MELINA KEROU wirft einen Blick auf den von der GUE/NGL, der linken Fraktion im Europaparlament, veröffentlichten »Grünen und Sozialen New Deal für Europa«. Der Plan beharrt darauf, dass Klimaschutz und soziale wie wirtschaftliche Transformation Hand in Hand gehen müssen, soll eine Chance auf Erfolg bestehen.
CO2-Reduktion im Energiesektor
Durch den Vorschlag eines steileren Ziels in Form einer 70%igen Emissionsreduktion bis 2030 und einer gesetzlichen Bindung von Kohlendioxidneutralität an negative Emissionen bis 2050 kommt der Plan schnell zur Sache: der Forderung, alle Energiebereiche in öffentliches Eigentum zu überführen und die Bürger*innen an einer ›Klimaregierung‹ zu beteiligen. Es soll beim Übergang zu einem vollständig auf erneuerbaren Energien fußenden Energiesystem nicht mehr »Wachstum« und Profite für die Eliten der Wirtschaft generiert werden, während für die Arbeiter*innenklasse nur die Misere übrigbleibt. Es soll ein »gerechter Übergang« stattfinden, der dem Schutz der Natur einerseits, den Rechten und Bedürfnissen der Menschen andererseits Vorrang einräumt. Daraus ergibt sich alles Übrige: leistbare und verfügbare erneuerbare Energie mit staatlicher Preisregulierung für alle, kostenloser öffentlicher Verkehr, die Erfüllung verbindlicher Emissionsziele, nachhaltige Arbeitsplätze, verbesserte Lebens- und Arbeitsbedingungen, öffentliche Investitionen in neuartige und effizientere erneuerbare Energie, Kohlendioxidabscheidung und Technologien zur Müllverwertung.
Unternehmen vs. Klima
Die Hauptfeinde des gerechten Übergangs sind jene 20 Unternehmen, die fossile Brennstoffe erzeugen und für einen CO2-Ausstoß im Wert von fast 480 Milliarden Tonnen, umgerechnet einem Drittel aller Kohlendioxid-Emissionen seit 1965, verantwortlich sind. Dazu kommen die fünf größten fleisch- und milchproduzierenden Unternehmen, die zusammen die jährlichen Treibhausgas (THG)-Emissionen von Exxon, Shell oder BP übertreffen und die Giganten der agrochemischen Industrie, wie z. B. Bayer, die stickstoffhaltige Dünger und Spritzmittel produzieren und für den Großteil des in der Landwirtschaft anfallenden Distickstoffmonoxids (N2O) verantwortlich sind.
Der jedem Vorschlag für ein Klimaschutzgesetz zugrundeliegende Schlüssel besteht in der »Zähmung« dieser Industriegiganten, deren Bruttogewinne bei weitem das EU-Budget übertreffen, das für Klimaschutz vorgesehen ist. Die fünf größten börsennotierten Unternehmen (BP, Chevron, ExxonMobil, Shell, Total) geben jährlich 200 Millionen Dollar für Lobbying aus, um Klimaschutzpolitik zu verzögern oder offen zu blockieren. Dieser politische Hebel hat ihnen bisher ermöglicht, ihr ›Business as usual‹ fortzusetzen und sich enorme Summen via Steuerflucht zu ersparen. Gleichzeitig wandten sie nur magere Anteile an ihren Gewinnen für Straf- und Kompensationszahlungen aufgrund des Verursacherprinzips und für den äußerst problematischen Emissionshandel, und noch geringere für die Forschung im Bereich erneuerbarer Energien auf. Die Wiederaneignung des Energiesektors, eine der lukrativsten Quellen kapitalistischen Wachstums, kann deshalb nicht ohne die Rücknahme der neoliberalen Politiken, Regulierungen und Verträge erfolgen, die die Grundlage des Vorgehens der EU bilden. Bezeichnenderweise bestand eine der Forderungen der (aus Institutionen wie der Europäischen Zentralbank, der Europäischen Kommission und dem Internationalen Währungsfonds bestehenden) Troika gegenüber den von Austeritätspolitik und Krisen geschüttelten Ländern wie Griechenland in der Deregulierung und Privatisierung der staatlichen Wasser- und Energiesektoren. Darin besteht einer der bedeutendsten Kämpfe, mit denen die Linke konfrontiert ist.
Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion neu denken
Ein zweites, den gesamten Grünen und Sozialen New Deal für Europa der GUE/NGL ebenso wie den Grünen EU-Deal durchziehendes Thema ist die Notwendigkeit einer radikalen Veränderung der Lebensmittelproduktion. Die von der EU vorgeschlagene »Vom-Erzeuger zum-Verbraucher«-Strategie zielt darauf ab, die Landwirtschaft, den Fischfang und die angeschlossenen Distributionsketten in Richtung Nachhaltigkeit umzugestalten, während gleichzeitig der Lebensunterhalt von Bauern und Bäuerinnen und Fischer*innen gesichert ist.
Die damit verknüpften Probleme sind zahlreich und komplex: Die industrialisierte Landwirtschaft ist aufgrund von Überdüngung mit Stickstoffdüngern, einem Prozess, der auch die nitratbedingte Verunreinigung des Grundwassers verursacht, für 75 Prozent der von Menschen erzeugten Distickstoffoxid (N2O)-Emissionen verantwortlich, eines Treibhausgases mit einem um ein 300-faches höheren Erderwärmungspotenzial als CO2. Ein Großteil der Feldfrüchte wird zur Verfütterung an Tiere angebaut, um unsere zumeist auf Fleischkonsum abgestellte Ernährung aufrechtzuerhalten, was wiederum für 25 Prozent der menschengemachten Methanemissionen durch Rinder verantwortlich ist. Zusätzlich dazu setzt der veränderte Gebrauch des Bodens weg von Waldnutzung hin zu landwirtschaftlicher oder Weidenutzung Kohlenstoff aus der Erde frei.
Umstellung der Eiweißversorgung
Die Förderung organischer, kleinflächiger Landwirtschaft und die Sorge um das Wohlergehen der Tiere sind löblich. Der von der GUE/NGL vorgelegte Plan berührt ein weiteres heikles Thema: Wie kann ein Wandel in der Eiweißversorgung (»Proteine Transition«) herbeigeführt werden? Die weltweite Bevorzugung einer an tierischem Eiweiß reichen Ernährung, in Kombination mit der Bevölkerungswachstumsrate, ist nicht nachhaltig. Daher wird die Förderung einer gesunden Ernährung, die wenig tierisches Eiweiß enthält und aus leistbaren, lokal erzeugten Lebensmitteln besteht, die den transportbedingten CO2-Fußabdruck möglichst vermeiden und ohne die exzessive Verwendung von Kunstdüngern und Spritzmitteln erzeugt werden, eine ebenso große Herausforderung für die kommenden Jahre darstellen wie die Lebensmittelüberproduktion und -konsumtion in der westlichen Welt. Wie zu erwarten, sind unsere primären Gegner diejenigen, die die Lebensmittelproduktion kontrollieren: die fleisch- und milchproduzierende Industrie, die Giganten der Agrochemie, die für die Lebensmitteldistribution zuständigen Monopole. Angesichts des Scheiterns der jüngsten europaweiten Kampagnen zur Regulierung der auf Glyphosat basierten Unkrautvernichtungsmittel von Monsanto (jetzt im Besitz von Bayer) wird diese Umstellung alles andere als leicht werden.
Bodenschutz
Der Plan der GUE/NGL schlägt eine Rahmenrichtlinie zum Schutz der Böden vor. Bodenerosion als Folge von durch den Klimawandel bedingte unregelmäßige Niederschläge und Temperaturmuster verringert ebenso wie die Änderung der Bodennutzung infolge intensivierter Landwirtschaft und der Stadterweiterung ins Umland die Kapazität des Bodens, als Kohlendioxidsenke zu fungieren, d. h. CO2 zu binden. Die Abnutzung von bereits landwirtschaftlich genutztem Ackerland führt zu niedrigeren Ernteerträgen, wodurch wiederum mehr Dünger eingesetzt werden muss, um die Produktionsziele zu erreichen.
Die Neudefinition von Landwirtschaft als »Versorgung des Ökosystems«
Eine Umstellung auf organische Landwirtschaft mit nachhaltigen Praktiken wird zu verringerten Ernteerträgen führen, wenngleich begleitet von einer Verbesserung der Lebensmittelqualität. Einer Studie zufolge, die für England und Wales ein Modell-Szenario erstellt hat, ist im Falle einer Umstellung mit einer Verringerung der Ernteerträge um 40 Prozent und mit einer Reduktion der Emissionen um 20 Prozent zu rechnen. Das gefährdet das bäuerliche Einkommen, weshalb die Rolle der Bauern und Bäuerinnen neu bestimmt werden muss, die weniger als Lebensmittelproduzent* innen denn als »Dienstleister*innen am Ökosystem« gesehen werden müssen, deren Aufgabe etwa in der Wahrung der Biodiversität, der Anwendung von Techniken der Kohlendioxidbindung und der Bewahrung und Verbesserung der Boden- und Wasserqualität besteht, wofür sie von der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU (GAP) belohnt werden sollen. Dafür ist eine radikale Neuorientierung der GAP notwendig, weg von den extensiven und destruktiven monokulturellen Praxen der Vergangenheit, von einem problematischen Förderungssystem und der Begünstigung der Konzentration von Ackerland in den Händen von Konzernen und regionalen Monopolen.
Die globalen Folgen berücksichtigen
Der abschließende Punkt des GUE/NGL-Plans sieht eine radikale Veränderung der internationalen Rolle Europas vor. Weg von einem Manager von Freihandelsabkommen, die eine Zunahme von Exporten und steigendes Wachstum zum Ziel haben, und hin zu einem Garanten für Menschenrechte und Wegbereiter eines weltweiten ›Grünen und Sozial Gerechten Wandels‹. In erster Linie umfasst das den Rückzug aus destruktiven Projekten auf der ganzen Welt, etwas, was der EU derzeit nicht möglich scheint – siehe das jüngste Scheitern von Bestrebungen, die Investitionen von Siemens in die australische Kohlebergbauinfrastruktur zu verhindern. Der Ruf nach fairen und gerechten internationalen Handelsbeziehungen, die Klima- und soziale Ziele berücksichtigen, erfordert ein Abgehen von Vorstellungen des »unbegrenzten Wachstums«, wie sie in den EU-Gründungsverträgen festgeschrieben sind.
Schließlich sind die kühnsten Forderungen jene nach Schaffung des Status des »Klimaflüchtlings« und des internationalen Verbrechens des Ökozids, die lang erwartete Anerkennung einer schrecklichen Wirklichkeit, die schon längst menschliche Migrationsmuster hervorruft und die Welt, die wir kennen, verändert, wobei die Verantwortung für Verbrechen gegen die Natur in aller Deutlichkeit dem einzigen, sei es auch noch so verdeckten Verursacher zugeschrieben wird, dem Kapitalismus.
Melina Kerou ist Senior Scientist an der Universität Wien, Fakultät für Lebenswissenschaften, Department für Ökogenomik und Systembiologie.