Der Begriff »Grundeinkommen« wird mit großer Unschärfe verwendet: Selbst wenn seine Bedingungslosigkeit dem Namen hinzugefügt wird, stellen sich viele ganz Unterschiedliches vor. In seinem neuen Buch versucht Karl Reitter, Klarheit in diese kontrovers diskutierte Frage zu bringen. Und antwortet dabei seinen Kritiker*innen.
Von Max Schlesinger
Karl Reitter hat 2012 in seinem Buch Bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) eine Begründung seiner Notwendigkeit und eine Konzeption formuliert, wie ein BGE aussehen müsse, damit es wirklich eines ist. Dies veranschaulicht die lange Zeitspanne, die sich Reitter mit dem BGE beschäftigt: Der Mann weiß, wovon er schreibt. Das ist auch die wenigst anzunehmende Zeit, in der Karl Reitter Kritik an seinem Konzept und seiner Position erfahren hat – nicht nur von politischen Gegner* innen, sondern auch aus linken Zusammenhängen, und davon nicht zu knapp. Diese Kritiken hat Karl Reitter gesammelt und systematisiert, um sich in seinem neuen Buch Kritik der linken Kritik am Grundeinkommen (erschienen im Mandelbaum Verlag) damit auseinanderzusetzen. Mit Namens- und Literaturverzeichnis und allen Anhängen umfasst es 267 Seiten.
Reitter ist sicherlich einer der profiliertesten linken Intellektuellen Österreichs. Er hat zahlreiche Schriften veröffentlicht, an mehreren Hochschulen unterrichtet und sich aktiv in vielen politischen Zusammenhängen eingebracht. Das BGE ist für ihn ein zentrales Mittel, den gegenwärtigen gesellschaftlichen Verhältnissen zu begegnen und die Gesellschaft so zu verändern, dass »jedem Individuum, egal, was es tut oder lässt, lebenslang die materielle Grundversorgung garantiert« ist. Dafür wiederholt Reitter nochmals die Kriterien, die ein BGE, das den Namen verdient, erfüllen muss: Es muss allgemein, existenzsichernd, personenbezogen und vor allen Dingen bedingungslos sein.
Sehr geschickt konfrontiert Reitter die Kritiken mit diesen Anforderungen und der Frage, ob es einen Willen gibt, materielle Grundversorgung bedingungslos zu gewährleisten. Das ist deswegen geschickt, weil so schnell klar wird, dass die Kritiker*innen offensichtlich eine andere Vorstellung davon haben, was ein BGE ist und wie es wirkt. Sie unterscheidet sich grundlegend von der von Reitter entworfenen Konzeption des BGE.
Finanzierung aus Vermögen
Für diese Konfrontation nimmt Reitter seine Leser*innen fest an die Hand; man spürt beim Lesen die Erfahrung des Hochschuldozenten. Im Buch schummelt er uns noch ein weiteres Kriterium für ein BGE »seiner« Konzeption unter: Nicht eines, welches das BGB selber anfordert, sondern seine Finanzierung. Es muss aus Vermögen und nicht (nur) aus Einkommen und Verbrauchssteuern finanziert werden. Diese Auffassung zieht sich wie ein roter Faden durch das Buch: Vom Kapitel über die Sekundärverteilung (nicht nur Einkommen, sondern auch Vermögen werden umverteilt) über eine klare Absage an die (Selbst-)Finanzierung durch Verbrauchssteuern bis hin zu einem Anhang, der die (vermögens-)steuerliche Basis erforscht.
Einer der schwersten Vorwürfe, welcher der Konzeption eines bedingungslosen Grundeinkommens von linker Seite gemacht wird, lautet, dass die Einführung eines BGE entweder eine Kapitulation vor dem Neoliberalismus oder gar ein verstecktes Vorantreiben neoliberaler Ideen im emanzipatorischen Pferdekostüm sei. Troja reloaded. Das Pferd ist schnell abgezäumt: Reitter setzt sich mit den Konzepten, die aus bürgerlichen oder (neo-)liberalen Kreisen kommen, nur kurz auseinander, denn schnell wird klar, dass diese nicht existenzsichernd sind. Das sind keine Grundeinkommen, die Konzepte heißen auch nicht so. Sie werden nur als Scheinargumente linker Kritiker*innen benutzt. Trotzdem macht Reitter sich die Mühe, sie beiseite zu schieben.
Sieht man sich die Komposition des Buches an, so ergibt das Sinn: Der Neoliberalismus baut den welfare state der 1960er, 70er, 80er Jahre zum workfare state um: Ein Zwang zur Arbeit – nicht verfasst, aber gelebt und begründet mit Gesellschaftsverträgen – hat sich in die Sozialsysteme im Zuge der Neoliberalisierung der Welt hineingefressen. Diesem Umbau möchte Reitter mit dem BGE der oben dargelegten Konzeption begegnen, als eine Möglichkeit zur Emanzipation.
Umverteilung nach unten
Die ohnehin vergebliche Mühe, die Motivationen der Kritiker*innen zu ergründen, macht sich Reitter glücklicherweise nicht. Ebenso wenig wie er in den psychologischen Untiefen der Kritiker*innen herumstochert – Reitter begnügt sich mit der Feststellung, dass der Standpunkt den Standpunkt bestimmen würde – entwickelt er große Utopien, wie ein Leben oder ein Arbeitsmarkt unter Bedingungen eines BGE aussehen könnten. Kaffeesudleserei ist seine Sache nicht. Stattdessen rechnet Reitter ganz nüchtern vor, wie sich Klassen- und individuelle Einkommen in verschiedenen Szenarien verändern würden.
In diesen Rechnungen, die in statischen Modellen geschehen und keine weiteren Effekte außer Einkommensverteilungen berücksichtigen, verbessert sich in jedem Falle die ökonomische Lage der Arbeiter* innenklasse, selbst wenn Arbeiter*innen durch das BGE aus dem Arbeitsmarkt austreten sollten. Das gewählte Modell zeigt, dass es eine Umverteilung von Kapital- zu Grundeinkommen gibt.
Kämpferische Leidenschaft
Doch eine Sache irritiert beim Lesen: die ständige namentliche Nennung der Kritiker* innen. Ihnen ist ein ganzes Kapitel gewidmet. Womöglich muss dies so geschehen, damit nicht der Eindruck entsteht, die Kritiker*innen-Szene wäre eine einheitlich auftretende mit konsistentem Widerspruch zum BGE, denn dies entspräche nicht der Realität. Vielleicht ist es sogar so, dass das BGE überhaupt nicht im Mainstream der derzeitigen sozialstaatstheoretischen Diskussionen angekommen ist, und die Kritiker*innen, die das Konzept dezidiert ablehnen, wirklich nur mehr Einzelne sind, weshalb sie auch namentlich genannt werden müssen.
Diese Möglichkeit im Hinterkopf bleibt dennoch der Eindruck, als ob das Ringen um ein BGE für Karl Reitter etwas sehr Persönliches ist. Die kämpferische Leidenschaft, mit der er sich den einzelnen Argumenten widmet, verstärkt diesen Eindruck. Diese Leidenschaft bricht sich im letzten Kapitel nochmals Bahn, wenn Reitter schreibt, was das BGE eigentlich bedeutet: Es ist die Überwindung des Kapitalismus. Es hinterfragt die Arbeit in Form der Lohnarbeit, und »wer also die Lohnarbeit nicht in Frage stellt, stellt auch das Kapital und den Grundbesitz nicht in Frage«. Eine klarere Absage an jede Kritik am BGE kann Reitter nicht formulieren. Nicht nur die teils brillante Auseinandersetzung mit den Argumenten der Kritiker* innen, sondern auch diese klare Konklusion machen das Buch absolut lesenswert für jeden, der*die sich ernsthaft mit einem BGE beschäftigen möchte. Karl Reitter hat sich spätestens mit diesem Werk zum »Angestellten des Monats« des BGE gemacht.
Karl Reitter: Kritik der linken Kritik am Grundeinkommen.
Mandelbaumverlag 2021, 267 Seiten, 18 Euro