Die Beiträge von Dr. HELGA KROMP-KOLB zur Klimaproblematik, die seit Jahren vor der vernichtenden Entwicklung warnt, sind bisher auf wenig Gehör gestoßen. Hat das Thema im türkis-grünen Regierungsprogramm mehr Gewicht?
Die wissenschaftlichen Aussagen zum Klimawandel sind seit langem eindeutig; die Wissenschaft weist spätestens seit 1985 auf die Notwendigkeit einer Klimapolitik hin, um der Zunahme der Treibhausgaskonzentrationen durch Reduktion der Treibhausgasemissionen Einhalt zu gebieten. Vergebens. Erst die Schüler_innen, die in Sorge um ihre Zukunft auf die Straße gingen, änderten das Bild. Ganz deutlich in Österreich: Bei den Wahlen 2017 war Klima kein Thema, eineinhalb Jahre später dominierte es die Wahlen. Jetzt bemüht sich eine türkis-grüne Regierung, einen für beide Koalitionspartner tragbaren Weg zu finden.
Positive Klimaschutzansätze
Das Regierungsprogramm ist hinsichtlich Klimaschutz vielversprechend: Die Ziele, das Pariser Klimaabkommen umzusetzen, den von der neuen EU Kommission vorgeschlagenen Green Deal zu unterstützen und in Österreich bis 2040 auf Netto Null Treibhausgasemissionen zu kommen, sind aus wissenschaftlicher Sicht notwendig und zugleich ambitioniert. Es ist begrüßenswert, dass deren Erreichung die Verantwortung der gesamten Regierung ist, nicht nur bestimmter Ressorts. Das ist nicht nur politisch wichtig – auch der Bundeskanzler wird an der Zielerreichung gemessen werden, nicht nur der Vizekanzler oder die Umweltministerin –, es ist auch inhaltlich gerechtfertigt, werden doch in allen Ressorts Maßnahmen nötig sein, um die Ziele zu erreichen.
In diesem Sinn ist auch positiv, dass zentrale Klimaschutzmaßnahmen über verschiedene Ressorts verteilt sind, nicht alles einer Ministerin zugeteilt wurde. Dennoch wurde die Zusammenführung einiger Schlüsselbereiche im Umweltressort fortgesetzt – angesichts der fruchtlosen Diskussion über 140 km/h Tempolimits wahrscheinlich notwendig. Ein im Kanzleramt angesiedeltes Klimakabinett soll eine zentrale Steuerung der Klimapolitik ermöglichen. Grundsätzlich ist das begrüßenswert, allerdings hängt seine Wirksamkeit wesentlich davon ab, welchen Stellenwert der Kanzler diesem Kabinett zugesteht. Dazu gibt es derzeit keine Aussagen und naturgemäß keine Erfahrungswerte.
Steuern – klassisches Politikfeld
Ein ganz zentrales Element jeder Klimapolitik muss eine sozial-ökologische Steuer sein, d.h. eine Steuer, die das tut, was Steuern tun sollen, nämlich das Verhalten der Einzelnen, von Institutionen und der Wirtschaft steuern, d. h. lenken. Die Politik muss Rahmenbedingungen schaffen, die es einfacher und billiger machen, klimafreundlich zu handeln, als klimaschädlich. Das Freisetzen von Treibhausgasen muss etwas kosten, und zwar spürbar. Das trifft alle, die Produkte oder Dienstleistungen in Anspruch nehmen, die mit fossilen Energien erzeugt wurden – das sind derzeit praktisch alle. Im Schnitt werden die Mehrkosten für Wohlhabende höher sein als für Einkommensschwächere, weil diese weniger Leistungen in Anspruch nehmen. Aber selbst geringe Mehrkosten können für Einkommensschwache eine größere Belastung sein, als hohe Kosten für Wohlhabende. Daher muss darüber hinaus sichergestellt werden, dass wenigstens ein Ausgleich stattfindet, wenn dies nicht sogar als ein Instrument für die notwendige Umver teilung genutzt wird. Dementsprechend sind die lukrierten Steuereinnahmen einzusetzen. Es gibt verschiedene, auch bereits erprobte Möglichkeiten; welche gewählt wird, hängt von Wertvorstellungen ab und ist eine klassische Aufgabe der Politik.
Angesichts der Langfristigkeit der Aufgabe – es ist von den nächsten 20 bis 30 Jahren die Rede – wäre es vernünftig, bezüglich der Ausformung der sozial-ökologischen Steuer parteienübergreifenden Konsens herzustellen. Soll das Klima noch stabilisiert werden, müssen die Emissionen bis 2030 auf die Hälfte und bis 2040 auf Netto-Null gesenkt werden. Da kann man sich keinen Zick-Zack-Kurs bedingt durch Regierungswechsel leisten. Insofern macht es Sinn, sich dafür zwei Jahre Zeit zu nehmen, wie das im Regierungsprogramm vorgesehen ist. Tatsächlich sieht das Programm auch vor, die anderen Parteien einzubinden. Ob das allerdings auch für die Taskforce gilt, die zur Ausarbeitung der sozial-ökologischen Steuer vorgesehen ist, bleibt abzuwarten. Wichtig wäre überdies, dass in dieser Taskforce die Wissenschaft sehr stark vertreten ist, sollte es doch um von parteipolitischem Kalkül losgelöste Lösungen gehen.
Der Zeitfaktor
Dass die sozial-ökologische Steuer gegenüber den versprochenen Steuererleichterungen zeitverschoben umgesetzt wird, lässt allerdings befürchten, dass die zwei Jahre eher der Verzögerung dienen. Ein Kalkül könnte sein, dass der einen Partei die sofortigen Erleichterungen, und der anderen die potentiellen späteren Belastungen angelastet werden sollen. Damit würde Österreich, insbesondere der österreichischen Wirtschaft, ein schlechter Dienst erwiesen. Je später Planungssicherheit herrscht und je später die Treibhausgasemissionen reduziert werden, desto schneller muss es gehen und desto weniger sozial- und wirtschaftsverträglich wird der Prozess sein.
Das Regierungsprogramm sieht auch ein Klimagesetz mit CO2-Budget vor, d. h. dass festgelegt wird, wieviel Treibhausgase insgesamt noch emittiert werden dürfen. Das ist wichtig, weil dieser Ansatz auch dem Pariser Klimaabkommen zugrunde liegt und weil das wissenschaftlich die entscheidende Größe ist: Der Temperaturanstieg wird primär bestimmt durch die über die Jahre kumulierten Emissionen, nicht so sehr durch die Geschwindigkeit, mit der diese erfolgen. Dass alle Gesetze, Verordnungen, Förderungen etc. auf ihre Kompatibilität mit den Klimazielen geprüft werden, ist notwendig, es müsste nur auch sichergestellt werden, dass das Ergebnis handlungsrelevant wird.
Das Regierungsprogramm enthält noch eine Fülle sinnvoller und notwendiger Maßnahmen – etwa die klimaneutrale Verwaltung, die Vorbildrolle der öffentlichen Hand, den raschen Ausbau erneuerbarer Energien und des öffentlichen Verkehrs, das 1-2-3-Ticket, die dramatische Senkung des Flächenverbrauches, usw. Alle wesentlichen Handlungsfelder, die z.B. im Nationalen Energie- und Klimaplan angeführt sind, der als Referenz für die Politik und Gesellschaft von der Wissenschaft ausgearbeitet und publiziert wurde (Ref-NEKP), sind im Regierungsprogram angesprochen. Einige sind besser gelungen, andere weniger. So sind z.B. die Abschnitte zu Bildung und Forschung wenig innovativ, und auch die grüne Handschrift ist kaum erkennbar. Auch zur Einbindung der Bevölkerung findet man im Programm wenig Konkretes.
Druck auf Politik und Systemfrage
Als sehr problematisch müssen die Vorhaben zur fast vorbehaltlosen Digitalisierung angesehen werden, auch aus Klimasicht. Digitalisierung hat ungeheures Potential, die Ressourceneffizienz zu steigern, aber noch viel größeres, den Ressourcenverbrauch zu erhöhen. Damit die Digitalisierung tatsächlich einen Beitrag zu einer nachhaltigen Zukunftsentwicklung leistet, muss die Entwicklung gelenkt werden. Annehmlichkeiten, die jetzt niemandem fehlen, werden, wenn einmal zur Selbstverständlichkeit geworden, nicht mehr wegzubringen sein. Hier bedarf es vorausschauender Politik mit sehr viel Fingerspitzengefühl und die Einbindung unterschiedlicher Disziplinen und Stakeholder.
Ganz entscheidend ist natürlich die Frage, wie sichergestellt werden kann, dass das Programm auch umgesetzt wird. Ein wesentlicher Faktor für den Wahlerfolg der Grünen Partei war die Präsenz der Schüler_innen, später auch anderer Gruppierungen auf der Straße. Nur der Druck des Themas hat diese Koalition möglich gemacht. Es wird wichtig sein, dass die Umsetzung des Regierungsprogrammes in Hinblick auf die Klimapolitik kontrolliert und immer wieder eingefordert wird. Die Klimawissenschafter_innen werden die Entwicklungen jedenfalls sehr genau verfolgen. Angesichts der Kräfteverhältnisse in der Regierung und im Parlament muss aber der Druck auf die Politik trotz guten Programmes unbedingt aufrecht erhalten bleiben.
Abschließend sei noch die viel grundlegendere Frage angesprochen, ob die erklärten Klimaziele innerhalb des herrschenden Wirtschafts- und Gesellschaftssystems überhaupt erreichbar sind? Wenn man diese Frage mit »nein« beantwortet, dann muss man sich die Frage stellen, ob eine Ablöse des »Systems« so unmittelbar bevorsteht, dass man die Lösung der Klimaproblematik auf die Zeit nach einem Systemwechsel verlegen kann, denn die Zeit ist kurz. Dafür sind keine überzeugenden Anzeichen zu erkennen. Das bedeutet, dass man jedenfalls unter den gegebenen Randbedingungen beginnen muss. Setzt man einen ernsthaften Willen voraus, die Klimaziele zu erreichen, werden sich zwangsläufig Veränderungen im System ergeben. Die im Referenz NEKP dargelegte Vision gibt einen Hinweis darauf, wie solche Veränderungen aussehen könnten. Sie sind noch viel tiefgreifender, wenn man alle 17 nachhaltigen Entwicklungsziele der UNO (SDGs) mitberücksichtigt. Selbst diese Veränderungen mögen manchen nicht weit genug gehen. Aber von allen derzeit möglich erscheinenden Pfaden in die Zukunft erscheint der Weg über die Pariser Klimaziele und die SDGs als der erfolgversprechendste. Es wird eine der großen Herausforderungen der nächsten Jahre sein, die unvermeidbaren Veränderungen im gesellschaftlichen Konsens in nachhaltigere Bahnen zu lenken.
Helga Kromp-Kolb ist emeritierte Professorin an der Universität für Bodenkultur, Meteorologin und Klimaforscherin.