Karl Reitter im Gespräch mit dem Grazer KPÖ-Kandidaten Max Zirngast
Du kandidierst für den Grazer Gemeinderat auf der Liste der KPÖ. Was hat dich zu diesem Schritt motiviert?
MAX ZIRNGAST: Ich lebe seit meiner Rückkehr aus der Türkei in Graz und hatte von Beginn an gute Kontakte zur KPÖ. Eine der ersten Präsentationen meines Buches Die Türkei am Scheideweg fand im Bildungsverein der KPÖ Steiermark statt. Nach den ersten Monaten voll intensiver Reisen und Vorträge bin ich in der Zeit der Pandemie in Graz geblieben. Unsere Kontakte haben sich dann stetig vertieft. Letzten Herbst haben wir schließlich das YouTube-Gesprächsformat »Auf Augenhöhe« mit mir als Moderator gestartet. Seit März dieses Jahres bin ich auch in der Bezirksleitung der KPÖ Graz in die organisatorischen Abläufe involviert. Es war also ein organisches Zusammenwachsen, und das war gut so.
Mein Grundprinzip in der politischen Arbeit ist es, mich für die Interessen der großen Mehrheit der Bevölkerung einzusetzen, und zwar dadurch, dass möglichst viele Menschen eingebunden und aktiviert werden. In Graz gibt es die besondere Möglichkeit, diese Arbeit unter anderem auch im Gemeinderat und sogar im Stadtsenat zu machen, und genau das finde ich spannend und wichtig, wenn es um einen Wiederaufbau der kommunistischen Bewegung in Österreich und um Alternativen zum Kapitalismus geht.
Deine Kandidatur wird auch medial stark wahrgenommen. Wie wirst du diese Aufmerksamkeit nutzen? Welche politischen Inhalte willst du in den Vordergrund stellen?
MAX ZIRNGAST: Es ist ja zunächst einmal erstaunlich, dass die Erfolge der KPÖ in Graz und in der Steiermark in der bundesweiten Medienlandschaft relativ wenig Aufmerksamkeit bekommen. Diese werden wohl eher als unterhaltsames lokales Phänomen aufgefasst. Ich halte es für sehr wichtig zu zeigen, dass es Alternativen zum herrschenden System gibt. Es wird zwar viel kritisiert und bemängelt am herrschenden Politikbetrieb und an der Art und Weise, wie die Gesellschaft organisiert ist, aber sehr viele bleiben dann auf dieser eher zynisch-resignativen Ebene stehen.
Inhaltlich ist es so, dass heute die meisten Parteien ein neoliberaler Einheitsbrei mit kulturell verschiedener Einfärbung sind. Mir ist es wichtig zu zeigen, dass es möglich ist, auf einem Stadt- und Gesellschaftsentwurf zu bestehen, der sich den Kapitalinteressen nicht fügt und eine alternative Form der Politik darstellt.
Als Marxist weißt du über die Grenzen des bürgerlichen Parlamentarismus Bescheid. Was kann die KPÖ im Gemeinderat in Graz tatsächlich bewirken und was nicht?
MAX ZIRNGAST: Wichtig ist es, zwei Dinge festzuhalten: Die KPÖ ist ja in Graz durch das Proporzsystem auch im Stadtsenat vertreten und hat dort im Moment mit Elke Kahr und Robert Krotzer das Verkehrsressort und das Ressort für Gesundheit und Pflege über. Davor war es lange Zeit das Wohnungsressort, für das die KPÖ mit Ernest Kaltenegger und dann mit Elke Kahr zuständig war. Die KPÖ hat in diesen Ressorts und im Gemeinderat in den letzten Jahrzehnten Einiges bewegen können. Um nur ein paar Beispiele zu nennen: Es gab Pläne zum Verkauf der Gemeindewohnungen in Graz, wogegen die KPÖ mobilisiert hat und das verhindern konnte. Großprojekte des Bürgermeisters wie die Olympischen Winterspiele in Graz oder eine Gondel auf den Plabutsch, die niemandem außer dem Kapital etwas gebracht hätten, konnten ebenso verhindert werden. Aber auch wichtige soziale Initiativen wie Mietzinszuzahlungen, ein Bad für jede Gemeindewohnung, das Grazer Pflegemodell und der Ausbau des öffentlichen Verkehrs, nämlich der Straßenbahnlinien in den letzten Jahren durch Elke Kahr als Verkehrsstadträtin.
Dass all das in erster Linie gegen einen ÖVP-Bürgermeister und gegen diverse bürgerliche Mehrheiten stattfindet und deshalb im Handlungsspielraum begrenzt ist, ist klar. Aber ohne eine weitere Stärkung einer alternativen Politik auf kommunaler Ebene, auf Bundesebene, in- und außerhalb der offiziellen Institutionen wird es immer schwierig bleiben.
Du wurdest 2018 in der Türkei unter absurden Anschuldigungen verhaftet und warst mehrere Monate im Gefängnis. Erst im September 2019 wurdest du auch dank einer internationalen Solidaritätskampagne freigesprochen. In der Türkei werden nach wie vor Tausende aus politischen Gründen inhaftiert und gefoltert. Die EU und Österreich schweigen dazu. Kann deine Kandidatur dazu verhelfen, dieses Schweigen zu brechen?
MAX ZIRNGAST: Es geht jetzt natürlich in erster Linie um die Probleme und Interessen der Bevölkerung in Graz. Aber wir sehen ja auch auf Bundesebene, dass sich die momentane österreichische Regierung immer rechter aufstellt und sich sehr oft als Sprachrohr von aggressiven Tendenzen gegenüber Migrant*innen aber auch gegenüber unliebsamen Staaten positioniert.
Im Fall der Türkei ist es ein Doppelspiel: einerseits wird rhetorisch immer wieder scharf geschossen und Erdoğan als der große Feind Europas hingestellt. Andererseits kooperieren der österreichische Staat und das Kapital ganz gut mit der Türkei. Abschiebungen gerade auch von politischen Geflüchteten zurück in die Türkei nehmen stetig zu. Gegen diese verlogene Politik, die mit billigen Slogans zu Punkten versucht, sich aber gleichzeitig zu Erfüllungsgehilfen gerade der Staaten, die sie vorgeblich kritisiert, macht, gilt es auch im Interesse der österreichischen Innenpolitik zu kämpfen.
Max Zirngast ist freier Journalist. Er wurde im September 2018 in der Türkei verhaftet und im September 2019 freigesprochen. In Österreich gab es für ihn eine große Solidaritätskampagne. Bei den Grazer Gemeinderatswahlen am 26. September kandidiert er für die KPÖ.