Die österreichische Übergangsregierung zeigt hohe Beliebtheitswerte, das BeamtInnenkabinett wurde zwar nicht gewählt, das scheint vielen aber eher vorteilhaft. Welche demokratiepolitisch bedenklichen Muster damit genährt werden und welche zentralen Implikationen Politik dagegen auszeichnen, beschreibt anschaulich der Politikwissenschafter BENJAMIN OPRAKTO.
Brigitte Bierlein kannten vor ihrer Angelobung als erste Bundeskanzlerin Österreichs wohl nur eine Handvoll Nischeninteressierter. Heute genießt sie laut Umfragen mehr Vertrauen als alle anderen in Österreichs politischem Betrieb Tätigen. Auch ihren KollegInnen in Ministerämtern schlägt Wohlwollen entgegen. Die von Alexander Van der Bellen in Akkordanz mit den Parlamentsparteien zusammengestellte Übergangsregierung ist beliebt, auch und gerade unter den Gegner Innen von Schwarz-Blau. Das hat wohl weder mit dem einnehmenden Wesen der Regierungschefin noch mit dem politischen Profil der Regierungsmannschaft zu tun. Sondern zunächst mit dem Aufatmen, Sebastian Kurz, Heinz-Christian Strache und Herbert Kickl zumindest vorerst los zu sein. So weit, so nachvollziehbar.
In die Erleichterung mischt sich aber bei manchen KommentatorInnen noch etwas anderes. Der Regierung Bierlein wird zugutegehalten, dass sie nicht aus parteipolitischen Erwägungen zusammengestellt wurde, sondern auf Grundlage fachlicher Kompetenz. Das zeigte ja schon der Name an, den die Medien dem neuen Kabinett gaben: Österreich hat eine »Expertenregierung«. Auch in den sozialen Netzwerken las man überwiegend Positives, die Reaktionen reichten von zufrieden bis begeistert. Endlich seien Profis am Werk, Fachfrauen und -männer, ExpertInnen eben.
Wie die Bürokratie läuft
Tatsächlich hat die Zustimmung zur ExpertInnenregierung wohl nur wenig mit der eigentlichen Expertise der MinisterInnen zu tun. Die sind zwar allesamt erfahren und mit umfangreichem Fachwissen ausgestattet, dieses Fachwissen bezieht sich aber in erster Linie darauf, wie die Regierungs maschine effektiv in Betrieb gehalten wird. Es handelt sich um BeamtInnen, die wissen, wie die Bürokratie in den Ministerien funktioniert, welche Fristen und Regeln einzuhalten sind. Sie sind keine ExpertInnen für die Sache selbst. Bildungsministerin Rauskala legte das Im Presse-Interview ganz offenherzig dar: »Es ist nicht meine Aufgabe, mich zur Bildungsexpertin zu ent wickeln«.
Verglichen mit den PolitikerInnen, die zuletzt die MinisterInnenposten bekleideten, hat die aktuelle Regierung den unbestreitbaren Vorteil, dass sie sich nicht verkaufen muss. Sie wurde nicht gewählt und will auch nicht gewählt werden. Deshalb kann sie sich einen ungeheuren Inszenierungs- und Propagandaaufwand sparen. Die MinisterInnen der Regierung Bierlein brauchen keine aufgeblähten Pressestellen, keine Teams, die ausschließlich dafür da sind, den Chef oder die Chefin möglichst prominent in der Zeitung zu platzieren und vorteilhafte Geschichten »einzuhängen«. Die Regierung Kurz hatte dieses System zuvor unter dem Stichwort »Message Control« perfektioniert – noch nie hat eine Bundesregierung annähernd so viele Menschen in PR- und Pressestellen beschäftigt wie die des jungen Altkanzlers.
So erholsam es ist, nicht mehr der täglichen Selbstinszenierung der Regierenden ausgesetzt zu sein: der Grund dafür ist zugleich Grund zur Sorge. Die Regierung Bierlein muss sich nicht verkaufen, weil sie nicht gewählt werden muss. Wenn wir beginnen, das als Vorteil zu verbuchen, begeben wir uns auf gefährliches Terrain. Auf Twitter fragte jüngst ein User nur halb im Scherz, ob man denn wirklich schon im September 2019 wählen müsse – man könnte doch den ExpertInnen auch mehr Zeit geben, bevor die Wahlen wieder alles kaputt machten. Das brachte tausende Likes und wurde vielfach geteilt in der linksliberalen Twitter-Blase. Und es fehlte nicht viel zum logischen nächsten Schritt der Argumentation: Wenn Wahlen das wertvolle Wirken der Wissenden bedrohen – weshalb das Volk dann überhaupt noch wählen lassen?
Gesellschaft ist keine Maschine
Auch wenn das nur ein Gedankenexperiment ist und die Abschaffung der Wahlen in Österreich nicht auf der Tagesordnung steht, zeigt die jüngste politische Entwicklung doch eine ernsthafte Gefahr an. Sie verstärkt eine in vielen Teilen des Volks vorhandene Haltung, wonach gute Politik in der möglichst effektiven Lösung objektiv gegebener Probleme bestehe. Wenn nur echte ExpertInnen an der Regierung ihren Sachverstand walten ließen und nicht länger von ideologisch motiviertem Hickhack gebremst würden, so die Idee, wäre der Gesellschaft am besten gedient. Ganz so, als wäre die Gesellschaft eine Maschine und die Regierung eine Mannschaft von TechnikerInnen, die sie am besten zu bedienen wissen. Doch das verschleiert, dass es in der Politik nicht um objektive Probleme, sondern um unterschiedliche gesellschaftliche Interessen geht. Umso mehr, wenn die Regierenden wie nun in Österreich als »unabhängige Experten« gelten. (Und zwar ungeachtet der Tatsache, dass sie allesamt je einer der drei großen Parteien nahestehen.)
In Europa werden zentrale wirtschaftspolitische Entscheidungen schon lange vom demokratischen Volkswillen abgeschnitten. Für die marktradikalen ÖkonomInnen ist der Kapitalismus wie ein göttliches Prinzip, in das der Laie sich nicht einmischen darf. Wirtschaftspolitische Entscheidungen seien demnach zu wichtig, als dass man sie demokratisch gewählten PolitikerInnen überlassen dürfte. Das sollten besser die an den internationalen Business Schools ausgebildeten ÖkonomInnen und BankerInnen übernehmen – so wie es etwa bei der Europäischen Zentralbank der Fall ist. Oder wie in Italien während der Wirtschaftskrise 2011, wo statt neu zu wählen einfach der Wirtschaftswissenschafter und Ex-EU- Kommissar Mario Monti zum Chef einer neuen, die neoliberalen Vorgaben der EU umsetzenden Regierung ernannt wurde.
Gerade in der Wirtschaftspolitik zeigt sich also, wie gefährlich das Vertrauen in angeblich neutrale ExpertInnen ist. Ein Beispiel dafür lieferte jüngst Finanzminister Eduard Müller: Er warnte vor den Kosten der Maßnahmen, die noch vor den Wahlen ins Parlament eingebracht werden. Dabei wären das überwiegend Maßnahmen, die der Mehrheit und den ärmeren Teilen der Bevölkerung zugutekommen: die Anhebung des Pflegegeldes, der Familienbeihilfe und der Mindestpensionen etwa. Müller hätte auch die von der Regierung Kurz angekündigten Steuergeschenke für Großkonzerne kritisieren können – immerhin 1,5 Milliarden Euro soll alleine die geplante Halbierung der Körperschaftssteuer kosten. Wenn es dem Kapital zugutekommt, sprechen die »WirtschaftexpertInnen« gerne von »notwendigen Reformmaßnahmen«. Hilft es den Lohnabhängigen, sind es »teure Wahlzuckerl«.
Mehr Politik statt ExpertInnen!
Ob von BeamtInnen oder von Politiker Innen geführt: Im Staat bündeln sich tendenziell die Interessen der ökonomisch Potenten – Karl Marx und Friedrich Engels nannten ihn einmal den »Ausschuss, der die gemeinschaftlichen Geschäfte der ganzen Bourgeoisklasse verwaltet«. Die Interessen und Begehren des Volkes finden wenn, dann nur untergeordnet Eingang in den politischen Betrieb – und werden dann von den »ExpertInnen« als »ideologisch« oder »unvernünftig« abgekanzelt. Wer daran etwas ändern will, braucht nicht mehr ExpertInnen, sondern mehr Politik – das heißt: mehr Streit, mehr Demokratie und mehr gerechte Wut auf die Mächtigen und ihre Regierungen.
Benjamin Opratko ist Post-Doc Researcher am Institut für Politikwissenschaft der Uni Wien, sowie Assoziierter am Berliner Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung (BIM). Er arbeitet vorwiegend zu antimuslimischem Rassismus, Rechtspopulismus und politischer Ökonomie.