Panik herrscht derzeit unter den Bewohner_innen der westlichen Bezirke Wiens – dieser Eindruck könnte beim Lesen mancher Tageszeitungen, sowie verschiedener Blogs und sozialer Medien entstehen.
Dass bestehende soziale Missstände dort derzeit sichtbarer zu Tage treten als anderswo, steht außer Frage. Eine gewisse Einigkeit bezüglich einer damit verbundenen Gefahr scheint dabei quer durch die Positionen des politischen Mainstreams zu herrschen: Die Themen Kriminalität, Migration, Drogenhandel, Obdachlosigkeit und öffentlicher Raum werden zusehends als diffuses Konglomerat behandelt, was bei den Leser_innen vor allem ein Gefühl der Unsicherheit hervorbringt. Gefühle und Unsicherheit, das sind in Österreich immer bedeutsame Komponenten, wenn eine Wahl ansteht. Die Verdichtung der österreichischen Zustände zu einem Regime der autoritären Krisenbewältigung und der nationalen Abschottung wird von dieser Begleitmusik entschieden vorangetrieben.
Entsprechend einer politischen Situation, die von der Anspannung des Präsidentschaftswahlkampfs und der damit verbundenen Regierungskrise geprägt ist, dominieren in dieser Debatte jedenfalls die Superlative.
Der Journalist und Blogger Thomas Rottenberg beschäftigte sich vor einigen Tagen mit der Thematik und stellte fest, dass es dabei vor allem um »Wahrnehmung« und »Gefühl« gehe. Er verdeutlicht dies auf seinem Blog mit einem Beitrag, in dem er die Angstzustände schildert, die Bürger_innen (zumeist aus anderen Bezirken) entlang der U6 durchleben müssten. Manche Passant_innen, die Rottenberg zitiert, meinen, nur die FPÖ nehme die Bürger_innen in ihren Ängsten ernst. Der Autor schildert seine Safari durch die vermeintlichen Problembezirke jedoch so: »Ich schaue weg. Auf den Boden. Durch die Leute. Tue, als sähe ich Dealer, Dreck, Scherben, Lachen am Boden und Junkies nicht. Rede meiner Nase ein, nichts zu riechen. Bemühe mich, nicht zu bemerken, was da von Hand zu Hand gereicht geht.« Während der Blogger angewidertes Wegschauen als bürgerliche Lösungsstrategie beschreibt, verhält sich der Boulevard nicht so dezent.
Laut der Tageszeitung Österreich, in der die Schreckensmeldungen im täglichen Stakkato gesteigert werden, seien folgende Begriffe für die Gebiete rund um die U6 angebracht: Drogenhölle, Bandenkriege, Bürger in Angst. Die Behörden tragen dabei nicht unbedingt zu einer rationalen Wahrnehmung der Situation bei. Polizeigewerkschafter Gerhard Zauner meint etwa, die dortige Drogenszene sei von »Ausländern« dominiert. »Die Schwemme der Asylwerber hat Lage auch nicht gerade besser gemacht«, so die rassistische Katastrophenmeldung des christlichen Gewerkschafters. Damit folgt der Beamte weitgehend der Linie seines Polizeipräsidenten Gerhard Pürstl, der bereits im Jänner via Kronen Zeitung die Linie vorgegeben hat: »Frauen sollten nachts generell nur in Begleitung unterwegs sein [...]«, so die Empfehlung Pürstls. Ähnliches Feingefühl ließ die Wiener Polizei am 8. Mai, dem Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus, durchblicken, als eine linke Kundgebung die Instrumentalisierung eines Mordes am Yppenplatz durch Rechtsextreme verhinderte: Auf Zuruf eines FPÖ-Jungpolitikers wurde bei der friedlichen antifaschistischen Standkundgebung alles aufgefahren, was vorhanden ist – Räumpanzer inklusive. Ob diese Leistungsschau nun Schützenhilfe für den Wahlkampf des FPÖ-Präsidentschaftskandidaten war, oder ob bereits das künftige Straßenbild nach dem Ende der Zweiten Republik vorweggenommen wurde, lässt sich derzeit noch nicht beantworten.
Fakt ist jedoch, dass sich das Unsicherheitsgefühl der Bürger_innen entlang der U6-Linie und anderswo in einer zu befürchtenden »blauen Republik« nicht verbessern wird: Der – auch von konservativer Seite geforderte – Kampf gegen den »Sozialmissbrauch« wird weder die Obdachlosigkeit noch den Drogenhandel verringern können. Auch wird eine noch repressivere Drogenpolitik keinen Beitrag zu einem besseren subjektiven Sicherheitsgefühl leisten können, sondern weitere Menschen in einen Teufelskreis aus Illegalisierung, (Klein-)Kriminalität und Stigmatisierung treiben.
Fortschrittliche Antworten auf gesellschaftliche Probleme jenseits von Panikmache, bürgerlicher Befindlichkeiten und restriktiver Sozialpolitik sind jedenfalls notwendig – nicht nur zu Wahlkampfzeiten.