Rettet die Lobau: Ein Gespräch mit Jutta Matysek über den Kampf gegen Betonwüsten und Bleifüße Karl Reitter Foto: Privat
06 Oktober

Rettet die Lobau: Ein Gespräch mit Jutta Matysek über den Kampf gegen Betonwüsten und Bleifüße

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Seit 2003 setzt sich Jutta Matysek, Obfrau des Vereins »Rettet die Lobau - Natur statt Beton«, gegen die geplanten Autobahnen im Nordosten Österreichs ein. Im Gespräch mit der Volksstimme schildert sie die Mühen der Ebene.

Volksstimme: Die geplante Lobau-Autobahn ist nur ein Teilstück eines größeren geplanten Straßennetzes. Wenn das alles tatsächlich gebaut wird, was bedeutet dies für die Lobau, für die Anrainer*Innen und für das Leben in Wien?

Jutta Matysek: Die S1 Lobau-Autobahn ist Teil der TEN Nr.25. Das sind die sog. Trans European Network Axis. Wer glaubt, die Asfinag will einen »Ring um Wien« bauen, der möge ansehen, wo diese Mega-LKW-Gütertransport-Autobahn beginnen soll: in Danzig an der Ostsee. Von dort würden die LKW dann nach Wien rollen und in weiterer Folgen nach Budapest, Italien usw. Verkehrsstadtrat Rudolf Schicker erklärte 2001 in einer Presseaussendung den Bau einer Lobau-Autobahn »im Zuge der Bemühungen Wiens, sich als TEN-Knoten zu positionieren«, für notwendig. Während man im Westen Österreichs verzweifelt versucht, den LKW-Tansit und die dazugehörige Lärm- und Abgashölle wieder loszuwerden, bemüht sich Wien seit 20 Jahren, diese zu bekommen.
Zusätzlich droht noch eine S1-Spange und eine »Stadtstraße Aspern« (in Autobahndimensionen). Mitten durch Wohn- und Erholungsgebiete im 22.Bezirk - eine Autobahnverbindung zwischen der alten A23 und dieser Lobau-Autobahn/TEN 25. Mit einer S8 Marchfeldschnellstraße wäre dann noch eine »EUROPA-Spange« als Teil einer Ost-West Transitautobahn zwischen Bayern und Bratislava geplant gewesen. Die hat aber in der geplanten Form derzeit keine Genehmigung mehr.

Volksstimme: Ein Stückwerk also in der Betonversiegelung?

Alle Autobahnteilstücke werden in so kleine Teilprojekte geteilt und eingereicht, dass jedes einzelne mit seinen prognostizierten Umweltauswirkungen ganz knapp unter den Grenzwerten bleiben würde. Natürlich sind aber alle diese Teilautobahnen zusammen dann weit über den Grenzwerten.

Klimaschutz spielt im Rahmen der Umweltverträglicheitsprüfung leider keine wirkliche Rolle. Wolfgang Rehm von der Umweltorganisation VIRUS sagt im Verfahren zur Klimawirksamkeit des Lobau-Autobahn-Projekts: »Nach den vorgelegten Berechnungen der Asfinag steht die S1 für ein Szenario mit Zunahme der straßenverkehrsbedingten CO2-Emissionen im Untersuchungsgebiet von 60 Prozent. Dies entspricht rund 0,7 Prozent der österreichischen Treibhausgasemissionen. Das ist viel für ein Einzelprojekt und mit einem Klimakurs völlig unvereinbar!« (Siehe den Artikel dazu auf S. 30, AdR) Trotzdem wird so ein Projekt für umweltverträglich im Sinne des Gesetzes erklärt. Wie geht das? Die Behörde steht auf dem Standpunkt: Wenn hier mehr Treibhausgasemissionen verursacht werden, müssen sie von einem anderen Sektor wieder eingespart werden. Funktioniert nur nicht, denn die Zuwächse des Verkehrs fressen seit Jahren alle Einsparungen der anderen Sektoren auf.

Beim Bodenschutz wird analog agiert: Wenn man im Marchfeld kaum regionales Gemüse mehr anbauen kann, weil riesige Ackerflächen von den Autobahnen und dem durch sie verursachten Speckgürtel versiegelt werden, dann soll man sich halt das Gemüse von weiter her holen, hört man da.

Die Lobau-Autobahn würde an der breitesten Stelle mit zwei Tunnelröhren in der Länge von 8,5 Kilometern das Erdreich durchstoßen. Das wäre ein massiver Anschlag auf den empfindlichen (Grund-)Wasserhaushalt und ebenso auf die Trinkwasservorkommen in der Unteren Lobau. Wegen der »S1 Süßenbrunn bis Schwechat«, wie eine Lobau-Autobahn im Asfinag-Sprech genannt wird, droht die Weltnaturschutzunion (IUCN) bereits, die internationale Anerkennung als Nationalpark zu entziehen. Sie ist wegen der geplanten Lobau-Autobahn besorgt. Sie fürchtet erhebliche negative Auswirkungen auf den Nationalpark. Sie fordert zuerst Beweise, dass die Donau-Auen, insbesondere das Grundwasser, durch den Bau der Autobahn keinen Schaden nehmen, bevor diese bewilligt werden.

Volksstimme: Ist mit dem Projekt nicht die Daseins- und Katastrophen-Wasserversorgung ganz Wiens in Gefahr?

Mitten in einem aktiven Erdbebengebiet (geologischer Senkungsraum mit zahlreichen Bruchlinien) will die Asfinag zwei Tunnel mit je 15 Metern Durchmesser bauen. Dabei droht sie die bis auf 60 Meter in den Untergrund hinunterreichende Dichtwand des Tanklagers Lobau ganz unten mit dem Tunnel zu durchstoßen. Diese Dichtwand verhindert zur Zeit, dass der Grundwasserstrom die Ölverseuchung des riesigen Altlaststandorts »W12 Tanklager Lobau« in die im Untergrund der Lobau liegenden Trinkwasservorkommen trägt. Dieses qualitativ hochwertige Trinkwasservorkommen ist zur Daseins- und Katastrophenvorsorge für Wien gedacht. Wird die Dichtwand dicht bleiben, wenn in 60 Meter Tiefe zwei 15 Meter Durchmesser große Löcher hineingebrochen werden? Und danach? Zwei Tunnel mit den Erschütterungen von prognostizierten 61 100 Fahrzeugen täglich? Mitten im aktiven Erdbebengebiet? Schon kleinste Mengen an Öl im Wasser können dieses ungenießbar machen: Ein Tropfen Öl kann 600 bis 1000 Liter Wasser verseuchen. Eine Lobau-Autobahn zu bauen wäre wie russisches Roulette mit der Trinkwasser-Daseinsvorsorge kommender Generationen.

Volksstimme: Eine Belastung statt Entlastung durch eine Lobau-Autobahn also?

Im 22.Bezirk auf der Südosttangente droht laut Zahlen der Asfinag mehr Verkehr - nachzulesen in den Einreichunterlagen der Asfinag selbst zur Lobau-Autobahn und den dort enthaltenen Verkehrsuntersuchungen und Prognosen. Und die zeigen Zuwächse bei der Verkehrsbelastung. Das hat seinen Grund in den Phänomenen des induzierten Verkehrs und darin, dass es eben nicht nur zu Verkehrsverlagerungen kommt, sondern das Projekt auch Neuverkehr verursacht. Nachdem die Treibhausgasemissionen und das Verkehrsaufkommen direkt zusammenhängen, würden diese mit steigen. Es kommt also insgesamt zu Verkehrs- und Emissionszuwächsen.

Die Tangente wäre 2035 mit S1 genauso voll, wie sie 2025 ohne S1 wäre. Hinzu kommt, dass neben einer unverändert vollen Tangente auch der Lobautunnel relativ schnell an Kapazitätsgrenzen stoßen würde. So ergibt sich aus einer Staustundenermittlung bereits für 2035 (auf Werktage Montag bis Freitag umgelegt) – um es auf eine Zahl herunterzubrechen – eine Stunde Stau proWerktag. Im Detail: Fahrtrichtung Norden 161 Stunden/Jahr, Fahrtrichtung Süden 264 Stunden/Jahr – entspricht 26 bzw. 43 Minuten/Tag (Mo – So) auf Werktage umgelegt 36 bzw. 76 Minuten – zwischen Nord und Süd gemittelt 56 Minuten, also ca. eine Stunde. So steht es in der Projektunterlage WU-11, Ergänzung Staustunden 2035.

Volksstimme: Die einzelnen Straßen- und Autobahnteilstücke werden einerseits vom Bund, andererseits von der Gemeinde Wien errichtet. Erleichtert oder erschwert das den Widerstand? Gegen wen ist man hier genau widerständig? Wer steht aktuell hinter dem Vorhaben, wer treibt es maßgeblich voran?

Das erschwert den Widerstand. Die Stadtstraße ist ein Projekt der Stadt Wien, für alle anderen ist der Bund und damit die Asfinag zuständig. Die Asfinag ist eine AG, hat also – obwohl zu 100 Prozent im Staatseigentum - die Auflage, Gewinn zu machen. Mit neuen Straßen mehr Verkehr anzuziehen ist für sie Selbstzweck, denn sie lebt von der Maut. Bürger-Initiativen und Umweltorganisationen bekämpfen die Projekte in der Umweltverträglicheitsprüfung und in den nachgelagerten Materienverfahren: Wasserrecht, Naturschutz und Nationalparksrecht. Wir gehen durch alle Instanzen, schöpfen alle juristischen Möglichkeiten aus. Wir kämpfen mit unseren bescheidenen Mitteln, während die Projektwerberseite immer Geld wie Heu aus öffentlicher Hand für Anwälte, Gutachten und PR zur Verfügung hat. Die ÖVP-dominierte Wirkschaftskammer ist eine der größten Autobahnlobbyisten geworden. Ihre Mitglieder sind aber in der Mehrheit Klein- und Mittelbetriebe. Die haben vom Autobahnbau nur Schaden. Dennoch macht sich die WKÖ gemeinsam mit der Industriellen Vereinigung zum Werkzeug der Autoindustrie. In Wien ist leider die von SPÖ und NEOS regierte Stadt um nichts besser. Alle scheinen sie nur mehr autofanatische FPÖ-Wechselwähler*innen im Auge zu haben.


Volksstimme: Gibt es auf der rein formalen, juristischen Eben noch Hindernisse für den Bau, oder sind alle Genehmigungen und Prüfungsverfahren im Sinne der ASFINAG vorhanden? Anders gefragt: Können wir angesichts ausstehender Genehmigungen auf Verzögerungen hoffen? Ist sogar die Einstellung der Bauvorhaben realistisch?

Bei der S8 Marchfeld-Schnellstraße hat die Umweltseite die Zurückweisung in die erste Instanz erreicht - das ist ein großer Zwischenerfolg! Die Waldviertelautobahn wurde ganz gestrichen. Es ist also möglich!

Unabhängig von der zur Zeit stattfindenden Evaluierung der im Bundesstraßengesetz Anhang 2 umfassten Autobahnprojeke des Bundes durch die Verkehrsministerin Gewessler: Die laufenden UVP-, Wasserrechts- und Naturschutzverfahren gehen unvermindert weiter. Bei der S1 Lobau-Autobahn alleine sind das schon zehn Verfahren. Alle diese Verfahren könnten mit einem Schlag beendet sein, sobald es eine einfache Mehrheit im Parlament gegen das betreffende Projekt gibt. Das müssen wir erreichen. Jetzt, bevor es zu spät ist. Neben der juristischen Auseinandersetzung - die wir natürlich weiterverfolgen müssen - ist jetzt auch der Widerstand der Bevölkerung dringend notwendig: Auch wenn die Verfahren und die Evaluierung noch nicht ganz abgeschlossen sind, kann es sein, dass Vorarbeiten, Rodungen oder Bau von Bautrassen etc. begonnen werden! Bei der Stadtstraße läuft noch ein UVP-Änderungsverfahren, dennoch hat die Stadt Wien hier mit Bauvorbereitungsmaßnahmen begonnen, die jetzt von Aktivist*innen blockiert werden.

Wir hoffen – auch bei der betonversessenen, rot-pinken Wiener Stadtregierung - nach wie vor auf einen Sieg der Vernunft, des Klima- und Bodenschutzes. Juristischer Druck reicht nicht mehr. Jede*r ist aufgerufen, jetzt politischen Druck auf die Entscheidungstragenden auszuüben. Sei es durch Infostände, Briefe an Verantwortliche oder Medien, Demos, gewaltfreien zivilen Ungehorsam. Hainburg und Zwentendorf wurden auch im letzten Moment noch verhindert. Heute sind alle froh darüber! Meine Erfahrung ist, dass es nur dann breiten und langdauernden Widerstand geben kann, wenn die Menschen ausreichend informiert sind, warum sie gegen das Projekt sein sollen. Bitte helft uns, noch mehr Leute zu informieren! www.lobau.org oder auf der Facebook-Seite Stop Lobau-Autobahn! Oder am besten gleich beim Lobau-Camp in der Grünanlage Anfanggasse im 22.Bezirk, erreichbar mit dem 26er oder dem 22A.

Das Gespräch führten Maria Gössler und Karl Reitter

Jutta Matysek ist Obfrau und Sprecherin der BürgerInitiative »Rettet die Lobau - Natur statt Beton« Ehrenamtlich ist sie auch Radiomacherin bei Radio Orange, dem Freien Radio von Wien (Sendereihe »trotz allem«).

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