Als am 11. Jänner 1986 am Linzer Hauptplatz 40.000 Menschen (und zeitgleich 15.000 in Leoben) für die Erhaltung der Verstaatlichten Industrie und Gemeinwirtschaft demonstrierten, war noch Hoffnung angesagt. Bundeskanzler Fred Sinowatz (SPÖ) versuchte die durch schon lautstark kolportierten Privatisierungspläne aufgebrachte Menge zu beschwichtigen. Tatsächlich war die SPÖ aber bereits im Strudel des Neoliberalismus verfangen.
Von LEO FURTLEHNER
Auf den Punkt brachte die Privatisierungsbilanz der 14 Jahre spätere Rudolf Streicher (SPÖ-Verstaatlichten minister 1986–1992, ÖIAG-Chef 1999– 2001): »Unser Katechismus ist das Aktienrecht« (Arbeit & Wirtschaft, 9/2000). Alfred Gusenbauer (SPÖ-Chef von 2000-2008, Bundeskanzler 2006– 2008) ergänzte treffend mit »Es wird keine Privatisierung rückgängig gemacht« (NZZ, 2002). Und ÖGB-Präsident Fritz Verzetnitsch meinte: »Die bisherigen Privatisierungsschritte bei den verstaatlichten Unternehmen haben sich als positiv erwiesen.« (SK, 26.4.2000).
Grünen-Landesrat Rudolf Anschober (OÖ) konstatierte: »In unserem Programm steht, dass Teilprivatisierungen von öffentlichen Unternehmen kein Problem sind.« (Wirtschaftsblatt, 14.6.2007). Schon vor ihm hatte der damalige Grünen-Chef und heutige Bundespräsident Alexander van der Bellen gemeint, »Die Grünen sind nicht grundsätzlich gegen Privatisierungen österreichischer Staatsbetriebe« (APA, 14.3.2000).
Verstaatlichte, das Kernstück
Die Verstaatlichte Industrie war das Kernstück öffentlichen Eigentums, entstanden 1946 aus dem ehemaligen deutschen Eigentum als Konsequenz aus der Befreiung vom Faschismus und der Gründung der 2. Republik und umfasste fast die gesamte Schwerindustrie, den Bergbau, die Elektro- und Chemieindustrie und ab 1955 die Erdöl industrie. Ursprünglich vom Ministerium für Vermögenssicherung und Wirtschaftsplanung, später durch das Verkehrsministerium und das Bundeskanzleramt verwaltet, erfolgte aber bereits 1967 die Auslagerung in die ÖIG, aus der dann 1971 die ÖIAG entstand.
Dass im Avis zu Österreichs EG-Beitrittsansuchen von 1989 auch der hohe Staatsanteil als Hindernis festgestellt wurde, schaffte die politische Legitimation für das größte Privatisierungsprogramm der 2. Republik. Die Übernahme neoliberaler Politikmuster unter dem Motto »Mehr privat, weniger Staat« wurde nicht nur von der ÖVP, sondern auch von der SPÖ verinnerlicht, nachdem sich die beiden Parteien ab 1986 zu einer großen Koalition zum EU-konformen Umbau Österreichs zusammenfanden.
Am Prüfstand
Neben der verstaatlichten Industrie stand aber ab 1986 das öffentliche Eigentum insgesamt auf dem Prüfstand. Das betraf sowohl direkt im Staatseigentum stehende Unternehmen wie etwa die Post als auch die Industrieimperien der staatlichen Banken Bank Austria und Creditanstalt, und auch der große öffentliche Sektor der Kommunalwirtschaft kam ins Schussfeld der Privatisierer.
Einen Sonderfall stellt bis heute die Energiewirtschaft dar. Denn einen vollen Ausverkauf dieses lukrativen Energiesektors hat bis heute nur das 1947 auf Initiative des damaligen KPÖ-Energie ministers Karl Altmann beschlossene zweite Verstaatlichungsgesetz verhindert, das eine öffentliche Mehrheit in der Stromwirtschaft verlangt und nur mit Zweidrittel-Mehrheit aufgehoben werden kann. Und da hat sich bislang noch keine Regierung drübergetraut, wenngleich die Privatisierung wie etwa beim Verbund oder mehreren Landesenergiegesellschaften bis an die Grenze des Möglichen ausgereizt wurde.
Diffizile Methoden
Die Methoden der Privatisierung waren oft sehr diffizil. Etwa beginnend mit der Filetierung großer Unternehmen (Voest, Chemie, Post, Steyr-Daimler-Puch) in für private Interessenten lukrative Häppchen. Eine übliche Methode waren Börsengänge zur Kapitalerhöhung, bei welchen der Staat nicht mitzog und damit zwangsläufig seinen Anteil verringerte. Teilweise wurden Staatsunternehmen auch an geneigte Manager via Management-Buy-Out verklopft oder an Günstlinge wie etwa Ex-Finanzminister Androsch (SPÖ) verkauft.
Auslöser der Privatisierungswelle war die Stahlkrise in den 1980er Jahren. Denn bis dahin galt etwa die in den 70er Jahren zu einem Weltkonzern ausgebaute Voest-Alpine als Kernstück der ÖIAG und agierte international wirtschaftlich höchst erfolgreich. Bedingt durch die Neutralität Österreichs wurden vor allem auch mit den realsozialistischen Ländern gute Geschäfte gemacht, was die private westliche Konkurrenz enorm störte.
Die Verstaatlichung in den ersten Nachkriegsjahren war auch massiv der Schwäche des österreichischen Privatkapitals geschuldet, wenngleich es diesem gelang, die Weiterentwicklung der Verstaatlichten von der Grundstoff- zur Finalindustrie zu verhindern und diesen Sektor als preisgünstigen Zulieferer auszunutzen. Davon abgesehen nahm die Privatwirtschaft stets massiven Einfluss auf die Staatsbetriebe, beginnend mit dem unseligen Proporz, welcher SPÖ und ÖVP wichtige Posten im Management sicherte. Darüber hinaus agierten Vasallen des Privatkapitals in Vorstand und Aufsichtsrat der Unternehmen.
Zur Spekulation getrieben
Während westeuropäische Regierungen auch die private Stahlindustrie mit Milliardenspritzen subventionierte, ließ die SPÖ-geführte Regierung in Österreich die Verstaatlichte hängen. Als Ausweg versuchten Handelsfirmen wie Intertrading (Voest) und Merxx (Chemie) mit Spekulationsgeschäften ihr Glück, was letztlich aber in die Hose ging.
Die Verwaltung der Verstaatlichten wandelte sich von der ÖIAG – nach einem Zwischenspiel als Austrian Industries – 2000 zur ÖBIB als Beteiligungsverwaltung und 2019 zur ÖBAG als aktives Beteiligungsmanagement für den kümmerlichen Rest (BIG 100, Post 52,85, Verbund 51, Casinos 33,24, OMV 31,50, Telekom 28,42 Prozent). Als neoliberaler Hardliner stellte Peter Michaelis, ÖIAG-Boss von 2001–2008 aber klar: »Völlig richtig, im Kern ist die ÖIAG eine Privatisierungsagentur und hat sich darin bewährt« und weiter »Ich bin generell der Meinung, dass alles privatisiert werden kann« (trend 7/2011).
Wer hat den Nutzen?
Bleibt die Frage: Cui bono? Die Auswirkungen waren letztlich gravierend, freuen konnten sich durchwegs die neuen Eigentümer und Aktionäre, denen günstig Staatseigentum zugeschanzt wurde, über satte Dividenden. Bei den Jubelmeldungen der Staatsholding über Verkaufserlöse fehlte die Gegenrechnung, was gleichzeitig der öffentlichen Hand verlorengegangen war.
Bis heute sind in einstigen Zentren der Verstaatlichten, etwa in der Steiermark, die Auswirkungen auf Arbeitsplätze, Regional- und Strukturpolitik spürbar. Ebenso wurde die Mitsprache der Betriebsräte massiv zurückgedrängt und ging die Vorreiterrolle der Staatsbetriebe für soziale Standards verloren. Und letztlich konnte als Ergebnis der Privatisierung auch von einer aktiven Wirtschaftspolitik keine Rede mehr sein. Was freilich der neoliberalen Philosophie entspricht, dass angeblich der Markt ohnehin alles bestens regelt und politische Entscheidungen unerwünscht sind.