Anni Haider, Wien. Anni Haider, Wien. FOTO © KARIN BERGER

»Ja, ich mach’s«

von

Elisabeth Holzinger über Frauen im Widerstand im Februar 1934

Am Widerstand der österreichischen Arbeiterschaft im Februar 1934 waren auch viele Frauen beteiligt. Woher kommt es, dass von ihnen selten die Rede ist? Die Gründe dafür sind in einer männlich geprägten Gesellschaft und Geschichtsschreibung nicht lange zu suchen. Schon 1926 wurden Frauen von der Mitgliedschaft im Republikanischen Schutzbund ausgeschlossen. Dazu kommt, dass lange Zeit vor allem der organisierte Widerstand erfasst und erforscht wurde. Erst mit der Ausweitung des Begriffs Widerstand auch auf die vielen Aktivitäten außerhalb von Organisationen, auf Aktionen aus eigener Initiative, wurde das Ausmaß weiblicher Widerstandshandlungen langsam sichtbar. Einen Zuwachs an Wissen brachte neben dem Studium von Quellen auch der Einsatz von oral history.

Frauen haben während der Februarkämpfe – und danach im antifaschistischen Widerstand – schwankende GenossInnen aktiviert, aus Bänken und Koloniakübeln Barrikaden gebaut; in ihren Schlafzimmern wurden Maschinengewehre aufgestellt, sie hielten die Kommunikation zwischen isolierten Gruppen aufrecht, versorgten Verwundete, verfassten und verteilten Propagandamaterial, sorgten für Verpflegung und Munitionsnachschub, haben Verfolgten Unterschlupf geboten, für Angehörige von Gefallenen und Gefangenen Geld gesammelt, in den grenznahen Gebieten Flüchtigen sichere Übergänge ins Ausland gewiesen und nahmen auch Waffen in die Hand.

»Hab ich gesagt, ja, ich mach’s!«

Eine Frau, die nahezu in allen Formen des Widerstands gewirkt hat, ist Anni Haider. 1902 geboren, war sie während der Februarkämpfe 32 Jahre alt und unerschrocken. Aufgewachsen in einem politischen Milieu – ihr Vater war Mitbegründer der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP) Kaisermühlen – war sie selbst schon früh politisch aktiv. Mit 14 trat sie den Kinderfreunden bei, war später Mitglied der Wehrturner und wurde mit 18 an ihrer Arbeitsstelle in der Schwarz- und Seidenfärberei Silberstein zur Betriebsrätin gewählt. In den frühen 1930er Jahren wurde sie entlassen, worauf sie sich durch Heimarbeit über Wasser hielt.

Am Montag, dem 12. Februar, begann in Linz der bewaffnete Widerstand. Die Nachricht vom Beginn der Kämpfe erreichte Wien kurz darauf. Anni erfuhr davon in ihrer Wohnung im Goethehof, einem der großen Gemeindebauten des Roten Wien in Kaisermühlen. Der Stromausfall war das Zeichen für den Generalstreik – für Anni das Signal, die Schutzbündler aus den Betrieben und Wohnungen zu holen, um die weitere Vorgangsweise zu beraten.

Der Generalstreik wurde nur lückenhaft befolgt, zur Organisation geschah praktisch nichts. Hunderte Schutzbündler kamen zu den Sammelplätzen und warteten auf Befehle. In vielen Bezirken wurde gekämpft, in anderen Barrikaden gegen die anrückenden Soldaten errichtet. Der Widerstand der Arbeiterschaft blieb ohne zentrale Leitung.

Im Goethehof warteten die versammelten Schutzbündler auf Einsatzbefehle. Einige hatten schon versucht, über die Donau zu kommen, um Informationen von der Schutzbundführung im Lassalle-Hof zu bekommen, konnten aber nicht über die von Heimwehr und Soldaten besetzte Reichsbrücke gelangen. Es wurde beschlossen, dass Anni versuchen soll, über die Reichsbrücke zu gelangen, um Direktiven aus dem Lassalle-Hof einzuholen. Anni: »Hab ich gesagt, ja, ich mach’s!«

Sie packte ihre Heimarbeit zusammen und wies sie den Posten vor. Tränenreich versicherte sie, dass sie unbedingt liefern müsse. Man ließ sie passieren, auf dem Rückweg wurde sie sogar freundlich von den Kontrolleuren der Heimwehr eskortiert. In ihren Haaren versteckt war der Zettel mit den Direktiven für die im Goethehof versammelten Schutzbündler. Ein direkter Befehl zur Bewaffnung erfolgte nicht.

»Ich hab geschossen«

Im Goethehof sprengten die kampfbereiten Genossen ein Waffenversteck auf und fanden vier Revolver, zwei Maschinengewehre und etwas Munition. Von einem Lastwagen, den sie aufhielten, erbeuteten sie weitere vier Maschinengewehre und Schutzkleidung – uralte Gewehre mit Wasserfüllung zur Kühlung. Anni verteilte Munition und Waffen. Der Goethehof wurde vom anderen Donauufer aus beschossen. Durch den Beschuss wurde eine Stiege im Goethehof total zerstört; im ganzen Bau wurden große Schäden angerichtet. Nur mehr ein Maschinengewehr war funktionstüchtig. Als die Angriffe immer heftiger wurden und die Lage schließlich aussichtlos war, beschlossen die Kämpfer zu fliehen.

»Da kommt einer zu mir und sagt: Anni, du musst mit dem Maschinengewehr den Rückzug der Leute decken. Gut, ich mach’s, habe ich gesagt. Mein Sohn Karli, er war damals acht Jahre, hat mir das Wasser gebracht und hat es reingegossen. Und ich hab‘ geschossen. Dann sind aber Flugzeuge gekommen und haben von oben in den Bau reingeschossen. Jetzt haben wir müssen das Maschinengewehr in den nächsten Hof tragen. Von einem Hof zum anderen. Dort hab’ ich weiter geschossen. Ich hab’s ja gelernt bei den Wehrturnern. Als alle weg waren bin ich hergegangen und hab die Verschlüsse aus dem Gewehr genommen, es zerstört und die Teile in die Donau geworfen. Mit dem Gewehr soll kein Arbeiter mehr erschossen werden. Dann bin ich auf meiner Stiege gesessen und hab geweint. Das war bitter. Das war für uns so bitter. Das kannst du dir nicht vorstellen.«

Nach drei Tagen war die Exekutive in den meisten Kampfgebieten Herr der Lage.

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Gelesen 1761 mal Letzte Änderung am Mittwoch, 01 Februar 2023 19:32
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