Leo Furtlehner über die Vorgänge rund um die geplante Schließung oder den Verkauf des MAN-Werks in Steyr
Der Plan war simpel: MAN kündigt die Standortgarantie für das Werk in Steyr auf, droht mit Zusperren, der Verkauf an die Beteiligungsgesellschaft WSA von Investor Siegfried Wolf wird als einzige Alternative zur Schließung präsentiert, die Belegschaft braucht dem nur noch zuzustimmen. Doch das Ergebnis war eine »schallende Ohrfeige für den MAN-Vorstand« (Kurier OÖ, 11.4.2021) und ein kräftiges Lebenszeichen der oft für tot erklärten arbeitenden Klasse: 64 Prozent stimmten am 7. April gegen das Angebot von Wolf. Deutlich wurde damit, dass im Realkapitalismus die Lohnarbeitenden Spielball der Investor*innen sind, aber wie im Fall MAN »nicht der Spielball von Investoren - interessen sein wollen«, wie der oberösterreichische KPÖ-Landessprecher Michael Schmida konstatierte. Die Entscheidung ist mutig und solidarisch, haben die MAN-Beschäftigten doch gegen die übliche Verhaltensweise »Lieber den Spatz in der Hand als die Taube am Dach« verstoßen. Und Lukas Oberndorfer (AK-Wien) meint, »das ist nicht nur mutig und klassenkämpferisch, sondern könnte auch zu einem Wendepunkt hin zu einer sozial-ökologischen Industriepolitik werden«. (Facebook, 8.4.2021)
Strategische Finte
Weil die Gewinnmarge bei großen LKWs besser ist, erfolgt im VW-Konzern eine Konzentration auf Scania. Der Standort Steyr ist laut dem Sozioökonomen Jakob Kapeller »langfristig gesehen nicht defizitär … befindet sich bloß in den hinteren Rängen eines konzern - internen Standortwettbewerbs«. (Standard, 13.4.2021) Grund für MAN, die Produktion nach Polen zu verlagern. Es geht also um eine »strategische Finte« mit dem Ziel, »das Lohnniveau eines eigentlich soliden Standorts langfristig zu senken«. Die Fixierung auf Wolf erklärt sich daraus, dass dieser beim Vertrieb mit VW kooperieren und MAN »keinesfalls an einen Konkurrenten verkaufen« (OÖN, 10.4.2021) will. Zu der bis 2030 gewährten Standortgarantie stellt der Arbeitsrechtler Wolfgang Mazal klar, dass der Vertrag »in seinem Bestand ausdrücklich an die deutsche Gesamtbetriebsvereinbarung gebunden« ist (Standard, 10.4.2021): »Endet die deutsche Vereinbarung, geht auch die österreichische unter«, es würden daraus »keinerlei subjektive arbeitsrechtliche Ansprüche erwachsen«. Zwar verlieren auch an den deutschen MAN-Standorte 3.500 Beschäftigte ihren Job, doch verhandelte die IG Metall letztlich zum Vorteil der deutschen Interessen, indem »die deutsche Lösung auch darauf basiert, dass in Steyr zugesperrt wird«. Der Linzer Uni-Rektor Meinhard Lukas ist zwar anderer Meinung als Mazal, rät aber auch von einem Prozess ab (OÖN, 16.4.2021), der lang dauern und teuer werden würde.
Ruf nach der Politik
Die Empörung über die Vorgangsweise von MAN ist zwar quer durch die politischen Lager enorm, bleibt aber auf einer abstrakten Ebene in der Aufforderung an die Politik, alles zu unternehmen, um den Standort doch irgendwie zu erhalten. Investor Wolf schiebt den »Schwarzen Peter« dem bisherigen Arbeiterbetriebsratschef Erich Schwarz und der Gewerkschaft PRO-GE zu. Vielfach wird versucht, einen Keil zwischen Arbeiter*innen und Angestellte zu treiben. Für die Grünen beklagte deren Sozialsprecher Markus Koza die »viel zu späte Einbindung der Belegschaft«. (OTS 0122, 8.4.2021)
Der feine Herr Wolf
Dass Wolf kein Wohltäter ist, wird daran deutlich, dass er nur 1.250 von derzeit 2.300 Beschäftigten (inklusive 350 Leiharbeiter* innen) übernehmen wollte und eine bis zu 15-prozentige Lohnkürzung verlangt hatte. Eine Schließung würde laut einer Studie des Volkswirtschaftsprofessors Friedrich Schneider den Verlust von 8.400 Arbeitsplätzen in der Region und einer Wertschöpfung von 957 Mio. Euro (davon 737 Mio. Euro im Inland) bedeuten. Der als Ziehsohn des Oligarchen Frank Stronach großgewordene Wolf ist als begnadeter Netzwerker bekannt. Aktuell sitzt er in 26 Aufsichtsräten (darunter GAZ, Sber-bank, Porsche-Holding, MIBA), 65 Mandate (darunter Strabag, Verbund, Siemens, ÖIAG) wurden zwischenzeitlich wieder gelöscht. Lukas Oberndorfer charakterisiert den Investor Wolf als das »Selbstbewusstsein jenes Managertums, das schon viele ehemalige Betriebe der öffentlichen Hand filetiert und unter hohen menschlichen Kosten restrukturiert hat«. (Facebook 8.4.2021) Wolf gehört zu jenen Industriellen, die Kurz 2017 den Weg zur Kanzlerschaft ebneten. Bei den »Millstätter Gesprächen« sprach er Reinhold Mitterlehner die Kompetenz als Wirtschaftsminister ab und meinte, »jetzt müssten Jüngere ran, die wie Sebastian Kurz die Themen Wirtschaft und Sicherheit klug miteinander verbinden«. Kurz wollte Wolf sogar zum Aufsichtsratschef der ÖBAG machen.
Schuldzuweisung an Belegschaft
Der Hardcore-Neoliberale Eric Frey redet mit Schlagzeilen wie »Laster aus Steyr haben keine Zukunft« (Standard, 10.4.20219) dem schrankenlosen Hire-and-Fire das Wort und meint sogar: »Aus einer gesamt-wirtschaftlichen Sicht sind die Ereignisse in Steyr weniger dramatisch.« Noch brutaler argumentiert der neue Wifo-Boss Gabriel Felbermayr, der fragt, ob die Beschäftigten »die gesamtwirtschaftliche Sicht eingenommen haben«. (Presse, 10.4.2021) Der neue Arbeiterbetriebsratschef Helmut Emler ist zuversichtlich, »mit MAN doch noch in konstruktive Verhandlungen eintreten zu können«. (Standard, 10.4.2021) In sozialpartnerschaftlicher Manier geben sich PRO-GE-Bundesvorsitzender Rainer Wimmer und GPA-Bundesgeschäftsführer Karl Dürtscher optimistisch gegenüber MAN und dem von Gewerkschaftern kumpelhaft »Siegi« genannten Wolf: »Das Konzept von Investor Siegfried Wolf war grundsätzlich schlüssig, aber das Angebot an die Betroffenen offensichtlich ungenügend.« (OTS 0132, 8.4.2021) Das »schlüssige Konzept« von Wolf ist jedoch trotz »viel Herzblut« wenig zukunftsorientiert: Die Reaktivierung der Marke »Steyr« setzt auf die Produktion von Klein- und Mittelklassefahrzeugen, verschränkt mit der Russian Machines aus dem GAZ-Konzern des russischen Oligarchen Deripaska, an dem auch Wolf beteiligt ist. Obwohl die Fahrzeugindustrie in einer Sackgasse ist und alternative Produktionen angesagt sind, verwahrte sich bei der großen Protestkundgebung im Oktober 2020 PRO-GE-Chef Wimmer gegen eine Umstellung auf andere Produktionen.
Konkurrenz unerwünscht
In sechs Szenarien (OÖN, 10.4.2021) wird die Schließung des Standortes Steyr mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 bis 60 Prozent, eine Übernahme durch Wolf trotz der klaren Ablehnung mit 40 Prozent »und Potenzial nach oben« eingeschätzt. Klargestellt wird auch, dass auch ein anderer Investor – etwa das »Green Mobility Center Steyr« um den Linzer Industriellen Karl Egger und der Anwaltskanzlei Lansky, Ganzger & Partner und Ex-SPÖ-Bundeskanzler Alfred Gusenbauer im Hintergrund – dies »keinesfalls zu den jetzigen Kosten tun« würde. Hingegen gibt man einer Weiterführung durch die öffentliche Hand mit 0,1 Prozent faktisch keine Chance. ÖVP-Wirtschafts-bund, Industriellenvereinigung und NEOS laufen Sturm gegen eine solche Idee und verbreiten einmal mehr das simple neoliberale Credo »Niedrigere Lohnnebenkosten könnten das Werk retten«. (OE24, 12.4.2021) Als »erschreckend« und »absurd« bezeichnet Dietmar Mascher diese Variante, habe doch der Staat »in der Industrie nichts verloren«. (OÖN, 12.4.2021) Dem steht allerdings entgegen, dass global von den 10.000 größten börsennotierten Unternehmen 14 Prozent (Stand 2017) in öffentlicher Hand sind und sogar in den USA der Staat mit 61 Prozent beim maroden Autokonzern General Motors einstieg, um diesen mit 49,5 Mrd. Dollar zu retten – allerdings um General Motors drei Jahre später mit elf Mrd. Dollar Verlust zu verkaufen. (Standard, 13.4.2021)
SPÖ für Staatsbeteiligung
Überraschend befürwortet die SPÖ einen Einstieg der öffentlichen Hand, ist sich dabei aber nicht einig. So setzt der sich mittlerweile als »sozialliberal« positionierende Linzer Bürgermeister Klaus Luger nur auf eine Mitarbeiter*innenbeteiligung nach dem Muster der voestalpine. (OÖN, 13.4.2021) Das Plädoyer der SPÖ ist aber wohl jener politischen Amnesie geschuldet, von der die SPÖ erfahrungsgemäß in der Opposition befallen ist, um ihre politische Verantwortung für ihre »Sünden« der Vergangenheit durch Einschwenken auf die neo-liberale Politik vergessen zu lassen. MAN ist eines der Filetstücke, die nach der Zerschlagung des zum Konzern der halbstaatlichen Creditanstalt gehörenden Steyr-Daimler-Puch-Konzerns unter Regie der damaligen SPÖ-Granden Rudolf Streicher, Hannes Androsch, Franz Vranitzky und Gerhard Randa verscherbelt wurden. Im Zuge dieser Privatisierung schnappte sich der kanadische Magna-Konzern von Frank Stronach den Puch-Sektor in der Steiermark, am Standort Steyr ging der Fahrzeugbau an MAN, die Antriebstechnik an ZF und der Kugellagersektor an SKF. Von einer Urabstimmung war damals keine Rede.
MAN als Wendepunkt?
Das Votum der MAN-Beschäftigten rüttelt an der Grundfrage des Privateigentums an den Produktionsmitteln. Gerade in Hinblick auf eine Umstrukturierung der sich in der Sack-gasse befindlichen Fahrzeugindustrie auf eine »sozial-ökologische Produktion« – wie das etwa attac fordert – ist es legitim zu fragen, ob an den Profitinteressen von Aktionär*innen ausgerichtete Konzerne dazu überhaupt in der Lage sind. Oberndorfer kritisiert die fehlende industriepolitischen Strategie der Bundesregierung für eine sozial-ökologische Wende. Massiver gesellschaftlicher Druck könnte aber im Fall MAN zum Wendepunkt werden, »um rasch und regional die Produkte der Zukunft (Schienen, E-Busse, Solar-Paneele, usw.) herzustellen und die Versorgung mit wichtigen Gütern in den kommenden Krisen zu garantieren«. Heinz Högelsberger, durch ein Forschungsprojekt über die Konversion der Kfz-Industrie an der Uni Wien bekannt, erinnert an die große Tradition des Fahrzeugbaus in Steyr und mit der Zerschlagung und Privatisierung in den 1990er Jahren vergebenen Möglichkeiten für die Entwicklung zukunftsorientierter Produktionen. (Wiener Zeitung, 26.3.2021) Gerade als »Impulse zur Ökologisierung der Branche« ist die öffentliche Hand gefordert, wie der Politikwissenschafter Ulrich Brand betont.
Leo Furt lehner ist Journalist und ehemaliger Landessprecher der KPÖ OÖ.