Eine persönliche Reflexion zu Hetero-Elternschaft, männlicher Identität und jugendlichem Serienkonsum.
Von Daniel Sanin
Die zwei Söhne sind auf die Sitcom Two and a Half Men reingekippt. Keine Ahnung, wie das passieren konnte. Eine Protestaktion auf einen feministischen Haushalt? Auf den lange zurückliegenden »gendersensiblen« Kindergarten? Auf die elterliche Begeisterung für Queer Eye? So viele Bemühungen haben wir in eine feministische Erziehung gesteckt – geschlech-tergerechtes Vorlesen (Nennung weiblicher Formen, Auswechseln von Geschlechtern), Unterstützung und Förderung der freien Kleiderwahl (Hello Kitty-Shirts, Feenkostüme zum Verkleiden, Nagellack), Entkräftung von Vorurteilen u.v.m. – und nun müssen wir uns mit der absoluten Begeisterung für eine der sexistischsten Serien überhaupt herumschlagen.
Psychologie der schlechten Realität
Das plötzliche Eindringen dieser in kontinuierliches Publikumslachen eingenebelten sexistischen Männerwelt fällt zusammen mit meiner Lektüre von Elisabeth Badinters 1993 erschienenes XY – Die Identität des Mannes, das sehr viel Literatur zusammenträgt und einen sehr guten Überblick bietet über die Dynamiken und das Spannungsfeld des Geschlechterverhältnisses. Gleichzeitig vertritt die Autorin einen klassischen psychoanalytischen Konservatismus, nämlich dass die Zweigeschlechtlichkeit unumgänglich sei und gemäß den psychoanalytischen Entwicklungsstadien ablaufe: orale, anale, genitale Phase und natürlich der Ödipuskomplex, der die notwendige und unvermeidliche Identifikation mit dem Geschlecht leiste. Hier begeht die Psychoanalyse denselben Fehler wie das klassische Identitätsdenken, nämlich die schlechten Zustände zu verstetigen, anstatt sie als negativen Ausgangspunkt zu nehmen, von dem aus eine Utopie zu entwickeln wäre.
Mann = Subjekt, Frau = Objekt
Doch zurück zu unserem eigentlichen Schauplatz. (Vorbemerkung: Ich beschränke mich in meiner Analyse auf die ursprüngliche Konstellation mit den Brüdern Charlie und Alan Harper, sowie Alans Sohn Jake. Die Folgen mit Walden Schmidt statt Charlie sind zwar nicht substantiell unterschiedlich, setzen aber doch einige andere Akzente.) Die Männer in dieser Serie sind komplett eindimensional. Charlie verkörpert den Typus »hegemonialer Männlichkeit«: beruflich erfolgreich (er komponiert Werbejingles), wohlhabend (er wohnt in einem luxuriösen Strandhaus), rücksichtslos und funktional zum eigenen Körper (er trinkt viel Alkohol und raucht Zigarren) und beständig auf sexuelle »Eroberung« aus (er ist eigentlich hauptsächlich damit beschäftigt, zu versuchen, so viele Frauen wie möglich zu penetrieren). Sein Bruder Alan verkörpert den Typus der »komplizenhaften Männlichkeit«: Dieser passt, laut der Entwicklerin des Konzeptes der hegemonialen Männlichkeit, Raewyn Connell, nicht in das hegemoniale Schema, ist also im konkreten Fall eben nicht erfolgreich im Beruf und bei Frauen, stützt aber das System, in dem er ihm zustimmt und mitmacht. Alan ist ein »Loser«: Er hat nie Geld und wird von Charlie als Schmarotzer bezeichnet, weil er in seinem Haus wohnt; er ist tollpatschig und erfolglos bei Frauen; und er hat einen »unmännlichen« Beruf, Chiropraktiker, der beständig für Lacher herhalten muss. Zwischen diesen ungleichen Brüdern gibt es noch Alans Sohn Jake, rundlich und nicht sehr helle, der sich oft mit Charlie gegen seinen Vater verbündet und schließlich beim Militär landet, einem klassischen Männerbund.
Zentrale Figur bleibt aber Charlie, denn auch wenn beide Brüder zentrale Charaktere sind, funktioniert das Zusammenspiel nur, weil Charlie der Bezugspunkt ist. Alan möchte eigentlich so sein wie er und versucht das auch bei jeder sich bietenden Gelegenheit. Es geht beständig um die Penisse der Brüder und wie beglückend diese für Frauen sind. Sexuell interessante Frauen sind hier keine Subjekte, mit denen mensch ebenbürtig eine Beziehung eingeht, in der Sexualität stattfinden kann oder nicht; sie sind auch nicht solche, wo es von vorneherein ebenbürtig nur um Sex ginge. Sie sind Objekte. Diese können zwar sprechen, sind aber keine handelnden Subjekte wie die Männer. Sie sind Pornophantasien, die gerne von einem »richtigen« Mann (Charlie) penetriert werden wollen und für die es scheinbar das höchste der Gefühle ist, von ihm begehrt zu werden. Es geht also um das Begehren des Mannes, während sie selbst nur eine Funktion dessen sind. Ihre Aufgabe ist es, ihm seine Begehrlichkeit zu spiegeln, aber nicht als tolles Individuum, sondern als Vertreter einer Kategorie.
Dramaturgie des Geschlechterverhältnisses
In der patriarchalen Geschlechterordnung gehört die Frau der Sphäre der Natur an, sie ist durch Zyklus und Gebärfähigkeit in selbiger verankert; der Mann hingegen kann sich darüber erheben, ist das kulturschaffende Subjekt. Durch diese künstliche Erhöhung, die eine weitreichende narzisstische Schieflage mit sich bringt, ist der Mann beständig in Gefahr, von seiner Höhe herabzufallen, also seine Männlichkeit zu verlieren. Daher brauchen Männer andere Männer, die ihnen bestätigen, dass sie noch innerhalb der Kategorie sind und sie brauchen Frauen, die ihnen ihre Begehrlichkeit spiegeln und so zeigen, dass sie das andere sind, das Nicht-Weibliche, also männlich und dadurch hervorstehend, besonders, erhöht.
Diese Dynamik wird in Two and a Half Men beständig inszeniert. Die Frauen, die hier vorkommen, sind entweder absolute Zicken, die nur am Geld von Männern interessiert sind (z. B. Alans Ex-Frau Judith, von der er sich total unterdrückt und ausgeblutet vorkommt), männerfressende, von Schönheitsoperationen besessene Egomaninnen (die Mutter der Brüder, Evelyn, die schon mehrere Männer überlebt und/oder um viel Geld erleichtert hat), hässliche – in einem hegemonialen Sinn gemeint – und übelgelaunte Untergebene (die Haushälterin Berta), sowie zuletzt eine vielleicht zwar sehr intelligente und hübsche (wieder im oben genannten Sinn verstanden), aber extrem neurotische Stalkerin (die Nachbarin Rose, von Charlie besessen) oder hauptsächlich dumm und sexy (in genanntem Sinne) und haben oft keine Namen bzw. wird ständig damit gescherzt, dass ihre Namen völlig unwichtig sind (unzählige One Night Stands).
Positive Männerfiguren kommen nicht vor. Alle Väter von Charlie und Alan sind tot oder jedenfalls nicht mehr vorhanden.
Attraktivität und Verdrängung
Dieses Männerensemble hat etwas sehr Verlorenes in ihrem Strandhaus, um sich selbst kreisend und sich von Frauen spiegeln lassend; die Kehrseite davon ist Narrenfreiheit – und das auch noch in der Herrschaftsposition, die ihnen vom patriarchalen System, in dem wir hängen und an dem wir stricken, gewährt wird.
Diese Position der Beziehungslosigkeit, der offenen Handlungsoptionen durch Geld (Arbeit ist hier nicht spürbar), der Verfügung über Frauen (sie fliegen Charlie zu und bewundern ihn, bei Anhänglichkeit – Beziehung! – werden sie spätestens abserviert), der Selbst- und Fremdverachtung getarnt als Selbstsicherheit wird scheinbar von vielen als attraktiv empfunden, was zumindest ein großer Publikumserfolg und mehrere Auszeichnungen vermuten lassen.
In diesen Elementen (Handlungs optionen – Erfolg – Selbstsicherheit) ver-mute ich auch die Begeisterung meiner Söhne. Wenn wir sie fragen, was ihnen daran so gefällt, kommt als Antwort nur, dass es »so witzig« sei. Die Frauenverachtung – und letztlich Selbstverachtung – wird nicht gesehen. Die Witzigkeit ist nur die Oberfläche, aber durch die Konstellation von erfolgreichem Charlie und Tollpatsch Alan sehr dynamisch gestaltet. Wir als Eltern sehen aber die Oberfläche nur als dünnen Firnis und die darunter grinsende Fratze springt uns regelmäßig ins Gesicht, so, dass wir immer wieder ätzende Bemerkungen machen müssen, wenn der Sexismus vom üblichen Pegel durch die Decke schießt. Scheinbar kann er aber relativ mühelos ausgeblendet werden. Das zeigt sich im Vergleich zum Rassismus gegenüber BIPoC*: Hier haben unsere Kinder sehr wohl ein gutes Bewusstsein und bringen Geschichten mit nach Hause, wo sie z. B. rassistische Diskriminierungen von Mitschüler*innen thematisieren. Eine Serie, in der Rassismus die Folie für beständige Lacher böte, scheint unvorstellbar. Ganz anders aber verhält es sich beim Geschlechterverhältnis: Hier können Frauen als reaktionäre Karikaturen auftreten und es ist ein großer Erfolg.
Psychologisch gesehen müssen wir unsere Welt ordnen, da wir für unsere Subjektbildung Orientierung und Abgrenzungen brauchen. Diese Ordnung muss aber nicht unterdrückend und hierarchisch sein. Die Trennung in zwei Geschlechter ist in dieser Striktheit weder phylo- noch ontogenetisch, also weder gattungs- noch individualgeschichtlich, zwingend; wohl aber, wenn sie in der konkreten Gesellschaft, in der ich meinen Platz als Heranwachsende*r finden soll und muss, das erste und fundamentalste Unterscheidungsmerkmal bildet. Dann wird es zu einer psychologischen Notwendigkeit, sich auf dieser Achse zu verorten. Eine Aufweichung oder Dekonstruktion ist nur in einem nachfolgenden, mühe- und schmerzvollen Prozess zu haben.
Da ist es natürlich viel lustvoller, sich auf humorvolle Art mit Männlichkeit zu beschäftigen. Die Frauenfeindlichkeit muss dabei verdrängt werden. Das ist sowieso eine sehr herausfordernde Verdrängungsleistung: Die Herabstufung der Hälfte der Menschheit, nur um sich selbst, als Vertreter der anderen, höherstufen zu können. Diese Herabstufung beinhaltet ja auch die Mutter, vielleicht Schwestern, Tanten, Großmütter, Töchter, für die dann intra-psychisch Ausnahmen und Sonderregelungen gefunden werden müssen. Dieser ganze widersprüchliche Verdrängungsprozess geht natürlich lachend viel leichter.
Bescheidenes Fazit
In dieser Zwangsvergeschlechtlichung wäre es bei einer solchen Serie tatsächlich wünschenswert, eine positive männliche Identifikationsfigur zu haben, statt zwei Lachnummern, die Kapital aus Frauenverachtung schlagen. Als Eltern sehen wir diese Begeisterung unserer Kinder und lassen sie zu – gleichzeitig äußern wir unseren Unmut, wenn es gerade allzu würdelos und sexistisch ist. Letztlich müssen wir jedoch zusehen, wie sich die hässliche Fratze männlicher Sozialisation direkt vor unseren Augen manifestiert. Wir begleiten kritisch und einfühlsam, aber die Geschlechterhierarchie ist unerbittlich und unaufhaltsam. Doch stur und kontinuierlich werben wir z. B. für Queer Eye und thematisieren Vielfalt und Offenheit, damit neben der hegemonialen Männlichkeit auch marginalisierte Optionen Prominenz erhalten.
*)BIPoC ist eine Abkürzung aus dem Englischen für Black People, Indigenous People and People of Colour.
Daniel Sanin ist klinischer Psychologe in Wien. In der Volksstimme 2021/6 erschien von ihm der Text: Abspaltung.