Wir schreiben das Jahr 2021. Eine ÖH-Wahl steht an, doch diesmal ist alles anders: Kein absurdes Getümmel vor dem Audimax-Eingang, kein Wald aus Plakatständern, größere Demonstrationen und Proteste sind zuletzt ausgeblieben. Zuvor hat die Regierung Zugangsbeschränkungen in allen Fächern eingeführt, die Studiengebühren sind kaum noch leistbar und die ÖH hat ihr allgemeinpolitisches Mandat verloren. Während draußen das Betteln verboten ist, diskutiert die Regierung drinnen die Einführung einer allgemeinen Schweinefleisch-Pflicht.
Im ÖH-Wahlkampf: Debatten darüber, wie effektivere Zugangsbeschränkungen eingeführt werden können, wie viel Klopapier am Juridikum verfügbar ist und die größte Kontroverse unter den verbliebenen »Service«-Fraktionen ist, wer das glaubwürdigste Bild einer vermeintlichen »Elite« auf Social Media abgibt.
Der Weg in die Dystopie
Als Schwarz-Blau 2017 an die Macht kommt, ist bald klar, dass nicht die Kleinigkeiten oberste Priorität haben: 12-Stunden-Arbeitstag, 60-Stunden-Arbeitswoche, Angriff auf die Verankerung der Arbeiter_innen-Interessen in Sozial- und Krankenversicherung und nicht zuletzt die gesetzliche und politische Infragestellung menschenrechtlicher und demokratischer Mindeststandards. Gemeinsam mit den rechtsextremen Kamerad_innen in immer größer werdenden Teilen der EU, denen der bereits vorherrschende rassistische und letztlich mörderische Normalzustand noch nicht weit genug geht.
Salami-Taktik
Im Schatten medialer Schein- und Ablenkungskampagnen steigt im Vorfeld der diesjährigen ÖH-Wahlen der Druck auf die gesetzlichen Studierendenvertreter_innen. Diese sind denselben ökonomischen Bedingungen und dem gleichen Leistungszwang unterworfen, wie die allermeisten Studierenden. Das heißt letztlich: Kaum ein Studierender, kaum eine Studierende kann ohne eine zusätzliche Lohnarbeit das Leben bestreiten, zumeist unter äußerst prekären Bedingungen. Politische Tätigkeiten im Rahmen der ÖH – gleich auf welcher Ebene – sind hiervon nicht ausgenommen. Was gesetzlich als »Aufwandsentschädigung« für die Tätigkeit als Studierendenvertreter_in definiert ist, bedeutet in manchen ÖH-Funktionen einen Stundenlohn, der den Vorstellungen des Innenministers für die »Entlohnung« von zur Arbeit gezwungenen geflüchteten Menschen entspricht. In beiden Fällen: Es wirkt, als ob die gesellschaftliche Verrohung und Kommerzialisierung jedes Lebensbereiches die Sensibilität und lautstarke kollektive Empörung schwinden lässt. Im ÖH-Kontext herrscht vorsichtiges Abwarten (bis masochistisches Entgegenkommen) angesichts der durch Regierungskreise forcierten massiven Kürzung der Aufwandsentschädigungen. Die Sorge vor dem Spin verstellt den Blick auf den nächsten Schritt, die Abschaffung der Pflichtmitgliedschaft und des allgemeinpolitischen Mandats der ÖH. Die Folge wäre eine geschrumpfte und zahnlose, von Standesdünkel geprägte Institution – innerhalb derer das Eintreten für Menschlichkeit, die Förderung der Zivilgesellschaft und letztlich auch die Kritik des Wissenschaftsbetriebes zum juristischen und finanziellen Risiko werden.
Europäischer Klimawandel
Im Jahr 2000, als die erste schwarz-blaue Regierung angelobt wurde, war die internationale Entrüstung über den Tabubruch der Konservativen noch unübersehbar. Die rechtsextrem durchsetzte Regierung in Wien wurde im diplomatischen Kontext gemieden, das sich mehrheitlich selbst als irgendwie liberal verstehende EU-Ausland distanzierte sich scharf. 2019 ist das Modell des damaligen Schandflecks zum Normalzustand geworden. Ungarn, Italien, Polen und Österreich sind die Stützpfeiler einer immer stärker werdenden Achse, die die frühere Doktrin eines möglichen EU-Austritts im nationalen Sinne durch ein anderes Projekt ersetzt hat: Der Erlangung einer autoritär-neoliberalen und immer rassistischeren Hegemonie innerhalb der EU-Institutionen. Dabei haben diese Einrichtungen bereits unter konservativ-sozialdemokratischer Führung erste Testläufe der Austeritätspolitik erfolgreich abgewickelt. Selbst in Spanien regt sich nur wenige Jahre nach leidvollen Erfahrungen in manchen Parlamenten wieder der Faschismus. Die Sparpolitik hat die Gefahr derartiger Entwicklungen deutlich gesteigert. Ähnlich, wenn auch auf völlig anderer Ebene, verhält es sich mit den Studienbedingungen und dem politischen Engagement an den Unis.
Donnerstag und Freitag
In einem Umfeld, in dem die Studien- und Lebensumstände sich für den allergrößten Teil der Studierenden immer weiter verschlechtern, ist es nicht überraschend, dass der Raum für eine Kritik der Verhältnisse und für politisches Handeln enger wird. Auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen vollzieht sich diese autoritär-neoliberale Wende mit immer größerer Wucht. Doch die Konsequenzen sind an den Hochschulen – die in der Vergangenheit als Labore gesellschaftlicher Veränderung einen größeren Freiraum genossen – stärker zu spüren. Ungeachtet dessen gibt es Widerstand, sei es auf den Straßen oder in der ÖH. Dass jede Woche am Donnerstag ein bunter und vielfältiger Demonstrationszug durch Wien zieht und dass sich Schüler_innen gegen die Folgen der kapitalistischen Zustände für die Umwelt wehren, ist ein Ausdruck und deutlich wahrnehmbares Zeichen eines notwendigen emanzipatorischen Aufbegehrens. Damit diese und andere Formen des Protests möglich sind, benötigt es neben der politischen Aktivität von Einzelnen jedoch auch institutioneller Unterstützung. Der maßgebliche Anteil davon kam in den vergangenen Jahren – und mittlerweile Jahrzehnten – von der ÖH bzw. vor allem von der ÖH Uni Wien, deren Politik von einer Zusammenarbeit von VSStÖ, GRAS, KSV-LiLi und den linken Basisgruppen geprägt ist.
Keine Angst für niemand
Die Fortsetzung der Unterstützung zivilgesellschaftlicher Proteste einerseits und die Verteidigung der Handlungsmöglichkeiten der ÖH andererseits hängen also letztlich zentral vom Ausgang der ÖH-Wahlen im Mai ab. Dabei gilt es, sich von der ausufernden gesellschaftlichen Angst angesichts des Verwertungsdrucks, der menschenverachtenden Politik der Regierung und der Kommerzialisierung aller Lebensbereiche nicht lähmen zu lassen.