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Abspaltung

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Das Alltägliche patriarchaler Hierarchien und die Konsequenzen für die Gefühle der Männer und die Leben von Frauen.

Von Daniel Sanin

Wie kommt es, dass »wir« in Öster­reich in diesem Jahr schon 14 (bei Erscheinen dieses Textes vielleicht gar schon mehr?) Frauenmorde hatten? Ich möchte mich dem Versuch der Beantwor­tung dieser Frage über verschiedene Ebe­nen annähern. Es gibt zum einen einen realpolitischen Hintergrund, der darin besteht, den Opferschutz und die Täter ­arbeit seit Jahren fast auf Feigenblatt-Niveau zu finanzieren; dann gibt es eine gesellschaftspolitische Dimension, näm­lich die Dominanz eines Männlichkeits­typs auf politischer Ebene, der ungeniert die eigene phallische Macht zur Schau stellt, ohne die üblichen Schleier von Stil, Klassenbewusstsein (Standesdünkel), Höf­lichkeitsformen usw. darüberzulegen. Diese Männer, für die Donald Trump den Prototyp darstellt, leben absolut ungefil­tert ihre phallische Macht aus und kön­nen sich so sogar sexueller Belästigung rühmen. Sebastian Kurz hingegen hat etwas Bübisches, daher bemerkt man die­sen Zug bei ihm nicht so, er täuscht mit jugendlicher Unschuld. Dahinter jedoch lungert genauso die unverstellte Macht­gier, die nichts und niemandem verpflich­tet ist, außer jenen Elementen und Perso­nen, die für den eigenen Machterhalt gerade notwendig sind. Die Dominanz sol­cher Männer in den sichtbarsten Positio­nen, die, koste, was es wolle, ohne Kom­promisse, ihr »Ding« durchziehen, leben vor, was möglich ist.

Hierarchie der Köper

Das schlägt durch auf die dritte Ebene, der ich mich nun widmen möchte, die psy­chische. Was diese Männlichkeit unter anderem nämlich auszeichnet, ist ein Gefühl der Berechtigung und das Ausleben davon. Dieses Gefühl ist »normaler« Bestandteil (westlicher) männlicher Sozia­lisation und Männlichkeit. Die patriarchale Weltsicht stellt alle als männlich identifi­zierten Menschen auf einen Sockel. Daraus ergibt sich eine narzisstische Erhöhung, welche viele gesellschaftliche, soziale und individuelle Probleme generiert und/oder mitbestimmt. Durch diese Erhöhung wird der Mann zum Eroberer der Welt und zu ihrem Herrscher. Die Frau ist Teil dieser Welt, aber nicht als gleichberechtigtes Subjekt, sondern als Teil der Landschaft, als Teil des zu Erobernden. Das wirkt sich auf alle gesellschaftlichen Bereiche aus, von der geringeren Entlohnung, der nied­rigeren Stellung von »Frauenberufen«, bis hin zur symbolischen Unterordnung, wodurch der weibliche Körper als weich (schlapp, schwach), offen (penetrierbar), voller eigenartiger (komischer, ekliger) Flüssigkeiten usw. gesehen wird und Jungs schon sehr früh erleben, dass »Du Mäd­chen!« eine Beleidigung sein soll.

Demgegenüber wird der männliche Kör­per als stark, hart, geschlossen, sowie aus- und zustoßend imaginiert. Aus dieser »erhabenen« Position nimmt er die Welt in Besitz – samt Frauen in ihr. Es ist sein Recht. Es steht ihm zu. Ganz »natürlich«. Von Kindesbeinen an. Selbst antisexisti­sche Erziehung, das Vorleben von Gleich­berechtigung, ein geschlechtssensibler Kindergarten und noch mehr kommen nicht gegen die ganze sexistisch struktu­rierte Welt an, das kann ich aus eigener Erfahrung bezeugen. Jungs spüren und erkennen, dass sie »besser« sind, dass sie auf keinen Fall ein Mädchen sein und nicht mal als ein solches bezeichnet werden möchten.

Zugang zu dieser privilegierten (aber prekären, immer auf Absicherung bedach­ten, aus Angst vor dem Fall beseelten) Position hat ein Individuum über den männlichen Körper, bzw. den Penis. An ihm macht sich der (Macht-)Unterschied fest, er ist der Fetisch der patriarchalen Macht. Kein Wunder, dass er so einen Stel­lenwert in der männlichen Psyche ein­nimmt, seine Glorifizierung wie auch die Verschleierung seiner Instabilität und Ver­letzlichkeit.

Hierarchie der Räume

Aus dem Gefühl heraus, das durch den patriarchalen, narzisstischen Sockel ent­steht, ergeben sich spezifische Formen der Raumnahme, vom bequemen, breitbeini­gen Sitzen im öffentlichen Raum bis hin zur Eroberung ganzer Landstriche. Dazu gehört auch der offene, unbeschwerte Blick, der das zu Erobernde auskundschaf­tet und vermisst. Männer schauen Frauen an. Für sie ist das ungefährlich. Dieses Frauen Anschauen ist Ausdruck einer (unbewussten) sorglosen Eroberungs- und Beherrschungshaltung, gespeist von Gefühlen der Verfügbarkeit und Berechti­gung, von »männlicher Penetrationsener­gie« (K. Hirr). Umgekehrt kann es für Frauen sehr wohl gefährlich sein, einem Mann offen ins Gesicht zu schauen. Das könnte als Aufforderung zur »Eroberung« aufgefasst werden und unangenehme bis lebensbedrohliche Folgen haben.

Die narzisstische Erhöhung der Männer im Patriarchat bildet den Boden männli­cher Gewalt gegen Frauen und das Weibli­che. Diese dient der (Wieder-)Herstellung von Herrschaft und Hierarchie durch Unterwerfung und Kontrolle. Und das drückt sich auch schon im »normalen« männlichen Blick auf der Straße aus.

Hierarchie der Gefühle

Die männliche Position gibt sich als stark, mächtig, kontrollierend, handlungsfähig usw. Alle Gegensätze davon müssen gege­benenfalls abgespalten werden, also Weichheit, Schwäche, Abhängigkeit, Unsi­cherheit, Angst, Ratlosigkeit etc. Die männliche Position ist also prekär, ständig bedroht, da sie sich durch Abgrenzung von ihren Gegensätzen konstituiert. Die Preka­rität ergibt sich auch aus der sozialen Genese von Männlichkeit, im dem Sinne, dass sie sich als Kultur von der bloßen Natur abgrenzen muss. Die Natur wird demgegenüber als zirkulär und immer­während gesehen. Die männliche Erhö­hung muss durch imaginierte körperliche, geistige, soziale und emotionale Überle­genheit gerechtfertigt werden, welche – da nicht real gegeben – ebenfalls sehr brüchig ist. Der Schriftstellerin Margaret Atwood wird das Zitat zugeschrieben, dass Männer Angst davor haben, dass Frauen sie ausla­chen, während Frauen Angst davor haben, dass Männer sie umbringen. Dieses Lachen ist nämlich ein aufklärerisches, eines, das die Wahrheit ans Licht bringt und wo der Witz aus dem Kontrast zwischen Eingebil­detem und Realem entsteht und ersteres in seiner Lächerlichkeit zutage tritt. Das männliche Korsett ist sehr eng, dieses Lachen attackiert den Kern der männli­chen Identität, nämlich, dass er gar nichts besonderes ist, bloß ein Mensch, ganz anders, als Patriarchat, Mama, Papa und wer auch immer es ihn glauben ließ, näm­lich ein Gebieter, Eroberer, Held oder was auch immer.

Alles, was den Selbstwert eines Indivi­duums als es selbst steigert, ist gut, da es die Notwendigkeit, sich an Identitätskon­struktionen zu klammern, weniger dring­lich macht. »Du bist gut, wie Du bist« ist eine heilsame und nährende Botschaft. Abstrakte Identitätsbotschaften wie: »Das machen Männer nicht«, »Bist ein Mann oder eine Maus?«, »Bist schwul oder was?« und ähnliches mehr signalisieren ein Nicht-Genügen des Individuums im Hinblick auf ein Ideal und werten den aktuellen Menschen ab. Wenn ein Mann wenig Selbstwertgefühl hat, können externe Kategorien, wie eben eine männ­liche Identität, umso wichtiger werden. Daher ist in diesem Fall der Schutz bzw. die Stabilisierung dieser exoskelettalen Elemente auch existentiell wichtig.

Hierarchie der Symbolik

Wie schon gesagt, dient Gewalt an Frauen bis hin zum Mord der Stabilisierung oder (Wieder-)Herstellung von Männlichkeit: Demütigungen können vermeintlich gesühnt, Kränkungen geheilt, Verletzun­gen versorgt, Ehre wieder hergestellt wer­den. Das ist zumindest die Phantasie dahinter. Die Realität sieht dann oft ganz anders aus, Existenzen sind zerstört, Beziehungen zerrüttet, Leben ausge­löscht. Das sind aber die Extrembeispiele, die, die in den Medien landen, vor Gericht usw. Auf sie können wir zeigen, mit Abstand. Sie sind dort, dort, wo wir nicht sind, es sind besondere Umstände, die sie dort hingebracht haben. Umstände, die nichts mit uns zu tun haben. Wir sind auf der guten Seite, auf der Seite des Norma­len. Es sind auch Taten, die aus »Liebe«, »Verzweiflung«, »Rache« usw. begangen werden, aus Gründen also, die nachvoll­ziehbar sind, die »wir« verstehen können. Diese beiden Elemente, die Abspaltung ins Abnorme und das Pseudo-Verständlich­machen durch Psychologisierung, dienen der Verschleierung der grundsätzlichen Problematik patriarchal-herrschaftlicher Männlichkeit, welche den Normalzustand stellt. Die Männlichkeit, die schlägt und mordet, ist keine andere, monströse Männlichkeit, es ist dieselbe wie die »nor­male«, »durchschnittliche«. Im alltägli­chen »Abchecken« von Frauen, in der selbstverständlichen Raumnahme in den Öffis, im Mitlachen bei »Witzen«, im Baga­tellisieren sexistischer Diskriminierung, im »Mithelfen« im Haushalt und bei der Kindererziehung (oder beim Ablehnen davon), im Konsum von Mainstream-Por­nografie usw. steckt dieselbe Männlich­keit. Sie steckt aber auch in der Werbung, in Filmen (Kinderfilme!), Büchern (Schul­bücher!), in der Aufteilung von Berufen, im Fernsehen, der Musik usw., also in allem.

Fazit

So gesehen kann es nicht nur darum gehen, sich um die Opfer von Männerge­walt zu kümmern (großzügige Finanzie­rung und Ausbau der Frauenhäuser, Not­rufe, Vernetzung mit der Exekutive etc.), sondern auch sich klarzumachen, dass die Männer, die in den Schlagzeilen landen, das tun, was im Kopf der anderen in man­chen Situationen auch aufgeblitzt, aber aufgrund ausreichender Sublimierungs- und Verdrängungsmechanismen und sonstiger Ressourcen nicht umgesetzt wird. Jene setzen das durch, was das Patri­archat, in dem wir ja alle stecken, als Möglichkeit eben auch schlüssig denken und als Handlungsoption erscheinen lässt. Es muss folglich die materielle und sym­bolische Dimension des Patriarchats ange­griffen werden, zum Wohle aller. Dazu bräuchten wir z. B. ein sofortiges Schlie­ßen des Gender Pay Gaps, Frauenquoten, die Aufwertung/Normalisierung/Entfeti­schisierung des weiblichen Körpers und die Hinwendung zu Beziehungen (jenseits klerikalfaschistoider Familienbilder) als zentralem Wert u.ä.m. Der letzte Punkt, die Beziehungen und ihre Pflege, was aktuell unter »Care« diskutiert wird, steht in Opposition zum kapitalistischen Ver­wertungsgedanken. Damit deutet sich ein Zusammenhang an, den ich hier nicht mehr ausführen kann, der aber eminent wichtig ist: Patriarchat und Kapitalismus sind zwei Seiten derselben Medaille (sie ist übrigens blechern). Feminismus sollte daher antikapitalistisch sein und Antika­pitalismus feministisch.

Daniel Sanin lebt in Wien, ist klinischer Psy­chologe und arbeitet angestellt und selb­ständig im Sozialbe­reich.

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Gelesen 3731 mal Letzte Änderung am Montag, 12 Juli 2021 15:16

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