Die »Lex-Schüssel«: Im Jahr 2007 wurden durch die Einführung des Hausbetreuungsgesetzes und der Änderung der Gewerbeordnung die Grundlagen für die Legalisierung der 24-Stunden-Betreuung geschaffen. Auslöser war der mediale Skandal um die »illegale Pflegerin« im elterlichen Haushalt des damaligen Bundeskanzlers Wolfgang Schüssel.
Der/die 24-Stunden-BetreuerIn zwischen Professionalität und Laientum
24-Stunden-BetreuerInnen wohnen während ihres Turnus in den Häuslichkeiten ihrer KundInnen und leben deren Alltag mit. Im Idealfall wird ihnen ein eigenes Zimmer zur Verfügung gestellt, im worst case verbringen sie die Nacht auf der Wohnzimmercouch oder auf Klappbetten neben den Betten ihrer KundInnen. Sie stehen tatsächliche 24 Stunden täglich unter dem Erwartungsdruck, ihre Tätigkeit mit der Aufopferung und Hingabe eines Familienmitgliedes zu verrichten. Die Möglichkeiten des Rückzugs und der Distanzierung sind begrenzt, die ständige Verfügbarkeit gilt als berufliche und menschliche Selbstverständlichkeit. Wenngleich die Tätigkeit der 24-Stunden-Betreuung offiziell als »Laientätigkeit« gilt und hierfür keinerlei Ausbildungserfordernisse bestehen, wird von BetreuerInnen oftmals gefordert, komplexe Betreuungssituationen qualitativ auf dem Niveau eines/einer diplomierten Gesundheits- und KrankenpflegerIn zu meistern. Das führt dazu, dass BetreuerInnen im Arbeitsalltag oft überfordert sind, ihnen pflegerische Fehler unterlaufen oder sie psychisch an ihre Grenzen stoßen. 24-Stunden-BetreuerInnen sind de facto jedoch weder Familienmitglieder oder »Laien« noch professionelle »Diplomierte«, sondern ein eigener Berufsstand im Sozialbereich, welcher dringend einer umfassenden Professionalisierung und genauen arbeitsrechtlichen Regulierung bedarf. Nur so kann ein ausreichender Schutz aller beteiligten Personen gewährleistet werden.
In Abhängigkeit der Vermittlungsagenturen
Derzeit existieren in Österreich knapp 800 Vermittlungsagenturen, deren Aufgabe es ist, Betreuungspersonal im Ausland zu organisieren und dieses an österreichische Haushalte zu vermitteln. Hierfür werden sowohl den betreuungsbedürftigen KundInnen als auch den 24-Stunden-BetreuerInnen Provisionen in Rechnung gestellt. Im Idealfall übernimmt die Vermittlungsagentur alle bürokratischen Angelegenheiten für den/die BetreuerIn und fungiert als Ansprechperson für sämtliche Fragen und Anliegen, in realiter befinden sich BetreuerInnen jedoch oft in einem wirtschaftlichen Abhängigkeitsverhältnis zur Vermittlungsagentur und versprochene Unterstützungsleistungen bleiben aus. Aus der gewerberechtlichen Selbstständigkeit wird eine Scheinselbstständigkeit: Details zur Tätigkeitsverrichtung werden vorgegeben, BetreuerInnen werden zur Nutzung des hauseigenen Taxidienstes zu überteuerten Preisen verpflichtet und Vorschriften zur Pausengestaltung und Vertretungsmodalitäten werden gemacht. Im Gegenzug wird von unkorrekt durchgeführten Ab- und Anmeldungen zur Sozialversicherung, fehlender telefonischer Erreichbarkeit in Notfällen und mangelnder Unterstützung bei ausartenden Konflikten in den vermittelten Haushalten berichtet – stets unter der Berufung auf die (gewerberechtliche) »Selbstständigkeit« der BetreuerInnen und der damit einhergehenden »Unzuständigkeit« der Vermittlungsagenturen.
Medial und politisch wird das System der 24-Stunden-Betreuung bereits seit langer Zeit kritisiert, verändert hat sich bis dato jedoch nichts. Nur wenige BetreuerInnen hatten bisher den Mut, mit konkreten Missständen an die Öffentlichkeit zu gehen. Die Angst vor rechtlichen Konsequenzen ist groß, das Geld für anwaltliche Vertretung knapp. Was bleibt ist das Verharren in prekären Arbeitsverhältnissen unter der Herrschaft der Vermittlungsagenturen.
Nicht jedes Kind ist gleich viel wert – die Indexierung der Familienbeihilfe
Im Oktober wurde im Nationalrat die gesetzliche Grundlage für die Indexierung der Familienbeihilfe im EU- und EWR-Ausland beschlossen, wonach sich ab 2019 die Höhe der ausbezahlten Familienbeihilfe nach der Kaufkraft im jeweiligen Land richtet. Betroffen sein werden davon knapp 125.000 osteuropäische Kinder, ein bulgarisches Volksschulkind erhält ab sofort eine Kürzung von ca. 121 Euro auf knapp 55 Euro monatlich, ein rumänisches Volksschulkind auf knapp 60 Euro monatlich. Fakt ist, dass von der Indexierung der Familienbeihilfe zahlreiche 24-Stunden-BetreuerInnen betroffen sind. Für diese bedeutet die Kürzung der Familienbeihilfe einen deutlich spürbaren finanziellen Verlust im Gesamteinkommen. Für nicht wenige von Ihnen war die Auszahlung der Familienbeihilfe ausschlaggebendes Kriterium dafür, einen Job anzunehmen, in welchem sie für die finanzielle Sicherheit ihrer Kinder den hohen Preis bezahlen müssen, wochenlang von ihnen getrennt zu sein.
Das Signal, welches mit dieser Maßnahme gesendet wird, ist vor allem für 24-Stunden-BetreuerInnen aus den süd-ost-europäischen EU-Staaten eines, welches bei genauerer Betrachtung ad absurdum führt: Während sie auf Grund des Pflegenotstandes in Österreich dringend gebraucht werden, um eine Versorgungslücke in der österreichischen Pflegelandschaft zu schließen und deshalb unter arbeitsrechtlich höchst fragwürdigen Bedingungen ihre Tätigkeit verrichten, wird ihnen im gleichen Atemzug ein Teil ihres »Gesamteinkommens« mit der Begründung gekürzt, ihre Kinder würden in Summe auch weniger kosten.
Was durch die Indexierung bewirkt wird, ist die gesellschaftliche Spaltung der ArbeiterInnen in Österreich nach dem Kriterium ihrer Herkunft. Pflegende und betreuende ArbeiterInnen aus den EU-Oststaaten werden dadurch zu ArbeiterInnen zweiter Klasse, ihre Kinder zu Kindern, welche weniger wert sind als österreichische Kinder.
Der Pflegenotstand als gesamteuropäisches Problem
Eine weitere Problematik, die sich durch den Zukauf von Pflege- und Betreuungstätigkeiten aus den südost-europäischen Ländern ergibt, ist jene der fehlenden »Next Generation« in den jeweiligen Ländern, oder in anderen Worten: »Wer kümmert sich in den Heimatländern der 24-Stunden-BetreuerInnen um die alternde Generation?« Während in Österreich der bestehende Pflegenotstand dadurch umgangen wird, dass österreichische Pflege- und Betreuungsbedürftige die notwendigen Dienstleistungen billig aus dem Ausland beziehen, leiden die süd-ost-europäischen Länder stark unter der Auswanderung junger Menschen, denn diese fehlen wiederum in der Altersversorgung vor Ort. Der Pflegenotstand wird somit nicht dort bekämpft, wo er existiert, sondern durch Arbeitsmigration in Länder mit niedrigerer Kaufkraft verlagert. Das Wohlstandsgefälle wird dadurch immer größer, die Kluft zwischen Arm und Reich im europäischen Raum steigt. Im europäischen Diskurs wird die Problematik des übergreifenden Pflegenotstandes jedoch vollkommen ausgeklammert und der gesamteuropäische politische Wille nach Lösungen fehlt gänzlich.
Manuela Juric hat im Rahmen ihres Jus-Studiums den Schwerpunkt »Legal Gender Studies, Antidiskriminierungsrecht & Diversity« absolviert und arbeitet und forscht im Bereich des Pflege- und Medizinrechts und der Grund- und Menschenrechte im Alten-, Behinderten-, Kinder- und Jugendbereich.