Peter Haumer über Louise Michel (1830– 1880), Aktivistin und Chronistin der Pariser Kommune
Louise Michel wurde am 29. Mai 1830 als uneheliches Kind eines einfachen Landmädchens und des Sohnes des Schlossbesitzers im Schloss Broncourt geboren. Zu ihrer Mutter, der sie auch ihre 1886 erstmals erschienenen Memoiren widmete, verbindet sie ihr Leben lang eine innige Beziehung. Sie erhält 1852 ihr Diplom als Lehrerin und eröffnet, um dem Amtseid zu entgehen, eine »freie Schule« in einem Dorf. Nach einem Jahr endet dieses Projekt. Sie nimmt eine Stelle als Aushilfslehrerin an. In dieser Zeit schreibt sie bereits mehrere regierungskritische Artikel. Sie gründet erneut eine »freie Schule«, die sie nach ein paar Monaten wieder aufgibt. Schließlich tritt sie 1856 in Paris eine Stelle als Hilfslehrerin in einem Internat an.
Um 1860 beginnt sie ihr Abitur nachzuholen. Einer der Lehrer gibt zusammen mit einigen Student:innen unentgeltlich an einer Schule Unterricht – Louise Michel ist eine von ihnen. In der Schule macht sie Bekanntschaft mit der Gruppe Frauenrecht (Droits des Femmes). »In der Gruppe Droits des Femmes wie überall dort, wo die fortschrittlichsten Männer den Ideen von der Gleichheit der Geschlechter Beifall zollen, konnte ich feststellen, dass sie uns nur scheinbar unterstützten; in Wirklichkeit halten sie an ihren alten Gewohnheiten und Vorurteilen fest. Bitten wir also nicht um unsere Rechte, nehmen wir sie uns.« Sie schreibt eine Reihe von Artikeln und wird 1868 Sekretärin der Société démocratique de moralisation. Sie nähert sich den Blanquisten und der Internationale an und beteiligt sich mit Gedichten und Artikeln am politischen Kampf.
Als es 1871 zum Aufstand der Pariser Kommune kommt, ist sie aktiv an den Kämpfen beteiligt. Über die Ereignisse am 18. März schreibt sie: »Im Morgengrauen hörte man die Glocken Sturm läuten. Wir stiegen, die Gewehre im Anschlag, den Hügel wieder hinauf; wir wussten, dass uns oben eine kampfbereite Armee erwartete. Wir dachten, wir würden für die Freiheit sterben. Man fühlte sich schwebend. Wenn wir tot wären, würde Paris sich erheben. Manchmal sind die Massen die Avantgarde. Der Hügel war in weißes Licht getaucht, ein wunderbares Morgendämmern der Erlösung.« Die Regierung flieht nach Versailles und erklärt der Kommune am 1. April den Krieg. Louise Michel baut in der Zeit ein Frauenbataillon auf und kämpft mit der Waffe in der Hand für die Revolution. Das Amtsblatt der Kommune ist vollen Lobes für dieses Bataillon. Sie selber wird in diesem Artikel als »tatkräftige Frau« gewürdigt, die mehrere Gendarmen und Polizisten getötet habe. Das Schießen hat sie bereits auf dem Rummelplatz ein paar Jahre zuvor gelernt. »Wir beschlossen, für unsere Stadt zu kämpfen, weil es die alte Regierung nicht tat. Ich war eine der vielen Frauen, die Paris verteidigten und die Verwundeten pflegten; während der gesamten Kommunezeit verbrachte ich nur eine Nacht bei meiner Mutter. Diese Nacht zwischen dem 18. März und meiner Verhaftung im Mai war die einzige, die ich im Bett verbrachte.«
Todesurteil und Verbannung
Nur 72 Tage lang hält sich die Kommune, danach überrollt die Reaktion die Aufständischen und rächt sich fürchterlich. Louise Michel entkommt anfangs den Truppen, die daraufhin ihre Mutter festsetzen und mit ihrer Erschießung drohen. Louise Michel stellt sich. Ihre Mutter kommt frei; ihr selbst wird die Erschießung angedroht. Letztendlich wird sie vor ein Kriegsgericht gestellt. »Ich will mich nicht verteidigen, und ich will nicht verteidigt werden. Ich übernehme die Verantwortung für alle meine Taten. [...] Man wirft mir vor, Komplizin der Kommune gewesen zu sein. Selbstverständlich war ich das, denn die Kommune wollte vor allem die soziale Revolution, und die soziale Revolution ist, was ich mir am sehnlichsten wünsche«, verkündete die damals 41-jährige Louise Michel auf die Anschuldigungen vor dem Kriegsgericht. Der Prozess wegen Aktivitäten im Rahmen der Pariser Kommune endete für sie mit dem Todesurteil. Sie wird aber nicht erschossen, sondern nach Neukaledonien verbannt, wo sie bis zu einer Generalamnestie 1880 lebt. Auf dem Weg ins Exil in Neukaledonien wird sie nach eigenen Angaben zur Anhängerin des anarchistischen Kommunismus. In dieser Zeit beschäftigt sie sich mit der Sprache und Kultur der Einheimischen. 1878 kommt es zu einem Aufstand der Ureinwohner Neukaledoniens, der Kanaken. Michel erklärt sich solidarisch mit dem Aufstand: »Auch sie kämpfen für ihre Unabhängigkeit, für ein selbstbestimmtes Leben, für ihre Freiheit. Ich bin auf ihrer Seite, so wie ich auf der Seite des Volkes von Paris stand.«
Bei ihrer Rückkehr nach Frankreich wird sie gefeiert. Sie setzt ihren Kampf für die soziale Revolution und die Emanzipation der Frauen fort. Am 9. Januar 1905 verstirbt sie in einem Hotelzimmer in Marseille. Mehr als 100.000 Menschen geben ihr bei der Beisetzung in Paris am 20. Januar das letzte Geleit.
1895 hat Louise Michel ihr Buch La Commune ihrem Verleger übergeben. Sie wollte mit ihren Aufzeichnungen über die Pariser Kommune möglichst vielen ihrer Mitstreiter und Mitstreiterinnen ein Denkmal setzen. Endlich liegt La Commune in deutscher Übersetzung vor. Es sei an dieser Stelle Veronika Berger, Eva Geber und dem Mandelbaum Verlag gedankt, dass mit diesem Erlebnisbericht eine der aufregendsten Gestalten der Pariser Kommune in deutscher Übersetzung vorliegt. »Sie will dem Vergessen entgegenwirken, vor allem will sie zukünftigen Generationen ein Vermächtnis hinterlassen, damit sie verstehen, lernen und manche Fehler nicht mehr machen müssen; aber auch damit sie glauben können: an den Fortschritt der Menschheit, an ihren Mut, an die Kraft, mit der Völker wieder aufgestanden sind, aufstehen und aufstehen werden, um gegen Unrecht zu kämpfen«, schreibt die Übersetzerin Veronika Berger im Vorwort.
Louise Michel, Die Pariser Commune, Mandelbaum Verlag 2020, 416 Seiten