Die entscheidende Differenz zwischen Herrschenden und Beherrschten, Vertriebenen und TäterInnen, jenem Volksmusiker, der die Töchter in der Hymne außen vor lässt, aber das Eiserne Kreuz ehrt und den »Fridays for Future«, den »artists for future« wird wissenschafts-poetisch gezeichnet. Musik ist politisch, vielfältig, wie die Geschichte es bietet.
IRENE SUCHY
»Hier wird der Prozess exekutiert, dem Musik unterworfen ist, wenn sie Staatsmusik wird.« Das postuliert Otto M. Zykan 1969 und erkennt in Arnold Schönbergs Ausspruch ›Ich habe eine Erfindung gemacht, die die Vorherrschaft der deutschen Musik für die nächsten hundert Jahre sicherstellt‹ ideologisches und musikalisches Material für seine Komposition »Polemische Arie«. »Die politische Absicht ist mit der Bezeichnung ›Staatsmusik‹ vordergründlich deutlich abgesteckt. Damit ist nicht nur die subventionierte, sinnentleerte, staatserhaltende Kulturraserei, sondern auch jene härtere Konsequenz wie Nationalismus gemeint«, schreibt Zykan. Nicht nur die Sprache ist das Material für eine Komposition, die den Herrschaftsanspruch entlarvt, sondern auch die Geste: aus der »unverbindlichen Dirigiergeste« des Performers wird der »verbindliche Hitlergruß«, eine »fast unzweideutige Aktion der Bedrohung«.
»Volks Rock ’n’ Roller«
Zykan vertont den Herrschaftsanspruch Arnold Schönbergs. Es mag relativierend angefügt sein, dass Schönberg dies niemals geschrieben, sondern bloß mündlich geäußert hat. Wenn Musik Herrschaft ausüben will, bedient sie sich der Herrschaftssymbole: Das CD-Cover zu Andreas Gabaliers Album »Volks-Rock ’n’ Roller« zeigt eine seltsame Pose: der Mann steht da in Lederhosen auf dem rechten Bein, das linke woll-bestrumpft abgewinkelt in der Höhe haltend, den rechten Arm abgewinkelt nach vorn, den linken ebenso abgewinkelt ins die Höhe haltend: vier Winkel-Haken, ein Haken-Kreuz. Sexualisiert wird das schwarz-weiß Cover durch ein rotes Tüchlein, das dem Verrenkten aus der Leibmitte zwischen den Beinen baumelt.
Wer wahrnimmt, muss nicht von Zufällen oder Unbewusstheiten überzeugt werden, wer wahrnimmt, erkennt Ideen und Ideologien, Geisteshaltungen. Herrschaftsansprüche gehen über Worte, über Genres und Besetzungen. Gabalier singt vom Dirndl, das er sich auf den Schoß setzt und hebt die Männerkameradschaft wörtlich in den Himmel, auf einen Berggipfel, gleich neben das Eiserne Kreuz, er lässt die Töchter in der österreichischen Nationalhymne beim Singen aus und sagt, er hat allergrößten Respekt vor Frauen, nicht ohne Gender-Wahn und Gender-Verseuchtheit anzuprangern. Gabalier postuliert ein Volk, sieht sich als dessen Vertreter, und will doch der Vor-Sänger sein, »der Volks Rock ’n’ Roller«; er redet einer regierenden Klasse nach dem frommen Mund und weimperlt sich bei den Militaristen des Landes ein: »Wie ein Eisernes Kreuz, das am höchsten Gipfel steht und selbst dem allerstärksten Sturmwind widersteht.« Er schreckt nicht davor zurück, auch Homophobie zu besingen. Dass seine Musik politisch ist, verneint er. »Die Hallen sind voll, die Leute sind begeistert, ich sage immer: Es geht um die Musik — und fertig.«
Musik und Militarismus
Politisch gesehen gibt es keine gute Musik, militaristische Lieder können zur Grundlage einer Messe werden, die Nazis feiern anno 1941 das bis dato größte Mozart-Fest. Politisch gesehen gibt es auch keinen Missbrauch, nur den Gebrauch der Musik: Liszts »Les Preludes« wird für Generationen nicht den Anklang an den Kriegsanzettler, das Deutsche Reich, verlieren. Das Hauptthema wurde verwendet als Erkennungsmelodie für Wehrmachtsberichte in Rundfunk und Wochenschauen, erst in den 1980er Jahren wurde es bei Karlheinz Stockhausen in seiner Oper »Montag« zu Luzifers Zorn.
Liszt selbst stellt dem Werk eine kriegerische Aussage voran:
»Was anderes ist unser Leben, als eine Reihenfolge von Präludien zu jenem unbekannten Gesang, dessen erste und feierliche Note der Tod anstimmt? Dennoch trägt der Mann nicht lang die wohlige Ruhe inmitten besänftigender Naturstimmungen, und ›wenn der Trompete Sturmsignal‹ ertönt, eilt er, wie immer der Krieg heißen möge, der ihn in die Reihe der Streitenden ruft, auf den gefahrvollsten Posten, um im Gedränge des Kampfes wieder zum ganzen Bewusstwerden seiner selbst und in den vollen Besitz seiner Kraft zu kommen.«
Symphonische Musik und Herrschaft
Dass die Musik einstimmen kann, in das Gebrülle der Herrschenden, hat sie bewiesen: Sie marschiert im Gleichschritt, umnebelt absurde Texte, wie jene von »toten Kameraden, die im Geiste mitmarschieren«. Sie glättet die Gewalt, tränkt Humor und Ironie im Pathos der Macht, sie richtet die Augen des Publikums in die gleiche Richtung, möglichst hinauf, auf ein Podest, wo die Macht und deren Musik ruht, wo der Dirigent den wortlosen Einsatz gibt.
In der Zeit des Paktes des japanischen Kaiserreiches mit dem deutschen Reich und dem faschistischen Italien stieg die Produktion und Aufführung symphonischer Musik in Japan sprunghaft an: So zeigte Japan seine Ebenbürtigkeit, mit einer Musik, die die Gesellschaft einte, verband und erhob so wie die Streicher im gemeinsamen Abstrich und Aufstrich; die Musik, geleitet von einem Führer mit unumschränkter Autorität, erschien Japan als adäquate Antwort auf die politischen Umstände. Konsequenter Weise waren die japanischen Führer des Musiklebens der 1940er Jahre verwandt oder eng verbunden mit der politischen Elite des Landes.
Kann Musik auf Seiten der Herrschenden gut sein?
Die Frage bleibt: Hat die politische Dimension der Musik etwas mit ihrer ästhetischen Qualität zu tun; ihre Antwort setzt das Eingeständnis einer politischen Botschaft voraus. Politiker, nicht nur Diktatoren, sollten sich hüten, ästhetische Einschätzungen abzugeben; selbst Bruno Kreisky irrte, als er den TV Film »Staatsoperette« anno 1977 von Zykan und Novotny die Qualität absprach. Die Musik geht oft unter, wenn der Inhalt den Mächtigen nicht gefällt, un-genehm ist, das bewies die Neuauflage »Staatsoperette – die Austrotragödie« anno 2016 bei den Bregenzer Festspielen.
Wie leicht hat es Musik, die sich auf die Seite der Führenden stellt, sie stellt sich nicht dem Publikum, sie braucht keine ästhetischen Kriterien, entgeht der Kritik. Erst wenn die Macht entglitten ist, muss sie bestehen. Sie darf wieder aufgeführt werden, jedoch ähnlich kontextualisiert wie Straßenschilder. Ein wenig Aufmerksamkeit täte gut, wenn Jubiläen und Feste gefeiert werden, ob die Musik der NS-Funktionäre aufgeführt werden soll oder nicht doch das Werk eines ins Exil vertriebenen Musikschaffenden besser passen würde.
Wie schwer hat es Musik, die un(an)genehm ist: wenn Diktatoren über Musik urteilen und sich hinter anonymem Stellungnahmen verstecken, wie es Stalin tat, als er Schostakowitsch kritisierte, was dem Versuch einer Vernichtung gleichkam.
Musikwissenschaft, ja Musikhören bewertet nicht, aber erkennt, nicht als Verurteilung sondern als Wahrnehmung, in Distanz und Unvoreingenommenheit, so genau wie unbestechlich, abseits der Liebhaberei und der Gefolgschaft. Musik bewegt und Bewegungen sind politisch, lange bevor Parteien sich diese Bezeichnungen ausliehen.
Kritik an Österreichs Musikwelt: eine leise politische Stimme
Es ist eine besondere Säumigkeit in der Musikwelt, eine politische Position einzunehmen, die sich auf die Seite der Schwächeren stellt. Während die Jugend an den »Fridays for Future« für einen Wandel des Lebens auf- und eintritt, sich ihr die »scientists for future« anschließen und die »artists for future«, fehlen die »composers for future«. Während die Dichter und Dichterinnen Österreichs sich konsequent dafür einsetzen, bedrohten Kolleginnen und Kollegen eine politische Stimme zu verleihen, schweigen die Musikschaffenden. Die Grazer AutorInnen Versammlung protestiert gegen rechte Versammlungen und setzt sich für Subventionen von Kulturinstitutionen ein, sie artikuliert Wünsche nach der Besetzung von Kulturbeiträten, sie erhebt ihre gemeinsame Stimme für Pressefreiheit und Demokratie, für den Erhalt des ORF-Funkhauses oder die Unabhängigkeit des ORF. Die Dichter und Dichterinnen Österreichs sind öffentliche Stimmen für den Erhalt des Unesco Weltkulturerbes, für Kulturberichterstattung im ORF, sie nehmen Stellung, was Spielpläne betrifft oder die Verunglimpfung von Kunstschaffenden.
Die Musik als Schlüssel zur Welt ist die leiseste und zögerlichste Kunst, auch was eine Gender-Balance Musik anbelangt. Während die Filmszene für eine Quote eintritt, die Kunstmessen nun schon ganz selbstverständlich Künstlerinnen und Künstler in gleicher Anzahl vertreten, ist die Musikszene erst langsam am Weg. Die europäische Initiative Keychange.eu, die ein genderbalanciertes Musikleben in Europa anstrebt und auch von Europas Kulturprogramm creative europe kofinanziert wird, ist in Österreich noch wenig bekannt: erst ein Festival, Waves Vienna, hat sich angeschlossen.
Und seltsam, kaum kommt das Thema Komponistinnen auf, wird nach der Qualität gefragt …
Als ahnten sie noch nicht, welchen Zauberstab Komponisten und Komponistinnen in der Hand haben, der ihnen in der Geschichte allzu oft aus der Hand genommen wurde. Sie haben es oft im Applaus der Diktatoren kaum bemerkt. Die Erkenntnis von Verantwortung in der Musik hat jetzt wieder in der Popmusik begonnen, gerade hat Jens Balzer sein Buch dazu publiziert. Wie wundersam würde eine gemeinsame Stimme der Musikschaffenden klingen!
Irene Suchy ist Autorin, Ö1 Redakteurin, Ausstellungskuratorin und Lehrbeauftragte