PETER FLEISSNERS ABECEDARIUM
Wer es bisher noch nicht geglaubt hat, hört es nun von ganz offizieller Seite, nämlich vom deutschen Auswärtigen Amt1: »Österreich ist das Land mit der höchsten Pressekonzentration Europas.« Ich habe nachgerechnet. Die Konzentration ist jedenfalls höher als in Deutschland: Die Top-5 der auflagenstärksten Tageszeitungen erzielten in Österreich 2018 einen Marktanteil von 64,4 Prozent, in Deutschland waren es nur 42,6 Prozent. Die Zahl der Tageszeitungen hat sich in Österreich seit dem Zweiten Weltkrieg stark reduziert. In der Nachkriegszeit waren insgesamt 67 Tageszeitungen gegründet worden, von denen nur 16 überlebten. Die flächendeckenden Parteizeitungen Arbeiterzeitung und Volksstimme sind von der Bildfläche verschwunden. Insgesamt erreichten Tages zeitungen in Österreich 2018 4,7 Millionen LeserInnen, ein kleiner, aber doch deutlicher Rückgang von 2,3 Prozent gegenüber 2017.
Eigentum filtert Inhalte
Massenmedien gelten nach herrschendem Verständnis als wichtiges Element der Demokratie, als Gegengewicht zu privaten Einzelinteressen und staatlichen Bürokratien und als Garant der freien Meinungsäußerung. Aus marxistischer Sicht sind sie Widerspiegelungsprodukte, in denen sich die herrschenden Verhältnisse mit all ihren Widersprüchen ausdrücken. Der bekannten US-amerikanische Sprachwissenschaftler Noam Chomsky hat 1988 gemeinsam mit Edward S. Herman im Buch »Die Konsensfabrik« die politische Ökonomie der Massenmedien ausführlich untersucht und aufgezeigt, wie die Inhalte von den Rahmenbedingungen und den ökonomischen und politischen Interessen beeinflusst werden. Zur Illustration der Meinungsmanipulation verwenden sie die Analogie von Filtern, die wie bei einer Kaffeemaschine unterschiedliche Meinungen durchlassen, andere aber aufhalten.
Fünf verschiedene Filter kommen dabei zur Anwendung: Als erste und wichtigste Voraussetzung für die Existenz eines dominanten Massenmediums werden die Besitzverhältnisse und seine Größe genannt. Ist das Medium in privaten Händen, muss es – um gegenüber der Konkurrenz zu bestehen – gewinnorientiert sein. Damit eine möglichst große Reichweite erreicht wird, muss ein großes Anfangskapital zur Verfügung stehen, das entsprechende Erträge für seine Finanziers abwirft.
Als zweiter und dritter Filter nennen die Autoren die Abhängigkeit der Medienunternehmen von Werbeeinnahmen und öffentlicher Förderung. Die Umsätze aus dem Verkauf der Zeitungen sind dagegen zweitrangig, wie man auch an den Gratiszeitungen in Wien sehen kann. Über die Werbeeinschaltungen besteht ein großes Steuerungspotential, denn verhält sich ein Medium in den Augen der EigentümerInnen unbotmäßig, wir die Werbung einfach gestrichen. Dies war vor allem für linke Tageszeitungen ein Problem, denen die nötigen Einnahmen fehlten. Medien sind aber auch von den Inhalten abhängig, die ihnen weitergegeben werden. Neuerdings sollte auf Wunsch von nunmehr Ex-Innenminister Kickl die Polizei mit der Weitergabe von Nachrichten selektiver vorgehen.
Der vierte Filter besteht in den Aktionen einflussreicher Gruppen oder Thinktanks, Medien, die für sie unangenehme Nachrichten verbreiten, mit Leserbriefen, Klagen oder mit Beschlagnahmung der Auflage zu bedrohen. Wir kennen ja die Angriffe der FPÖ auf JournalistInnen des ORF.
Als fünfter Filter wird von Chomsky und Herman der Kommunismus genannt, der bis zum Ende der Sowjetunion und der RGW-Länder in den USA als Schreckgespenst herhalten musste. Seither wurde als Ersatz dafür der Kampf gegen den Terrorismus, gegen die Schurkenstaaten, gegen die Achse des Bösen ausgerufen. In Österreich ist allerdings das antikommunistische Argument, etwa in der Berichterstattung über den Wahlkampf von KPÖ Plus, immer noch präsent.
Die Analyse von Chomsky und Herman legt nahe, bei wichtigen Massenmedien nach den Besitzverhältnissen zu fragen. Im Folgenden wird exemplarisch gezeigt, dass die EigentümerInnen-Struktur2 der Printmedien von wenigen großen Unternehmen (teils in Familienbesitz) aus Österreich, aber auch aus Deutschland und der Schweiz und von Institutionen der katholischen Kirche dominiert wird. Die werte LeserIn kann selbst versuchen, die einzelnen Filter und ihre Wirksamkeit in unserer Medienlandschaft aufzufinden.
Riese Krone
Die Kronenzeitung belegt mit einer Auflage von rd. 700.000 Exemplaren und rund 2 Millionen LeserInnen (das bedeutet eine Reichweite von 27,2 Prozent) den Spitzenplatz im österreichischen Printmedienmarkt. Verglichen damit nimmt sich die größte deutsche Zeitung, die Bild-Zeitung, mit einer Auflage von 1,5 Millionen und einer Reichweite von 9,5 Millionen LeserInnen bescheiden aus, wenn man die Bevölkerungsverhältnisse von 1 zu 10 berücksichtigt. Die Kronenzeitung hat eine bewegte Geschichte, die im Jahr 1900 begann. Ihr Name bezieht sich allerdings nicht auf gekrönte Häupter, sondern auf ihren ursprünglichen Abonnementpreis, eine Krone. Nur von der Nazizeit unterbrochen ist sie bis heute am Markt, allerdings mit wechselnden EigentümerInnen. 1959 erwarb der bisherige Chefredakteur des Kurier, Hans Dichand, die Rechte an der Zeitung, die danach unter dem Titel Neue Kronen Zeitung wieder erschien. Der berüchtigte, von der CIA unterstützte Antikommunist Franz Olah3, SPÖ-Innenminister von 1963–1964 und Gewerkschaftspräsident, gab der Kronenzeitung aus Gewerkschaftsgeldern eine geheime finanzielle Starthilfe, die ihn 1964 zu Fall brachte, als überdies bekannt wurde, dass er mit einer Million Schilling an die FPÖ, wieder aus der Gewerkschaftskasse abgezweigt, die Weichen für eine kleine Koalition mit der SPÖ stellen wollte. Er war es auch, der erstmals über seinen Freund, den international tätigen Geschäftsmann Ferdinand Karpik, dem deutschen Kapital Zugang zu einer Beteiligung von 50 Prozent der Kronenzeitungsanteile ermöglichte. Diese wurden nach 1968 allerdings vom Olah-Vertrauten und Werbefachmann Kurt Falk übernommen, der nach Austritt aus der Krone 1985 zum Herausgeber der reichweitenstärksten Wochenzeitung Österreichs, Die ganze Woche, wurde. Als Mitte der 1960er Jahre der ÖGB Besitzansprüche an die Krone erhob, kam es zur ersten großen Kampagne der Zeitung gegen die SPÖ. Weitere Kampagnen folgten, etwa gegen die Kraftwerksprojekte Hainburg und Temelín oder zur Unterstützung mancher Volksbegehren.
Heute teilen sich die Kronenzeitung die Familie Dichand und die deutsche Funke-Mediengruppe (früher WAZ), die auch 49,41 Prozent der Anteile am Kurier4 hält. Im Jahr 2018 beteiligte sich der österreichische Investor René Benko mit der Signa Media zu 49 Prozent an der Funke-Gruppe und ist daher indirekt Teileigentümer von Krone und Kurier geworden, denen wieder je zur Hälfte der »Media-Print Verlag« gehört, der größte Zeitungs- und Zeitschriftenverlag Österreichs, der u. a. die Wochenzeitungen Profil und Trend herausgibt.
Die Kleineren
An zweiter Stelle steht in Österreich die Gratiszeitung Heute mit 600.000 Exemplaren und einer Reichweite von 11,6 Prozent. Sie gehört zu 74,5 Prozent der Pluto Privatstiftung zu Gunsten der Herausgeberin Eva Dichand und ihrer Kinder. 25,5 Prozent hält seit 2016 die Schweizer Mediengruppe Tamedia. Platz 3 belegt die Gratiszeitung Österreich (Auflage 440.000, Reichweite 9,8 Prozent) im Besitz der Fellner Medien GmbH. Der Styria Media Privatstiftung, die sich zu 100 Prozent im Eigentum von Institutionen der katholischen Kirche befindet, gehören die Kleine Zeitung ebenso wie die Presse, aber zu 50 Prozent auch Bezirksblätter und Bezirkszeitungen. Die Kleine Zeitung kommt zwar nur auf eine Auflage von 280.000, weist aber eine höhere Reichweite (11,6 Prozent) als die Gratiszeitungen auf. Die Kleine Zeitung ist vergleichbar mit der zweitgrößten Tageszeitung Deutschlands, der Frankfurter Allgemeinen, mit 230.000 Exemplaren und 760.000 LeserInnen. Eher abgeschlagen liegen Kurier, Standard, Oberösterreichische Nachrichten, die Presse, Tiroler Tageszeitung, Salzburger Nachrichten und Vorarlberger Nachrichten.5 Die im Staatsbesitz befindliche Wiener Zeitung gibt für 2018 eine maximale Auflage von 43.000 Exemplaren an und fungiert eher als – allerdings qualitativ hochwertiges – Schlusslicht.
Staatliche Förderung
In Österreich ist seit 2004 direkte Presse förderung gemäß dem Presseförderungs gesetz (PresseFG2004) vorgesehen. Damit sollte die Vielfalt des Angebots gefördert werden. Pro Zeitung werden 160.000 bis 210.000 Euro unabhängig von der Auflagenstärke bezahlt. 2004 wurden noch 13,5 Millionen Euro ausgeschüttet. Nach Kürzungen im Jahre 2012 und ein weiteres Mal 2014 liegt die Förderung bei jährlich 8,7 Millionen Euro. Gelder gibt es für den Vertrieb von Tages- und Wochenzeitungen, für die Ausbildung von JungjournalistInnen, für angestellte AuslandskorrespondentInnen, für Lokalzeitungen, Presseklubs und die Qualitätsförderung. ÖVP und FPÖ hatten im Medienkapitel ihres Regierungsprogramms eine »Anpassung des Förderwesens« vor gesehen. Auch in Zukunft sollte es eine Teilfinanzierung geben, wie hoch diese Mittel sein und wer sie erhalten würde, ist offen.
Obwohl die Auflagenstärke der Printmedien nur geringe Rückgänge aufweist, ist ihre wirtschaftliche Lage angespannt. Ursachen dafür sind das Auftreten von Gratiszeitungen, die nun am Markt für Werbung mitmischen, der erwähnte Rückgang der Presseförderung, besonders aber die zunehmende Verbreitung digitaler Medien, die vor allem bei den Jungen eine wachsende Rolle spielen. Aber das ist eine andere Geschichte.
1 https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/oesterreich-node/-/211040#content_3
2 https://kontrast.at/wp-content/uploads/2017/10/printmedien-in-occ88sterreich-1024x721.png
3 1949–1957 war er Vorsitzender der Gewerkschaft der Bau- und Holzarbeiter. In dieser Position war er im Oktober und November 1950 führend an der gewaltsamen Auflösung der Oktoberstreiks beteiligt. Sie waren von ÖVP, SPÖ und ÖGB als Putschversuch der KPÖ interpretiert worden, die Österreich angeblich zu einem Teil der Sowjetunion machen wollte. Erst 2015 hat der ÖGB diese Interpretation aufgrund der Arbeiten der beiden Historiker Peter Autengruber und Manfred Mugrauer zurückgenommen.
4 Den größeren Rest am Kurier besitzt der Raiffeisen-Konzern, der auch zu 20 Prozent am Niederösterreichischen Pressehaus beteiligt ist. Die anderen 80 Prozent befinden sich im Besitz kirchlicher Institutionen. Über die Medienaktivitäten das Raiffeisen-Konzerns siehe das lesenswerte »Schwarzbuch Raiffeisen« von Lutz Holzinger und Clemens Staudinger (mandelbaum 2013).
5 https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_%C3%B6sterreichischer_Zeitungen_und_Zeitschriften