Bau auf Pump ASFINAG 2020-02

Bau auf Pump

von

Klima, Autobahnen, Lobautunnel & Co. Ein Beitrag von Wolfgang Rehm (Umweltorganisation Virus) zu den Umweltsünden von Asfinag und politisch Verantwortlichen

Im Sommer 2021 hat ein seit Jahrzehnten ausgetragener Konflikt um das für die konservative Politik besonders prestige­trächtige Autobahnneubauprogramm einen neuen Höhepunkt erreicht. Österreich hat ein bereits sehr dichtes Autobahnnetz, aber endlose Polit-Wünsche nach Autobahnen und Schnellstraßen. Diese A- und S-Straßen sind in den Verzeichnissen 1 und 2 des Bundesstraßengesetzes verankert, das den Auftrag zur Umsetzung dieser Netz ­elemente lediglich grundsätzlich regelt. Was wann gebaut werden soll, legen die jeweiligen Rahmenpläne von Verkehrs- und Finanzministerium fest.

Wunschkonzert der Landeshauptleute

Diese Pläne wurden bisher jedoch nicht auf Basis verkehrswissenschaftlicher Grund­lage erstellt, sondern sind im Ergebnis ein Wunschkonzert der Landeshauptleute. Die ehemaligen Bundesstraßen B wurden 2002 »verländert«, die Zweckbindung der mit ­übertragenen Mittel bereits 2008 wieder aufgehoben. Die fatale Folge: Die Länder planten großzügig neue Straßen, um sie dem Bund umzuhängen und so zwar insge­samt mehr Kosten zu verursachen, aber die eigenen Budgets zu schonen – eine Art von »Beutezug« auf Bundesmittel.

Die äußerst umstrittenen Projekte S8 im Marchfeld und S34 im Traisental sind Bei­spiele dafür. Gebaut wird am Autobahnnetz allerdings nicht mit vorhandenen Budget­mitteln, sondern auf Pump. Der Effekt: Die Autobahngesellschaft Asfinag hat bis zu zwölf Milliarden Euro Schulden angehäuft, für die die Republik haftet. Der einzige Grund, die Asfinag als privatrechtlich orga­nisierte Aktiengesellschaft auszulagern war, dass diese Schuldenberge nicht bud­getwirksam werden. Es handelt sich aller­dings nicht um eine normale AG im Eigen­tum des Bundes. Damit diese eine Bilanz legen kann, wurden die Fruchtgenuss­rechte an den Autobahnen der Asfinag übertragen. Sondergesetze und Verträge regeln das Innenverhältnis.

Was passiert, wenn ein Vorstand die Anpassung des Bauprogramms an die wirt­schaftliche Leistungsfähigkeit des Unter­nehmens fordert, machte der damalige Minister Faymann klar, als er 2007 den ganzen dreiköpfigen Vorstand der Asfinag Holding ausgetauscht hat. Er war es auch, der viele Projekte im Bauprogramm um Jahre nach hinten verschoben hat. Jahre­lang überstiegen die Ausgaben die Maut ­einnahmen und es wären zusätzliche Milli­arden an Schulden entstanden, wenn die Projekte wie geplant baureif geworden wären. Die Frage, was passiert, wenn die jahrzehntelangen Rückzahlungen und die Mauteinnahmen nicht den Erwartungen entsprechen und wie groß das System wer­den kann, um überhaupt den Erhaltungs­aufwand bewältigen zu können, bleibt offen.

In Folge der Finanzkrise 2008 hat Minis­terin Bures 2009/2010 eine Evaluierung durchführen lassen, »praktischerweise« gleich durch die Asfinag selbst – mit wenig Effekt, neben Verschiebungen ergaben sich eine Teilung der ehemaligen A23-Verlän gerung in die S1-Spange Seestadt (Lobau autobahn-Zubringer) und die Stadt­straße Aspern, deren Konzept als Nadelöhr zwischen zwei Autobahnen zu Recht angezweifelt wurde und wird.

Heiße Kartoffel Evaluierung

Im Regierungsübereinkommen des Kabi­netts Faymann II (2013–2016) war eine neuerliche Evaluierung des Bundesstra­ßenbauprogramms vorgesehen, aber gleich vier Minister von Bures über Stöger, Klug bis Leichtfried ließen die Finger davon. Dies sei deshalb erwähnt, weil einen Tag vor der großen Wiener Klimade­monstration am 2.7.2021 der Kurier die Meldung in die Welt setzte, dass Klima­schutzministerin Gewessler eine Evaluie­rung des Neubauprogramms vornehmen ließ und einen »Baustopp« verhängt hätte. Dass dieser Prozess bereits lange lief und dass kein Projekt baureif war, wurde in diesem Einsatz von medialer Macht igno­riert. Nun wurde so getan, als sei es plötz­lich etwas Verwerfliches, wenn die Minis­terin ihre Kontrollrechte ausübt und wei­ters den im Regierungsübereinkommen verankerten Klimacheck mit Leben erfüllt, so als gäbe es keinen politischen Gestal­tungsspielraum und wäre die aktuelle Ministerin nun quasi entmündigt. Es folg­ten fragwürdige »Rechtsgutachten« der Wirtschaftskammer, Klagsdrohungen, man beschwor die Unabhängigkeit einer Aktiengesellschaft und schreckte nicht davor zurück, mit Verfassungswidrigkeit und dem strafrechtlichen Vorwurf des Amtsmissbrauchs aufzufahren. Nun ist Leo­nore Gewessler Klimaschutzministerin und es wird ihr neues Super-Ressort nicht ohne Grund als bmk abgekürzt. Diese Schwer­punktsetzung ist auch bitter nötig – ist, kurz gesagt, Österreich doch Klimaver ­sager #1 und hat in den letzten Jahrzehnten alle auch nur moderaten Reduktionsziele für Treibhausgasemissionen (wie das Kyoto Ziel) verfehlt, nie signifikant das Ausgangs­niveau unterschritten, aber zwischenzeit­lich Zuwächse bis zu 18 Prozent zu ver­zeichnen gehabt. Verantwortlich dafür ist praktisch im Alleingang der Verkehr, und hier stoßen nicht nur sämtliche wirksame Gegenmaßnahmen auf Blockadehaltung, sondern wird mit Kahlschlag beim Öffent ­lichen Verkehr im ländlichen Raum und exzessivem Straßenbau Verkehrswachstum erzeugt und mit der ausgelösten Speckgür­telentwicklung in ihrem Fortschreiten ein­zementiert.

Die Mär vom »dichten Untergrund«

So steht etwa die Lobauautobahn (S1 Abschnitt Schwechat–Süßenbrunn beinhal­tend den Lobautunnel als teuerstes Auto­bahnbauvorhaben) für ein Szenario mit 60 Prozent straßenverkehrsbedingter Emis­sionssteigerung und damit eine nicht hin­nehmbare Entwicklung, die Gegenmaßnah­men erfordert und bei der alles unterlassen bleiben muss, was eine derartige Entwick­lung noch fördert. Warum soll nun diese Autobahn überhaupt errichtet werden? Vor allem von Politiker*innen ins Treffen geführt wird hier die Verkehrsentlastung durch das Projekt insbesondere für die Süd­osttangente. Der Schönheitsfehler: Sie fin­det sich nicht einmal in den Verkehrsun­tersuchungen des Asfinag-Einreichprojekts zur Umweltverträglichkeitsprüfung. Und auch die von der TU im Auftrag der Stadt Wien durchgeführte Untersuchung kommt zum selben Ergebnis. Verkehrswissen­schaftlich ist das nicht überraschend und ist das Phänomen des »induzierten Ver­kehrs« längst beschrieben. Die landläufige Vorstellung, einmal Verkehr auf zweimal Straßen ergibt weniger Verkehr pro Straße, entspricht eben nicht der Realität. Es kommt zu Neuverkehr durch geringeren Raumwiderstand und geänderte Ver­kehrsmittelwahl. »Verkehrsentlastung« weckt die Erwartung, dass die Situation gegenüber einem als unerträglich emp­fundenen Ist-Zustand besser wird. Prog­nostiziert wird dann ein Referenzfall ohne Autobahn mit starkem Verkehrswachs­tum und – wenn überhaupt – eine vorü­bergehende Dämpfung eines Zuwachses, es wird also schlimmer und nicht besser. Auch die Verkehrsuntersuchungen der Stadtstraße Aspern zeigen dasselbe Bild.

Die Propaganda der Stadt Wien ficht das nicht an, sie präsentiert immer größer werdende Inseratenkampagnen und prä­sentiert Zahlen (von gleich minus 77.000 Fahrzeugen/Tag) für die Südosttangente, die offensichtlich utopisch sind. Das erin­nert an die Mär vom »dichten Unter­grund«, in den der Lobautunnel vorange­trieben werden soll, was währende der »Mahnwache in der Lobau« im Jahr 2006 per Inserat zu verbreiten versucht wurde. Tatsächlich muss der Vortrieb in grund­wasserführenden Schichten erfolgen, und bis heute ist die Frage nicht beantwortet, inwieweit es hier zu negativen Auswir­kungen kommt. Immerhin ist (neben Was­sernutzungen) der Donauauen-National­park vom Grundwasser abhängig.

Speckgürtel und Seestadt

Aber auch wenn sich in der Lobau kein Naturgebiet befände, wäre verkehrs- und klimapolitisch das Projekt kontraproduk­tiv. Es wurde aus frühen Untersuchungen der Stadt Wien (SUPerNOW) justament jener Planfall mit den schlechtesten Raum- und Umweltauswirkungen ausge­wählt. Niederösterreich wollte die Speck­gürtelentwicklung an seiner Landes­grenze und hat sich gegenüber Wien durchgesetzt. Schlechte Karten eigentlich für die geplante Seestadt Aspern. Nun ist es nicht so, dass ein Stadtentwicklungsge­biet einen Autobahnanschluss braucht, aber für die ursprünglich als autofrei kommunizierte Seestadt hat man sich ein­gebildet, dass es zwei Autobahnen (Spange und Lobauautobahn) und die Stadtstraße sein müssen. In dieser Vor­stellung gefangen, wurde die Seestadt Nord dann so zur Umweltverträglichkeits­prüfung eingereicht, dass die Umweltaus­wirkungen einer Vollrealisierung lediglich mit Stadtstraße und S1 Spange dargestellt worden ist. Die vorhersehbare Folge: es wurde eine an die Verkehrsfreigaben geknüpfte bedingte Genehmigung erteilt.

Der Aufforderung, fehlende Planfälle vorzulegen, kamen die Antragssteller* innen nicht nach. Erkennbar war die Absicht, hier ein Junktim zu schaffen und tatsächlich ging angesichts der aktuellen Evaluierung großes Wehklagen der Stadt Wien (allen voran Stadträtin Sima) los, man könne die Donaustadt nicht entwi­ckeln und Wohnungen für 60.000 Men­schen nicht bauen. Dabei wurden gleich alle vier Stadtentwicklungsgebiete im 22. Bezirk zusammengenommen (auch die, für die bisher keine UVP durchgeführt worden ist) und die Möglichkeit, die Bedin­gung mit einer Änderungsbewilligung und Vorlage entsprechender Unterlagen weg­zubekommen, heftig von sich gewiesen. Bei der Stadtstraße, die in der genehmigten Form nicht durchführbar ist, konnte sehr wohl ein derartiger Änderungsantrag ein­gebracht werden. Die Agenda hinter dieser willkürlichen Vorgangsweise ist klar erkennbar. Im Gegensatz zur Stadtstraße, für die es nur ein konzentriertes Verfahren gab, benötigen S1-Lobau und S1-Spange neben der UVP nach eigenen für Autobah­nen privilegierten Sonderbestimmungen noch weitere nachgelagerte Materienver­fahren (Naturschutz bzw. im ersten Fall auch Wasserrechtsverfahren). Diese Bewil­ligungen liegen für die Spange und den Tunnelabschnitt nicht in rechtskräftiger Form vor. Insbesondere die privilegierten UVP-Verfahren sind nicht ergebnisoffen und es gibt für die wesentlichen Themen Klimaschutz und Bodenverbrauch keine Genehmigungskriterien.

Klar zu trennen ist die rechtliche von der politischen Ebene. Die Gerichte entscheiden darüber, ob das Vorhaben realisiert werden darf, die Politik, ob es gebaut werden soll und wann es gebaut werden darf. Das eine kann das andere nicht ersetzen. Bei der Lobauautobahn und ihren Satelliten braucht es eine politische Entscheidung, um die längst überfällige Neubewertung dieser überholten Projekte aus der Altbe­tonzeit vorzunehmen.

Wolfgang Rehm ist seit 1984 im Umweltschutz tätig. Er ist Mitbegrün­der der Umweltorgani­sation VIRUS, die in zahlreichen UVP-Ver­fahren, darunter auch Autobahnprojekte, ihre Parteistellung geltend macht.

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Gelesen 2839 mal Letzte Änderung am Donnerstag, 14 Oktober 2021 08:03
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