Max Zirngast Karl Reitter Max Zirngast
29 August

Es gibt Alternativen zum herrschenden System

von

Karl Reitter im Gespräch mit dem Grazer KPÖ-Kandidaten Max Zirngast

 

Du kandidierst für den Grazer Gemeinderat auf der Liste der KPÖ. Was hat dich zu diesem Schritt moti­viert?

MAX ZIRNGAST: Ich lebe seit meiner Rückkehr aus der Türkei in Graz und hatte von Beginn an gute Kontakte zur KPÖ. Eine der ersten Präsentationen meines Buches Die Türkei am Scheideweg fand im Bildungs­verein der KPÖ Steiermark statt. Nach den ersten Monaten voll intensiver Reisen und Vorträge bin ich in der Zeit der Pandemie in Graz geblieben. Unsere Kontakte haben sich dann stetig vertieft. Letzten Herbst haben wir schließlich das YouTube-Gesprächsformat »Auf Augenhöhe« mit mir als Moderator gestartet. Seit März dieses Jahres bin ich auch in der Bezirksleitung der KPÖ Graz in die organisatorischen Abläufe involviert. Es war also ein organi­sches Zusammenwachsen, und das war gut so.

Mein Grundprinzip in der politischen Arbeit ist es, mich für die Interessen der großen Mehrheit der Bevölkerung einzu­setzen, und zwar dadurch, dass möglichst viele Menschen eingebunden und aktiviert werden. In Graz gibt es die besondere Mög­lichkeit, diese Arbeit unter anderem auch im Gemeinderat und sogar im Stadtsenat zu machen, und genau das finde ich spannend und wichtig, wenn es um einen Wiederauf­bau der kommunistischen Bewegung in Österreich und um Alternativen zum Kapi­talismus geht.

Deine Kandidatur wird auch medial stark wahrgenommen. Wie wirst du diese Aufmerksamkeit nutzen? Welche politischen Inhalte willst du in den Vor­dergrund stellen?

MAX ZIRNGAST: Es ist ja zunächst einmal erstaunlich, dass die Erfolge der KPÖ in Graz und in der Steiermark in der bundes­weiten Medienlandschaft relativ wenig Auf­merksamkeit bekommen. Diese werden wohl eher als unterhaltsames lokales Phä­nomen aufgefasst. Ich halte es für sehr wichtig zu zeigen, dass es Alternativen zum herrschenden System gibt. Es wird zwar viel kritisiert und bemängelt am herr­schenden Politikbetrieb und an der Art und Weise, wie die Gesellschaft organisiert ist, aber sehr viele bleiben dann auf dieser eher zynisch-resignativen Ebene stehen.

Inhaltlich ist es so, dass heute die meis­ten Parteien ein neoliberaler Einheitsbrei mit kulturell verschiedener Einfärbung sind. Mir ist es wichtig zu zeigen, dass es möglich ist, auf einem Stadt- und Gesell­schaftsentwurf zu bestehen, der sich den Kapitalinteressen nicht fügt und eine alter­native Form der Politik darstellt.

Als Marxist weißt du über die Grenzen des bürgerlichen Parlamentarismus Bescheid. Was kann die KPÖ im Gemein­derat in Graz tatsächlich bewirken und was nicht?

MAX ZIRNGAST: Wichtig ist es, zwei Dinge festzuhalten: Die KPÖ ist ja in Graz durch das Proporzsystem auch im Stadtse­nat vertreten und hat dort im Moment mit Elke Kahr und Robert Krotzer das Ver­kehrsressort und das Ressort für Gesund­heit und Pflege über. Davor war es lange Zeit das Wohnungsressort, für das die KPÖ mit Ernest Kaltenegger und dann mit Elke Kahr zuständig war. Die KPÖ hat in diesen Ressorts und im Gemeinderat in den letzten Jahrzehnten Einiges bewegen können. Um nur ein paar Beispiele zu nennen: Es gab Pläne zum Verkauf der Gemeindewohnun­gen in Graz, wogegen die KPÖ mobilisiert hat und das verhindern konnte. Großpro­jekte des Bürgermeisters wie die Olympi­schen Winterspiele in Graz oder eine Gon­del auf den Plabutsch, die niemandem außer dem Kapital etwas gebracht hätten, konnten ebenso verhindert werden. Aber auch wichtige soziale Initiativen wie Miet­zinszuzahlungen, ein Bad für jede Gemein­dewohnung, das Grazer Pflegemodell und der Ausbau des öffentlichen Verkehrs, nämlich der Straßenbahnlinien in den letz­ten Jahren durch Elke Kahr als Verkehrs­stadträtin.

Dass all das in erster Linie gegen einen ÖVP-Bürgermeister und gegen diverse bür­gerliche Mehrheiten stattfindet und des­halb im Handlungsspielraum begrenzt ist, ist klar. Aber ohne eine weitere Stärkung einer alternativen Politik auf kommunaler Ebene, auf Bundesebene, in- und außerhalb der offiziellen Institutionen wird es immer schwierig bleiben.

Du wurdest 2018 in der Türkei unter absurden Anschuldigungen verhaftet und warst mehrere Monate im Gefäng­nis. Erst im September 2019 wurdest du auch dank einer internationalen Solida­ritätskampagne freigesprochen. In der Türkei werden nach wie vor Tausende aus politischen Gründen inhaftiert und gefoltert. Die EU und Österreich schwei­gen dazu. Kann deine Kandidatur dazu verhelfen, dieses Schweigen zu brechen?

MAX ZIRNGAST: Es geht jetzt natürlich in erster Linie um die Probleme und Inte­ressen der Bevölkerung in Graz. Aber wir sehen ja auch auf Bundesebene, dass sich die momentane österreichische Regierung immer rechter aufstellt und sich sehr oft als Sprachrohr von aggressiven Tendenzen gegenüber Migrant*innen aber auch gegen­über unliebsamen Staaten positioniert.

Im Fall der Türkei ist es ein Doppelspiel: einerseits wird rhetorisch immer wieder scharf geschossen und Erdoğan als der große Feind Europas hingestellt. Anderer­seits kooperieren der österreichische Staat und das Kapital ganz gut mit der Türkei. Abschiebungen gerade auch von politi­schen Geflüchteten zurück in die Türkei nehmen stetig zu. Gegen diese verlogene Politik, die mit billigen Slogans zu Punkten versucht, sich aber gleichzeitig zu Erfül­lungsgehilfen gerade der Staaten, die sie vorgeblich kritisiert, macht, gilt es auch im Interesse der österreichischen Innenpolitik zu kämpfen.

Max Zirngast ist freier Journalist. Er wurde im Sep­tember 2018 in der Türkei verhaftet und im Septem­ber 2019 freigesprochen. In Österreich gab es für ihn eine große Solidaritätskampagne. Bei den Gra­zer Gemeinderatswahlen am 26. September kandi­diert er für die KPÖ.

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