Seit 1946 ist das Pressefest der KPÖ Anziehungspunkt für zehntausende BesucherInnen. Einen Streifzug durch die Geschichte von Wiens schönstem Volksfest unternimmt Manfred Mugrauer
Das Volksstimmefest im Wiener Prater ist die wichtigste Veranstaltung der KPÖ, die ihr über Parteigrenzen hinaus eine breitere Öffentlichkeit sichert. Benannt ist das älteste politische Fest in Wien nach der damaligen Tageszeitung der Partei, deren erste Ausgabe im August 1945 erschien. Das erste Pressefest fand ein Jahr später, am 11. August 1946, im Praterstadion statt. Hauptpunkt war das Fußballmatch zwischen der Vienna und dem tschechischen Sportclub Kladno vor mehr als 50.000 ZuschauerInnen. Die KPÖ hatte zuvor um die Überlassung des Wiener Stadtparks für ein »Volksfest« ersucht, was die Gartenbaudirektion jedoch im Auftrag des Bürgermeisters nicht genehmigte. Weitere Attraktionen des ersten Festes waren ein Leichtathletik-Frauenländerkampf zwischen Österreich und Ungarn und ein Auftritt des Rotarmistenensembles.
Vorbild »L’Humanité«
Ab 1947 wurde das kommunistische Pressefest auf der Jesuitenwiese und ab 1949 auch auf der Arenawiese ausgetragen, wobei jedes Jahr bis zu 150.000 BesucherInnen gezählt wurden. Vorbild dieses Volksfestes war das L’Humanité-Fest der Kommunistischen Partei Frankreichs, das in einem Grüngebiet in der Nähe von Paris stattfand. Der Anstoß dazu ging vom damaligen KPÖ-Funktionär Egon Lederer aus, der in den Jahren des Exils in Frankreich in der Widerstandsbewegung aktiv gewesen war. Nach der Einbeziehung der Arenawiese und der Verdoppelung des Geländes nahmen die Bruderorgane aus den sozialistischen Ländern Osteuropas mit eigenen Ständen und eigenen Programmen am Volksstimmefest teil. Die Pavillons der Bruderparteien blieben bis 1990 ein fixer Bestandteil der Festwiese.
Das Kulturprogramm der Volksstimmefeste zeichnete sich zunächst durch Unterhaltungs- und Tanzmusik sowie Spiel- und Volkstanzgruppen aus. Musikalisch fanden neben Blasorchestern und Wienerliedersängern auch Stücke aus Opern und Operetten Platz, zumeist dargeboten von SolistInnen aus den sozialistischen Ländern. Es gab Veranstaltungen auf mehreren Bühnen, verschiedene Sporteinlagen (etwa ein Blitzturnier der Ringer, Kunstturnen usw.), Varietés mit Akrobatik, ein Kino und in den ersten Jahren auch einen Kinderzirkus, Ponydressurnummern usw. Älteren FestbesucherInnen werden die Auftritte der politischen Kabarettgruppe »Die Ironiker« in den 1950er und 1960er Jahren in Erinnerung sein. Am Ende jedes Festes stand das große Feuerwerk.
Ein Höhepunkt des Festes im Jahr 1955 war die von Heinrich Sussmann organisierte Internationale Karikaturenausstellung, an der u. a. der französische Cartoonist Jean Effel teilnahm. Die Festarchitektur wurde in diesen Jahren u. a. von Wilhelm Schütte gestaltet. Conférenciers waren die Schauspieler Karl Paryla, Fritz Eckhardt, Otto Tausig und Fritz Muliar oder auch der Kabarettist und Volksschauspieler Karl Hruschka.
Von großer Attraktivität war die Tombola des Volksstimmefestes. Seit den 1950er Jahren waren dort Autos, Motorräder, Fernsehapparate und Waschmaschinen als Hauptpreise zu gewinnen. In den 1960er Jahren stieg die Anzahl der Tombola-Preise auf über 50.000 an. Die Preise wurden zum Teil von den Bezirks organisationen der KPÖ hergestellt. Ab 1961 gab es ein Vierfarbensystem, sodass alle Lose einer konkreten Farbe einen Preis zur Folge hatten.
Internationales Sportfest
Bis 1961 fand das Volksstimmefest an nur einem Tag statt. Hauptgrund für seine Erweiterung auf zwei Tage war das 1962 erstmals abgehaltene Sportfest, das sich zu einem wahren Publikumsmagneten entwickelte. Geburtshelfer des Sportfestes war der ungarische Boxchampion Laszlo Papp, der einen Schaukampf gegen den österreichischen Meister Leo Potesil bestritt. 13.000 ZuseherInnen waren gekommen, um den dreimaligen Olympiasieger live zu erleben.
Im Jahr 1963 stellte der sowjetische Olympiasieger Juri Wlassow mit 190,5 kg einen neuen Weltrekord im Gewichtheben auf. Auch in den Folgejahren entsandten die Sportorganisationen der sozialistischen Länder dutzende WeltklasseathletInnen zum Sportfest, wie den tschechischen Langstreckenläufer und Olympiasieger Emil Zátopek oder den Radsport-Weltmeister Gustav Adolf »Täve« Schur und den Boxer Henry Maske aus der DDR. In all den Jahren besuchten mehr als 100 OlympiasiegerInnen, Welt- und EuropameisterInnen das Volksstimmefest. Prominente Ehrengäste waren u. a. die Kunstturnerin und siebenfache Olympiasiegerin Věra Čáslavská, die Hochspringerin Ilona Gusenbauer und Hans Krankl (damals Rapid), die Autogrammstunden gaben.
Der Schwerpunkt des Sportfestes lag auf Judo, Amateurboxen und Gewichtheben, auch deshalb, weil der Sportredakteur der Volksstimme Kurt Castka zu den Verbandsfunktionären dieser Sportarten gute Beziehungen hatte. Der Kabarettist Werner Schneyder war einer der Ringrichter beim Boxturnier. Hinzu kamen das Schauturnen, Tischtennis, ein Volleyballturnier und das Radrennen »Rund um die Jesuitenwiese«, in dessen Verlauf Spitzenfahrer aus Österreich und den sozialistischen Ländern 25 Runden fuhren. 1975 spielte der regierende Schachweltmeister Anatoli Karpow simultan gegen 30 ÖsterreicherInnen, unter ihnen der Bildhauer Alfred Hrdlicka. Ab 1986 wurde der »Friedenskilometer« gelaufen: zehn Kilometer für erfahrene LäuferInnen und fünf Kilometer als »Volkslauf«.
Durch das Sportfest gelang es auch, den Medienboykott partiell zu durchbrechen. Das Volksstimmefest wurde weitgehend totgeschwiegen, die Teilnahme berühmter SportlerInnen an internationalen Wettkämpfen – die Box- und Judobewerbe wurden von den Weltverbänden anerkannt – konnte nicht mehr ignoriert werden.
Kulturelle Höhepunkte
Bis 1958 fanden die Volksstimmefeste Anfang August und 1959 sowie 1960 Ende August statt. Zwischen 1961 und 1973 wurde das Fest an den Beginn der Schulferien (Ende Juni bzw. Anfang Juli) vorverlegt, bis man es 1974 wieder am Wochenende vor Schulbeginn – also Ende August bzw. Anfang September – ansetzte.
Dominierten in den ersten Jahren des Festes Tanzmusik, das Rotarmistenensemble und Volkskunstgruppen das Programm, gab es in den 1960er Jahren einen Wandel in Richtung Jazz und Rock. Zu dieser Zeit spielten auch erstmals Bands am Fest auf, die für ein jüngeres Publikum attraktiv waren. Während Auftritte von Volkskunstgruppen aus Österreich sukzessive weniger wurden, blieben Folkloreensembles aus der Sowjetunion, osteuropäischen Ländern, Kuba usw. bis in die 1980er Jahre am Fest präsent.
In den 1970er Jahren verschwanden Parterreakrobatik, Opern- und Operettenmusik und Wienerlieder völlig aus den Programmen. Die Folklore wich immer stärker »widerständiger« Kultur. Heute erinnert einzig der Budweiser-Stand mit seiner Blasmusik an frühere Jahre. Kulturelle Höhepunkte waren die Auftritte u. a. der Berliner Brecht-Interpretinnen Gisela May und Sonja Kehler oder der deutschen Liedermacher Dieter Süverkrüp und Franz Josef Degenhardt. 1974 und weitere drei Mal stand der tschechoslowakische Sänger Karel Gott – die »goldene Stimme aus Prag« – auf der Hauptbühne des Volksstimmefestes. Seinem ersten Auftritt verdankt die Bühne ihr stabiles Dach, musste doch das mit ihm geplante Konzert im Vorjahr Regen-bedingt abgesagt werden, was sich 1974 nicht wiederholen durfte.
Seit 1981 findet das künstlerische Festprogramm auf vier Bühnen statt. Neben den »Schmetterlingen« traten hier u. a. Wilfried, Jazz Gitti und Harri Stojka auf. Nicht wegzudenken vom Volksstimmefest war Sigi Maron, der von 1979 bis 2014 so oft wie kein anderer zu hören war.
In den 1970er Jahren wurden nicht nur die musikalischen Angebote, sondern auch jene in den Bereichen Literatur und bildender Kunst erweitert. Seit 1975 findet die AutorInnenlesung »Linkes Wort« statt, bei der sich in den folgenden Jahren u. a. Elfriede Jelinek, Marie-Thérèse Kerschbaumer, Michael Scharang, Peter Turrini und Helmut Zenker beteiligten. Heute sind bei den auf der Sigi-Maron-Bühne stattfindenden Lesungen sowohl etablierte SchriftstellerInnen als auch NachwuchsautorInnen vertreten. Eine weitere kulturpolitische Initiative war die erstmals 1977 vom »Arbeitskreis Realismus« organisierte »Galerie Rotpunkt«, die am Fest Ausstellungen bildender KünstlerInnen organisierte. Der 1972 gegründete »Kommunistische Kulturkreis« präsentierte am Volksstimmefest über viele Jahre Ausstellungen, etwa zum Thema »Kommunistische Autoren Österreichs« (1974).
Bezirksstände und Solidorf
Das Rückgrat des Volksstimmefestes waren von Beginn an die Stände der Bezirks- und Betriebsorganisationen der KPÖ, die politische Information mit Unterhaltung und Kulinarik verbinden. Die Ausgestaltung dieser Stände war vom Ideenreichtum und der Kreativität der dort engagierten freiwilligen MitarbeiterInnen abhängig. Im Laufe der Jahrzehnte wurde bei den KPÖ-Ständen vielerlei Unterhaltung geboten: etwa Wurfspiele, ein Karussell, ein Kasperltheater, Glücksspiele, eine Kegelbahn, Eselreiten, eine Marionettenbühne usw. Ein bis heute beliebter Fixpunkt des Festes, für den die KPÖ Favoriten verantwortlich zeichnet, ist das Favoritner »Plattlspiel«, bei dem auch heuer wieder attraktive Preise zu gewinnen sind.
Viele KPÖ-Stände bieten auf Bücherflohmärkten politische Literatur an. Einnahmen können die Bezirksstände auch durch kulinarische Angebote erzielen. Von Mitgliedern und SympathisantInnen der Partei hergestellte Mehlspeisen entwickelten sich zu einem fixen Bestandteil der Festtradition. Bis heute machen die Bezirksstände der KPÖ den Charme des Volksstimmefestes aus. Nach wie vor sind die ehrenamtlich tätigen HelferInnen die tragende Säule des Festes.
1982 gab es am Volksstimmefest erstmals ein Lateinamerika-Solidaritätsdorf, in dem die verschiedenen Solidaritätsbewegungen zusammengefasst wurden. Nach dem Zusammenbruch der Staaten des realen Sozialismus musste sich auch das Volksstimmefest den neuen Umständen anpassen. Der Ausfall der Pavillons und Stände der osteuropäischen Parteizeitungen führte zur Konzentration des Festes auf der Jesuitenwiese. Das Feuerwerk wurde gestrichen. Nicht zuletzt aus finanziellen Gründen ist das Fest zwar kleiner geworden, einen Aufschwung nahmen jedoch das Solidaritätsdorf und die Initiativenstraße, wo sich heute etwa 100 fortschrittliche Initiativen und Organisationen präsentieren. Solidorf und Initiativenstraße prägen neben den Ständen der einzelnen KPÖ-Bezirksorganisationen maßgeblich das heutige Erscheinungsbild des Festes. Das Volksstimmefest ist bis heute die größte öffentliche Veranstaltung der KPÖ und bleibt das schönste Volksfest Wiens.