Ein christlich-marxistischer Arbeitskreis versucht auszuloten, welche Wege man gemeinsam gehen kann für eine bessere Welt.
Ein Portrait von PETER FLEISSNER
Seit mehr als 10 Jahren wird im Rahmen des christlich-marxistischen Arbeitskreises, der im Albert-Schweitzer-Haus der Evangelischen Kirche in der Evangelischen Akademie stattfindet, der Dialog zwischen Menschen unterschiedlicher Weltanschauung erprobt und geübt. Der Arbeitskreis setzt Versuche fort, die bereits in den 1960er Jahren begonnen haben. Prominente Vertreter dieses Dialogs waren etwa der evangelisch-lutherische Theologe Johannes Dantine und der Historiker Ulrich Trinks, beide langjährige Leiter der Evangelischen Akademie Wien, der Wiener Philosoph Walter Hollitscher, Mitglied des Zentralkomitees der KPÖ, und der Theologe Rudolf Weiler, Professor für Sozialethik an der katholisch-theologischen Fakultät der Universität Wien. Damals war allein schon die Vorstellung einer Annäherung zwischen ChristInnen und MarxistInnen für viele ein Sakrileg, und das nicht nur von christlicher Seite. Mit dem Ende des Real sozialismus, der für manche KatholikInnen als Inbegriff des Bösen angesehen und von einzelnen katholischen Gruppen durch Gebet und Spenden bekämpft worden war, entspannten sich die Voraussetzungen für den Dialog. Auch die Theologie der Befreiung erhielt in den letzten Jahrzehnten in kirchlichen und linken Kreisen verstärkte Anerkennung.
Der christlich-marxistische Arbeitskreis ist offen für TeilnehmerInnen aus den unterschiedlichsten Lebensbereichen. Er will weniger hochtheologische und philosophische Auseinandersetzungen führen, sondern versucht auszuloten, wie die auf weite Strecken gemeinsamen Vorstellungen von einer besseren Welt entwickelt und Praxis werden könnten. Zunächst wurden Kerntexte christlicher oder linker Provenienz gemeinsam gelesen und diskutiert. TheologInnen und MarxistInnen brachten ihre Einsichten in den Diskurs ein. Im Lauf der Jahre beschäftigte sich der Arbeitskreis stärker mit politischen und ökonomischen Fragen unserer Zeit. Immer wieder wurden und werden VertreterInnen von Initiativen für ein besseres Leben in Österreich eingeladen, die über ihre Arbeit sprechen und ihre Ergebnisse zur Diskussion stellen. Wiederholt befasste sich der Arbeitskreis mit dem Für und Wider zu einem bedingungslosen Grundeinkommen und Ansätzen zu seiner Verwirklichung. Große Aufmerksamkeit fanden das Handschreiben Evangelii Gaudium und die Umweltenzyklika Laudato si’ von Papst Franziskus, der in deutlichen Worten die Verzerrungen unserer Gesellschaft in Bezug auf Menschlichkeit, Umwelt, Gesundheit und Soziales aufzeigt. Trotz unterschiedlicher theoretischer Grundlagen führen die Formulierungen aus dem Kommunistischen Manifest und den Texten von Papst Franziskus zu ähnlichen konkreten Schlussfolgerungen. Viele Mitglieder des Arbeitskreises beteiligten sich an den Diskussionsprozessen zum »Sozialwort« und »Sozialwort 10+«, zu dem der Ökumenische Rat der Kirchen in Österreich eingeladen hatte. Viel bleibt in diesem Dialog noch zu tun, und der ArbeiterInnen sind wenige.