Die Reaktion reitet in die Mitte

von

Diana Leah Mosser über die Hufeisentheorie

Die meisten Menschen, die sich – wenn überhaupt – mit der Zwischenkriegszeit in Österreich auseinandersetzen, stoßen auf eine Erzählung von zwei verhärteten Fronten. Zwei Fronten, deren größter Fehler es angeblich war, der Gewalt nicht abgeschworen zu haben. In der Schule lernen wir von zwei Seiten eines Konflikts, die sich einfach nicht vertragen konnten. Wir lernen, dass wir beide Seiten verstehen müssten, als wären wir Außenstehende.

Wer gegen wen?

Ich war dreißig, als ich beim Streben nach einem besseren Schulabschluss eine Abendschule besucht hab und dort nach fast 15 Jahren zum ersten Mal wieder Geschichtsunterricht hatte. Ich saß dort gemeinsam mit 18-Jährigen, die das Thema kaum besser verstehen konnten als ich beim ersten Mal, als mir die Lehrerin (es war sogar die gleiche wie damals) vom sogenannten Bürgerkrieg erzählte. Beim ersten Mal hab’ ich einfach brav notiert, was die Lehrerin gesagt hat. Doch 15 Jahre später kamen mir Zweifel: Ist es denn ein Bürgerkrieg, wenn der Staat gegen Teile der Bevölkerung kämpft? Nein. Die Februarkämpfe waren vielmehr ein Aufstand gegen den staatlich unterstützten Faschismus.

Ich war dreißig und schon über zehn Jahre lang relativ linksradikal, als ich verstand, dass ich nicht außerhalb, sondern auf einer der beiden Seiten stehe. In eigener Sache, aber auch ohne wirklich eine Wahl zu haben. Ich stehe im Visier der Faschist*innen und bekomme das am Arbeitsplatz zu spüren.

Selbst wenn man meine Kollegen nicht als Faschisten bezeichnet (und es gäbe Gründe), so ist nicht zu leugnen, dass sie sich über jene lustig machen, die Opfer der Faschisten waren.

Ich stehe nicht dazwischen, sondern auf einer der beiden Seiten. Aus politischer Überzeugung, wegen meiner gesellschaftlichen Position als Kommunistin und als nichtbinäre trans Frau. Ich stehe auf dieser Seite wie mein Opa, sein Bruder, deren Vater und ihr Großvater, der in Mödling aktiv an der Entstehung von Gewerkschaften mitgewirkt hat.

Kampf gegen Paramilitärs

Wenn wir über die Zwischenkriegszeit lernen, lernen wir von einer Eskalation im Jahr 1927, als wir den Justizpalast abgefackelt haben. Wir lernen nichts von den politischen Vorstellungen der Hahnenschwanzler, nix von deren Gewaltbereitschaft, von deren wiederholten Putschversuchen wie z. B. durch Pfrimer. Wir hören nix von einem präfaschistischen Rechtssystem, das Arbeitermörder freisprach. Vom Arbeitermord in Schattendorf sollten wir als Schüler*innen etwas wissen, dass dies aber nicht der einzige Mord seiner Art war, musste ich mir selber aneignen.

Wir lernen in der Schule nicht, dass solche Morde regelmäßig passierten. Wie der Mord an Leopold Müller, der nach einer Gegenkundgebung gegen Deutschnationale 1925 in Mödling in der Nähe des Bahnhofs – zwei Gassen von meiner heutigen Wohnung (die Genossenschaftswohnung meiner Großeltern) entfernt – erschlagen worden ist.

Wir lernen nicht, dass bereits Anfang der 20er Jahre faschistische Freikorps und Vorläufer der Heimwehr im Kärntner Abwehrkampf quasi als Paramilitärs eingesetzt wurden. Dass es teilweise mehr Hahnenschwanzler als Bundesheersoldaten gab.

Grätsche in der Geschichtsschreibung

Wir lernen nicht, dass der Republikanische Schutzbund sich erst 1923 gegründet hat, als die reaktionären Paramilitärs bereits etabliert waren. Wir lernen nicht, dass ein Republikanischer Schutzbund die Antwort ist auf Faschisten, die sich hochrüsten, um die Republik zu zerschlagen. Wir lernen nicht, was es heißt, als Bevölkerung eines ehemaligen Kaiserreichs eine Republik auszurufen.

Wir lernen stattdessen die historische Version österreichischer Hufeisentheorie, die versucht uns zu veranschaulichen, dass Linksextreme und Rechtsextreme gleich schlimm sind. Dabei wird ignoriert, dass es unsererseits ein Bekenntnis zur Republik gab, während Faschos den Korneuburger Eid geschworen haben.

Ignoriert wird der Einsatz jener, die dieses Land in Jahren nach dem ersten Weltkrieg nicht dem Faschismus überlassen haben.

Der große Nutzen der Hufeisentheorie ist, dass, wer immer sie bemüht, als Garant für Mitte und Mäßigung erscheint. In einem System, in dem Rechts- und Linksextremismus gleichgesetzt und gleich dämonisiert werden, erscheint der Extremismus der Mitte – die Ausgrenzung von Minderheiten durch staatliche Gewalt – als notwendiger, stabilisierender Eingriff.

Simulierte Nähe zur Bevölkerung

Durch den Einsatz der Hufeisentheorie ist vollkommen gleich, welche Inhalte die Kämpfer*innen der vermeintlichen Mitte ins Treffen führen. Das Verurteilen von sichtbarer Gewalt (oder sichtbar gemachter Gewalt) auf den Straßen verleiht selbst den reaktionärsten ÖVP-Politiker*innen – ob Sachslehner, Kurz oder Kugler – einen gemäßigten Anstrich. Diesen Anstrich tragend, konnten und können die Faschos der ÖVP kontinuierlich ihre Gewalt in die Ämter tragen und dort verankern. Dank ihrer Schmids in Ministerien, der Wirtschaftskammer und KTM im Rücken, braucht die ÖVP keine Bewegung, die den Rückhalt in der Bevölkerung verkörpert.

Und da Sebastian Kurz 2016 die identitäre Erzählung von Schlepperbanden, die mit der Seenotrettung im Mittelmeer kooperieren, aufgegriffen hat, können selbst Rechtsradikale Gewaltfreiheit reklamieren, weil ihre Forderung, ihr Wunsch nach geschlossenen Grenzen, mit österreichischer Staatsgewalt durchgesetzt wird. Wer sich aber dagegen zur Wehr setzt, wird Opfer staatlicher Überwachung und Repression – wie die sieben Antifaschist*innen, die in Wien im Oktober des vergangenen Jahres vor Gericht standen. Während der Ermittlungen wurden sie von Beamt*innen teilweise auf offener Straße überfallen. Ein Vorgehen, das nicht einmal bei vielen Linken auf lauten Protest gestoßen ist. Die Übergriffe der Polizei auf die Antifaschist*innen ereigneten sich zu Beginn des Wiener Wahlkampfs (2020) ohne thematisiert zu werden und selbst am Tag der Verurteilung (2022) protestierten lediglich 400 Leute.

Schau ned weg

In der extremistischen Ideologie der Mitte wird den Menschen vermittelt, sie könnten sich aus allem heraushalten ohne sich einzumischen. Aber das stimmt nicht. Denn wir SIND eingemischt. Ich bin eingemischt. Meine trans Geschwister sind eingemischt. Meine Eltern sind eingemischt. Ohne unser Zutun.

Als Angehörige von Randgruppen – und wenn wir von faschistischer Gewalt reden, dann zählen auch Kommunist*innen und Antifaschist*innen zur Randgruppe – spüren wir die wachsende Gefahr. Wenn trans Personen auf der Straße beschimpft und angegriffen werden, die Fassaden von Schwulen- und Lesben-Häusern mit Morddrohungen beschmiert werden, wenn Kurd*innen über Tage hinweg von Faschisten attackiert und ihre Organisationen verboten werden, wenn Musliminnen im öffentlichen Verkehr angefeindet werden.

Wir sehen diese Attacken und möchten wegschauen, weil es so unangenehm ist. Wir distanzieren uns, verkriechen uns in alte und verbreitete Denkmuster, um wenigstens eine Erklärung dafür zu haben, warum die Betroffenen attackiert werden. Irgendein Grund, warum das Opfer selber schuld ist, wird immer gefunden.

Dass das nicht genügt, wisst ihr alle selber. Denn was danach bleibt, ist dieses leere Gefühl der Passivität, dem wir gleich die nächste Distanzierungs erklärung beilegen müssen

 

AA FB share

Gelesen 1675 mal Letzte Änderung am Donnerstag, 02 März 2023 13:34
Bitte anmelden, um einen Kommentar zu posten

Kontakt

Volksstimme

Drechslergasse 42, 1140 Wien

redaktion@volksstimme.at

Abo-Service: abo@volksstimme.at

Impressum

Medieninhaber und Herausgeber:

Verein zur Förderung der Gesellschaftskritik
ZVR-Zahl: 490852425
Drechslergasse 42
1140 Wien

ISSN Nummer: 2707-1367