Inflation ist menschgemacht, Klassenkampf hilft Ri Butov, pixabay
13 Juli

Inflation ist menschgemacht, Klassenkampf hilft

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Ein Standpunkt von Mo Sedlak

Preise steigen nicht, sie werden erhöht. Vor allem bei Konsumgütern entscheiden reale Menschen, welcher Preis am Kassazettel steht. Diese Preise galoppieren den Arbeiter*in nen und Erwerbslosen gerade davon, im Mai waren sie fast acht Prozent höher als vor einem Jahr. Das bedeutet für viele, dass sich der Wocheneinkauf so nicht mehr ausgeht, und dass sie sich im nächsten Winter zwischen Essen und Heizung entscheiden müssen.

Währenddessen steigen aber die Gewinne der großen Konzerne, und die Regierung beschließt im Windschatten des Teuerungspakets langfristige Steuergeschenke an Besserverdienende und Unternehmen. Zum Beispiel hat die AK Wien ausgerechnet, dass ein Manager ungefähr fünfmal so viel vom Teuerungspaket hat wie eine Mindestpensionistin. Diejenigen, die darauf angewiesen sind, werden mit Einmalzahlungen abgespeist und werden die Rechnung ab 2023 in Form von Sozialabbau präsentiert bekommen.

Raus aus dem Regierungsdenken

Inflation ist keine kapitalistische Verschwörung, die Preissteigerungen bei Energie und Baustoffen haben Lieferketten und Produktionspläne durcheinander geworfen. Vom Staat als »ideellen Gesamtkapitalisten« erwarten Firmen, die Inflation in den Griff zu bekommen. Und eben weil er Gesamtkapitalist spielt, gehen die Lösungsvorschläge vor allem auf unsere Kosten.

Eine linke Antwort kann sich nicht auf Vorschläge, wie es eine progressive Regierung angehen würde, konzentrieren. Weder die Linke noch die Arbeiter*innenbewegung sitzen im Finanzministerium (seit 2007 geben sich da ÖVPler*innen die Klinke in die Hand) oder in der Europäischen Zentralbank (die ebenfalls seit 2007 von konservativen Direktor*innen geführt wird).

Der Gegenentwurf zum Klassenkampf von oben ist nicht Versöhnung, Vernunft oder Verantwortung übernehmen für den ungestörten Aufbau des österreichischen Kapitalismus. Linke müssen da raus aus dem Regie-rungsdenken und hinein in den Klassenkampf, von unten und dort, wo wir sind. Ein stabiles Verständnis der Inflation hilft da.

Der Kapitalismus ist tendenziell inflationär

Der Kapitalismus ist ein grundsätzlich inflationäres System. Widersprüchlicherweise liegt das daran, dass kapitalistisches Wachstum eigentlich zum Gegenteil, also Deflation, führen sollte.

Inflation bedeutet allgemeine Preissteigerungen, also dass ich mir für dasselbe Geld weniger Güter und Dienstleistungen kaufen kann. Würde man die Geldmenge gleich halten, könnte Inflation nur entstehen, wenn weniger Waren zum Verkauf angeboten würden. Tatsächlich wächst der Kapitalismus aber fast immer, die Produktion wird immer günstiger – das sollte das Gegenteil (»Deflation«) auslösen.

Aber die Geldmenge ist nicht fix festgelegt. Marx hat Geld als »Generaläquivalent« beschrieben. Statt Arbeitskraft gegen Brot, und Brot gegen Kleidung zu tauschen (und dann immer jemanden* finden zu müssen, die*der das haben möchte, worüber man* selber gerade verfügt), wird eine Ware zur Geldware, die gegen alle verfügbaren Waren eingetauscht werden kann.

Nützliche Eigenschaften von so einer Geldware sind Haltbarkeit und Teilbarkeit. Seit Jahrtausenden werden seltene Metalle, aber auch Muscheln, Tierzähne oder Salz dafür verwendet. Im Allgäu wurden Naturalsteuern im Mittelalter sogar in Käse bezahlt, der ist richtig gelagert ja auch halbwegs haltbar.

Der »Käszins« ist im Kapitalismus eher unüblich; was geblieben ist, sind Geldwaren, die produziert und gehandelt werden. Die »Geldproduktion« findet nicht auf Druckpressen in den Notenbanken statt, sondern durch Banken, die nach eigenem Ermessen Kredite vergeben. Und auch in der Geldproduktion werden Profitraten erzielt.

Das bedeutet: Wenn es eine Nachfrage nach Geldwaren gibt (wenn sie einen Gebrauchswert haben), ist es profitabel, welche herzustellen. Die deflationäre Tendenz im Kapitalismus schafft automatisch Nachfrage nach Geld, das Profitmotiv für einzelne Kapitalist*innen führt dann fast immer zur Inflation.

Inflation und Klassenkampf von oben

Verbund und OMV, die größten Energieversorger*innen in Österreich, berichten 2022 Rekordgewinne. Sie profitieren von den hohen Weltmarktpreisen, ohne selber höhere Kosten zu haben (zum Beispiel bei der Wasserkraft). Aber auch da, wo Produktionskosten steigen: Wenn es den Kapitalist*innen gelingt, ihre Profitrate zu halten, erhöht sich der Gewinn bei höheren Preisen. Während das verfügbare Einkommen der Arbeiter*innen fällt, wachsen die Unternehmensgewinne. Das ist Umverteilung von unten nach oben.

Die Regierungsmaßnahmen schlagen in dieselbe Kerbe: Die Abschaffung der kalten Progression, der erhöhte Familienbonus und die Senkung von Sozialversicherungsbeiträgen (Lohnnebenkosten) kommen vor allem Besserverdienenden zugute. Ab nächstem Jahr werden uns diese Beitragssenkungen in Form von Angriffen auf den Sozialstaat um die Ohren gehaut. Außerdem versuchen sich die Konservativen im ideologischen Klassenkampf. ÖVP, Wirtschaftskammer und rechte Medien malen das Schreckgespenst von der Lohn-Preis-Spirale an die Wand. Sie versuchen, unsere Forderungen nach Lohnerhöhung als Preistreiberin darzustellen.

Gerade in Österreich gibt es sowas nicht, dafür vielmehr eine Profit-Preis-Spirale. Um die normalen Profitraten für Unternehmer*innen und Aktienbesitzer*innen zu garantieren, erhöhen Firmen die Preise genau so lange, wie es noch jemanden* gibt, die*der das bezahlen kann.

»Inflation is fake. Make things cheaper or I will steal them.« Das ist gerade eines meiner Lieblingsmemes.

Klassenkampf von unten

Arbeiter*innen in den imperialistischen Staaten des globalen Nordens sind heute selbstbewusster, aber auch kampfbereiter als in den letzten Jahren. Die rasch sinkende Arbeitslosigkeit nach der Pandemie hat (vor allem in den USA) zu einer besseren Verhandlungsposition und entsprechendem Selbstbewusstsein geführt. Dazu kommt nach der Pandemie die mediale Erkenntnis darüber, wessen Arbeit wirklich »essentiell« ist. Der jetzt drohende Einschnitt beim Lebensstandard steht in krassem Widerspruch dazu.

Mit Blick auf die Lohnverhandlungen im Herbst hat deshalb der ÖGB zu einer Betriebsrät*innenkonferenz mobilisiert, radikal-reformistische Forderungen werden nicht nur dort breit diskutiert. Die Inflationsanpassung von Sozialleistungen wurde umgesetzt, Besteuerung von Übergewinnen und Preisdeckel stehen zur Debatte. Das ist die Dynamik, an der eine Bewegung von unten ansetzen und die Gewerkschaftsführungen in die Pflicht nehmen kann.

Wo wir gut organisiert sind, können wir aber auch mit Kolleg*innen für Forderungen kämpfen, die weit über Stabilisierung und Absicherung hinausgehen. Eben weil die Widersprüche so klar auf dem Tisch liegen, und die Zahnlosigkeit der Maßnahmen »für alle« so offensichtlich sind.

So wie die Kolleg*innen in der Sozialwirtschaft für allgemeine Arbeitszeitverkürzung gestreikt haben, können wir angesichts der Debatte über Inflations-Profiteur*innen die Öffnung der Bücher einfordern. Wir können verlangen, dass die Preise für Wohnraum und Lebensmittel gedeckelt werden, und zwar nicht von pseudo-neutralen Expert*innen, sondern von gewählten Vertreter*innen der Konsument*innen selbst. Und schließlich kön-nen wir mit Forderungen nach Vergesellschaftung der wichtigsten Lebensbereiche die bestehende Dynamik anheizen – das »Deutsche Wohnen & Co Enteignen« Volksbegehren in Berlin zeigt, dass solche Forderungen breit unterstützt werden.

Über Preiserhöhungen entscheiden Menschen, und wir können in diese Ent-scheidungen eingreifen. Da geht es darum, eben nicht zu erlauben, dass die Profite mit den Preisen mitsteigen – und uns ein Stück Kontrolle über die Waren zu holen, die wir produzieren.

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