POP & KRITIK: Ohne Reflexion ist die Pop-Kultur erledigt

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Wenn es um Kunst (bzw. Musik) und Politik geht bzw. um die Frage inwieweit ein Musik­stück nun »politisch« ist oder nicht und wieso und weshalb, dann sollte dabei nie vergessen werden, dass sich »das Politische« eines Kunstwerks nie »aus sich heraus« ergibt, son­dern dies erst aus der Kritik am jeweiligen Gegenstand, die ihrerseits dann wieder Kritik generiert, möglich ist. VON DIDI NEIDHART

Kritik als Spaßbremse

Gerade bei Pop-Musik sorgt die Frage, was denn an dem und dem Song oder Act nun »politisch« ist immer wieder für heftige Diskussionen, auch weil hier die jeweilige »Message« eher in den Beats und Sounds, als direkt in den Lyrics zu finden ist. Umso bezeichnender ist daher das Verschwinden von (Pop-)Musik-Kritik aus dem medialen Alltag. Zwar genoss diese Art der Kritik immer schon ein Nischendasein (als »Spe­cial Interest Magazines«), aber als 2018 langlebige Magazine wie New Musical Express, The Village Voice, Groove, Intro und zuletzt Spex der Reihe nach eingestellt wur­den (bzw. von Print ins Netzt wechselten) konnte das schon als Alarmzeichen angese­hen werden. Auch weil es bei all dem immer auch um (minoritäre) Vielstimmig­keiten, selbstermächtigte und selbster­mächtigende Diskurteilhaben und die (auch utopischen) Vorstellungen anderer Arten von Politik, Leben, Arbeiten und Kunst gegangen ist. Nicht umsonst nannte der US-amerikanische Pop-Theoretiker Greil Marcus Popmusik einmal »eine Diskussion bei der alle mitmachen können.« Dazu gehört aber auch, dass Pop-Musik ernst genommen wird – und schon hier wird es problematisch.

Pop-Kritik, die (zu viel) theoretisiert oder philosophiert, wurde immer wieder als Spaßbremse und unerwünschte Party ­crasherin betrachtet, die den geilen, unmit­telbaren Genuss mit Spitzfindigkeiten (Begehren versus Trieb, Wunsch versus Mangel, Track versus Song, Punk-Rock ver­sus Post-Punk, etc.) verderben will. Vor allem, wo sie ihrem Anspruch nach als »Pop-Theorie« auftritt, gilt sie als Gegenteil von all dem, worum es ihr im besten Fall doch eigentlich geht: Genusssteigerung in der Nichtunterscheidung von Theorie und Praxis, die sie u. a. vom Jazz und dem dort wirksamen Verhältnis von Theorie und der Praxis des Improvisierens gelernt hat. Dazu gehört aber auch die Erkenntnis, dass gerade Tanzmusik auch super »Denkmu­sik« sein kann (die US-amerikanische Gay Liberation der 1970er ist z. B. ohne Disco-Musik nicht denkbar).

Nur verhält sich ein Großteil der Pop-Kri­tik (gerade in Tageszeitungen, etc.) zu die­sen diskursiven Ansätzen jedoch immer öfter wie Helene Fischer (»Atemlos durch die Nacht«) zu Hildegard Knef (»Ich bin zu müde, um schlafen zu geh’n«). Sophistica­tion, Nerdtum, Bescheid- und Besserwissen, die Spitzfindigkeiten, Wortklaubereien, Begriffsklärungen und -genealogien ent­lang und wegen Pop-Musik stoßen nicht von ungefähr genau dort auf den größten Widerstand, wo Kultur (aber auch Ökono­mie und Politik) zur Natur erhoben und von deren Gesetzmäßigkeiten her erklärt wird. In diesem Zustand bedarf sie keinerlei Vermittlung durch Schrift, Exegese oder Kritik mehr. Die ihr gemäße Kommunikati­onsform ist die des direct-to-fan-mailing. Hinter dem Argument, Popkritik bzw. -theorie sei unverständlich (also: elitär) verbirgt sich auch das Missverständnis, dass sich Pop-Musik (als »populäre Kultur«) von selbst zu erklären hätte und bestenfalls noch – wie bei Casting- oder Chart-Shows – von Promi-Meinungen moderiert werden müsste. Elaborierteren und artikulierteren Formen wird vor diesem Hintergrund dann ja auch immer wieder unterstellt, sie wol­len Macht (also Herrschaft und Hegemonie) ausüben. Nur ist und war Pop noch nie so eindimensional. »Pop tritt als Geheimcode auf, der aber zugleich für alle zugänglich ist.« (Diedrich Diederichsen) Aber vielleicht untergraben ja gerade all diese verschwur­belten Texte (und die darin enthaltenen Geheimcodes) Macht- und Herrschaftsan­sprüche? Oder um es mit Dietmar Dath zu sagen: »Kunst behauptet nicht, wie irgend­etwas ist, sondern sie vermittelt, wie man sich dazu verhalten kann. Kunst teilt Per­spektiven mit.«

Ein anderes Leben im Falschen

Pop ging schon immer mit einem Verspre­chen einher – mit der non-verbalen, zer­fahrenen und verschwurbelten Vorstel­lung, etwas vom Richtigen im Falschen im Angebot zu haben (wie ebenso dessen Scheitern). Im Idealfall wollte Pop-Kritik dieses Richtige (und sein Scheitern) ausfin­dig machen, (auf-)zeigen, in den Diskurs bringen und zur Disposition stellen. Wo Pop nichts von all dem anzubieten hat (also weder die Ahnung eines Richtigen, noch sein Scheitern), ist Pop per se Teil des Fal­schen. Die Logik des Scheiterns besteht allerdings nicht darin, dieses Scheitern zu perfektionieren, sondern mit etwas jeweils Besserem im Gepäck zu scheitern. Das Ver­sprechen von Pop und Pop-Kritik zielt auf dieses Gepäck, auf Schmuggelwaren und Schwarzmärkte jenseits der Musik. Es geht um Kontextualisierungen jenseits der Musik (bzw. um das, was auch die raffinier­testen Youtube/Spotify-Algorithmen nicht leisten können bzw. wollen). Auch weil sich »das Subversive/Politische« von Pop-Musik nie allein nur aus der Musik heraus ergibt. Pop-Kritik müsse daher zunächst einmal fragen, wieso Pop auf so vielen Ebenen nicht mehr funktioniert? Wieso Pop als Angebot für marginalisierte und diskrimi­nierte Jugendliche nicht mehr länger attraktiv ist, so dass z. B. Neofaschismus und Islamismus zu Projektionsflächen (oder auch: Resonanzkörpern) für jugendli­ches Revoltieren wurden. Von daher sollte Pop-Kritik im Idealfall dort ansetzen, wo jene Perspektiven (bzw. Sprechpositionen) von denen aus es zu Vorlieben und Abnei­gungen kommt, unter die Lupe genommen werden. Wenn Philosophie jene Praxis beschreibt, bei der ein Buch über ein ande­res Buch geschrieben wird, ein Buch also zum Trigger für ein anderes wird, dann ist Pop-Kritik insofern Philosophie, insofern sie triggert und sich dabei gleichzeitig trig­gern lässt. Anders gesagt: »Nur mit Kritik schöpft Pop seine Möglichkeiten aus« (Klaus Walter). Das »Ungesagte in den Dis­kursen« (Foucault) kann dabei sowohl das offensichtlich Überhörte und Verdrängte sein, wie ebenso das, was erst von einer his­torisch nachgeordneten Warte aus über­haupt sag- und benennbar geworden ist (zum Beispiel standen sich Disco und Punk in Sachen »Queerness« und Genderdekon­struktionen eigentlich schon in den 1970ern nahe).

Everybody Could Do It

Schön und faszinierend an Pop-Kritik war ja, dass sie lange Zeit nach dem D.I.Y- Prinzip organisiert war und verfuhr (wodurch sie durchaus Ähnlichkeiten zur »freien Tätigkeit« in Sinne von Marx aus­weisen konnte). Noch gab es sie nicht als Lehrgang. Sie folgte der Idee von learning (& failing) by doing und entsprang einer klas­sischen Selbstermächtigungsidee, die von den Sci-Fi-Communities abgeschaut war: von Fans für Fans! Und weil Pop-Kritik ja über neue Sounds schrieb, erfand und erprobte sie neue Sounds des Schreibens – über Musik und all das, was in ihr und durch sie verhandelt wird. Wie jede Selbstermächtigung war auch diese nicht durch Institutionen (außerhalb des eige­nen Fantums) legitimiert, was sich in einem amateurhaften Gestus nieder­schlug. Das konnte zwar Adorno an der in seinen Augen musikwissenschaftlich eher unbeleckten frühen Jazzkritik überhaupt nicht leiden, ließe sich popistisch verstan­den mit Marx aber auch so definieren: »heute dies, morgen jenes zu tun […] nach dem Essen zu kritisieren, wie ich gerade Lust habe, ohne je […] Kritiker zu wer­den.« Mit der sich selbst ermächtigenden Fan-Kultur, von der aus das Scheiben über Pop einmal seinen Ausgang nahm, hat all das nicht mehr viel zu tun – weshalb sich auch die beste und faszinierendste Pop-Kritik schon lange jenseits von diversen Printerzeugnissen zwischen Blogs und Youtube-Kanälen findet: Als Fantum im Sinne einer sich stets (ver)wandelnden Rezeptionskultur zwischen Verweishöllen und Referenzwucherungen aus Sekundär­wissen, privaten Mythologien und einem entgrenzten Schreib- wie Lesefluss. Aller­dings bedeutet Selbstermächtigung unter den neoliberalen Dispositiven rein ökono­mistisch agierender Ich-AGs mittlerweile vor allem Selbstoptimierung. Das ist nicht mit dem Pop-Versprechen »I’m With The Band« zu verwechseln, da diese (wenn auch radikal subjektiv ausagierte) teilneh­mende Beobachtung immer ein Kollektiv, eine Kollektivierung vor Auge hatte, wohingegen der Selfie-Pop-Journalismus sich selbst als Ware (Trademark, Brand), die sich über andere Trademarks/Brand (Acts, Bands, Stile oder Genres) definiert, nicht jedoch über das, was jenseits von deren Angesagtheit noch darüber zu sagen wäre oder jedenfalls gesagt werden könnte. Die »Pop-Kritik«, die hieraus resultiert, gibt sich daher immer unver­hohlener als Mix aus Begleittext, Wiki pedia-Eintrag und lustlos zusammengestoppeltem Schulaufsatz zu erkennen. Ihre Farblosig­keit gibt eigentlich nur noch über den lau­fenden Stand der Verbeamtung von Pop Auskunft. Sie ist Pop-Akademie-Schreibe von und für Pop-Beauftragte.

Warum überhaupt?

Und dann gibt es noch die bekannte normative Kraft des Faktischen bzw. »The cold hard facts of life« und die Fragen u. a.: Was soll das alles überhaupt innerhalb der Kreativwirtschaft für einen Sinn machen? Braucht es so was wie Kritik/Reflexion überhaupt noch? De facto erschöpft sich die Funktion von Medien (Print wie Digital) innerhalb eines neoliberal definierten Rahmens mittlerweile fast ausschließlich in der Produkt-Promotion. Ein »Direct-to- Fan-Marketing« funktioniert auch ohne dazwischen geschaltete Kritik. Nicht umsonst warb der Streaming-Dienst Deezer in (pop-kulturell angehauchten) Print-Medien mit der längst rhetorisch geworde­nen Frage: »Warum über neue Alben lesen, wenn man sie gleich hören kann?« Das erinnert nicht von ungefähr an jene Ideolo­gie, die schlussendlich auch zu »Message Control«, Expert*innen-Bashing und der Außer-Kraft-Setzung/Umgehung von soge­nannten »Quasselbuden« (also der grund­sätzlichen Mehr/Vielstimmigkeit politi­schen Lebens) führt. Kritik mag nicht immer nützlich sein (im Sinne von verwert­bar, quantifizierbar, monetarisierbar), aber sie ist notwendig, das wusste auch schon Oscar Wilde, als er postulierte: »Die Kritik schafft die geistige Atmosphäre des Zeit ­alters.« Und diese geistige Atmosphäre zeigt sich dann auch in ihrem Verhältnis zu Kritik.

Der vorliegende Text ist das gekürzte Update eines 2017 unter dem Titel »Melancholy Babes on an Unsentimental Journey. Fragmente einer Flaschen­post« erschienenen Essays für testcard. beiträge zur popgeschichte #25: »Kritik«

Didi Neidhart ist ehemaliger Chefredakteur von skug – Journal für Musik, Autor (u. a. »Musik= Müll«, zusammen mit Hans Platzgumer, 2012), Musiker (Discozma, Low Profiler) & DJ lebt in Salzburg.

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Gelesen 6675 mal Letzte Änderung am Freitag, 26 Juli 2019 15:25
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