaftliche Strukturen Einschleichens denn bereits fortgeschritten?
Da die AfD recht neu ist, hat sie sich noch nicht allzu stark in solchen Strukturen festgesetz, man darf das aber nicht unterschätzen. In rechten Think-Tanks sind sie in jedem Falle. Es gibt ja starke Verbindungen zu Jürgen Elsässer Magazin »Compact« und zur »Jungen Freiheit«.

 

Was wären die Folgen einer AfD in der Regierung?
Das wird nicht stattfinden. Man darf die AfD nicht größer reden, als sie ist. Sie ist eine Minderheit und niemand will mit denen was zu tun haben. Ich glaube auch nicht, dass sich das in nächster Zukunft ändern wird. Auch nicht bei der CDU. Das hoffe ich zumindest.

 

Woran fehlt es in Deutschland und der EU politisch, dass solche Gruppen Aufwind bekommen?
Es fehlt an einer starken europäischen Linken, die sich auf Europa bezieht und sagt, wir wollen ein starkes Europa. Es braucht eine Linke, die sich nicht zurückzieht, wenn es schwierig wird. Bestes Beispiel hier ist Syriza. Alle Linken waren begeistert; doch nachdem man sie gebrochen hatte, wollte niemand mehr etwas davon wissen. So jedoch wird sich die Linke in Europa marginalisieren.
Wenn man die Gesellschaft und Kräfteverhältnisse verändern will, dann braucht man einen langen Atem. Man muss Networken und sich in Organisationen festsetzen. Man muss, wenn es schwierig wird, Solidarität üben. Eine Linke die sich gegenseitig zerfleischt, keine Verantwortung übernimmt aber alles besser weiß, wird auf lange Sicht Europa nicht so verändern können, dass es ein für die Menschen lebenswertes Europa wird. Damit begünstigt man Entwicklungen, die sich nach rechts bewegen. Beste Beispiele sind Ungarn und Österreich, wo es an einer starken Linken fehlt.
Wir brauchen eine Linke, die keine kurzfristigen Erfolge verspricht, sondern die einen langen Atem hat um die Kräfteverhältnisse zu verändern und um den Neoliberalismus zurückzudrängen. Wir brauchen keine Linke als Hort der reinen Lehre, sondern eine realistische und reaktionsfähige Linke, die sich gegen die Entwicklung nach rechts stellt. Das sind die wichtigen Fragen: Wie verändert man das Denken der Leute? Wie ermutigt man sie, dass sie sich gegen die aktuellen Zustände wehren? Wie empowered man sie und wie schafft man Strukturen, dass das auch geht?
In der Berliner Linkspartei haben wir die »Landesarbeitsgemeinschaft Internationals« mit Leute aus allen Teilen Europas, die beispielsweise auch von Podemos, der KPF oder Syriza kommen, und uns in unserem Kampf unterstützen. Wichtig ist, dass man nicht mehr eine Randerscheinung ist, sondern dass man nach vorne kommt. Das bedeutet natürlich, dass man sein Sektenwesen aufgeben muss und sich mit realen und unmittelbaren Dingen zu beschäftigen hat. Sich außerhalb zu stellen bringt nichts. Eine Rückkopplung mit zivilgesellschaftlichen Strukturen und Organisationen ist wichtig.

 

Wie kamst du zur Linken?
Es war reiner Zufall, dass ich zur Linken kam. Anfang der 90er-Jahre war ich Bonn-Korrespondentin der »Jungen Welt«. Mich warb die PDS-Fraktion, also die Vorgängerin der Linkspartei, im Bundestag ab, für welche ich Referentin für Asyl- und Einwanderungsfragen war, sowie Beraterin des Vorstands. Ganz früher als Jugendliche war ich Mitglied der SPD, trat jedoch nach einem Jahr durch den Nato-Doppelbeschluss aus.

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