Das Modell Arbeitsplatzgarantie oder: Warum auch garantierte Lohnarbeit »scheiße« ist.
Von Heide Hammer
Im Lied »Wenn alle das täten« geht Georg Kreisler schon 1974 dem Vorwurf nach, dass alles zusammenbrechen würde, wenn wir nicht brav und angepasst unserem Beruf, dem Studium oder der Karriere folgen würden. Dass Vollbeschäftigung ein lohnendes Ziel sei, proklamiert das Bundesministerium für Arbeit, und der mittlerweile zweifache Ex-Kanzler Kurz musste am ÖVP-Parteitag (99,44 Prozent haben ihn gewählt) »klar einfordern, dass jeder, der arbeiten kann, auch arbeiten geht«. Manchmal ändert sich etwas doch ganz schnell.
Arbeitsmarktpolitik
Im Oktober 2021 galten in Österreich 114.640 Personen als langzeitbeschäftigungslos. Anders als die Zahl der Arbeitslosen insgesamt stagniert diese Zahl seit einem Jahr, das WIFO prognostiziert einen Anstieg in den kommenden Monaten. Vor zehn Jahren lag die Zahl der Langzeitbeschäftigungslosen noch bei rund 40.000, der Sockel ist also ziemlich hoch und Gegenmaßnahmen sind gefragt, denn: Arbeitslosigkeit ist teuer. Zudem gilt Langzeitarbeitslosigkeit als wesentliches Vermittlungshemmnis in eine neue Lohnarbeitsstelle, neben Alter oder gesundheitlichen Problemen und nicht zuletzt – so die landläufige wie administrative Annahme – gewöhnen sich die Leute an den Zustand, und das tut ihnen gar nicht gut.
Das Bundesministerium für Arbeit fasst die Ziele der Arbeitsmarktpolitik in sieben Punkten; jedes für sich wäre auf seine Erreichbarkeit und seinen Nutzen – für wen? – zu befragen:
• Vollbeschäftigung erreichen und aufrecht erhalten,
• Ältere Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen länger im Erwerbsleben halten,
• Aktive Maßnahmen zur Qualifizierung und Chancengleichheit setzen,
• Transparenz des Arbeitsmarktes erhöhen,
• Human Resources entwickeln,
• Arbeitslose aktivieren und
• Langzeitarbeitslosigkeit bekämpfen.
Für die durchaus herausfordernden Punkte eins und sieben, Vollbeschäftigung und Langzeitarbeitslosigkeit, hat sich das AMS Niederösterreich (Schwechat) ein aufwendiges Projekt gesichert: Für etwa 150 Projektteilnehmer:innen wurden inkl. Begleitforschung für den gesamten Projektzeitraum (drei Jahre) 7,4 Mio. Euro veranschlagt. Auf historischem Boden startete vor gut einem Jahr »ein einzigartiges Projekt: MAGMA – Modellprojekt Arbeitsplatzgarantie Marienthal – ist das weltweit erste evidenzbasierte Modell einer Arbeitsplatzgarantie«. Wie auch in einer »Am Schauplatz«-Dokumentation vom Juli dieses Jahrs unter dem Titel »Arbeit für Alle – Keine Arbeitslosen in Marienthal« ersichtlich, ist man dabei zwar wenig innovativ und stellt auch nicht gerade die richtigen Fragen, aber das »für Alle« klingt mal hinreichend radikal. In einer stillgelegten Textilfabrik wurden eine Holz- und eine Textilwerkstatt eingerichtet. Zum Kollektivvertrag dürfen dort alle jene 27,5h/Woche arbeiten, die seit mindestens neun Monaten beim AMS Schwechat als arbeitssuchend gemeldet sind und keine Beschäftigung am Arbeitsmarkt finden. Individuell mag diese Tagesstruktur angenehm sein, der Überwindung des Zwangssystems der Lohnarbeit kommen wir damit nicht näher. Flexibilität, Anpassungsfähigkeit, Unterwerfung und Dankbarkeit – »Danke für meine Arbeitsstelle, Danke für jedes kleine Glück…« – wird zwar von allen Arbeiter:innen (allen, die ihre Arbeitskraft, ihre Lebenszeit verkaufen müssen, um ihre Rechnungen zu bezahlen), besonders aber von jenen gefordert, deren Arbeitskraft nicht nachgefragt wird. Die »Betroffenen« sind zu alt, zu krank, zu langsam oder bringen einfach nicht die richtigen ›skills‹ mit, um sich im Kampf um das knappe Gut Lohnarbeit zu bewähren. Dabei geht es nicht um das Gerangel um die besten Plätze in der Hierarchie dieses Individuen wie Gesellschaft und Umwelt kaputtmachenden Systems, sondern um den Bodensatz der Anspruchsberechtigten. Darunter geht dann noch immer einiges, etwa illegalisierte Arbeit auf Baustellen, in Betrieben (Stichwort: Hygiene Austria), in der Landwirtschaft (Stichwort: Erntehelfer:innen) oder im Haushalt (Stichwort: 24h Betreuung). Das »Alle« von AMS und Ministerium hat also schon einen gewaltigen Bias.
Qualität der Arbeit
Die Kommune soll also nun »allen« Anspruchsberechtigten einen Arbeitsplatz garantieren, die Freiwilligkeit wird großgeschrieben. Der Paternalismus ist schreiend, auf die Fahnen heftet sich das Projekt Sven Hergovich, wobei es weniger um die konkrete Person als vielmehr um die Position der wohlmeinenden SPÖ zur Lohnarbeit geht. Schließlich gibt es auch jene Sozialpartner:innen, die lieber gestern als morgen ein regressives Arbeitslosengeld mit der Aussicht, rasch auf unter 55 Prozent Nettoersatzrate zu fallen, einführen wollen. Dennoch, die ersten Maßnahmen, die Hergovich, als 29-jähriger AMS-Chef in NÖ setzte: Er etablierte einen »eigenen Erhebungsdienst […] Das sind drei Personen, die auf die Aufdeckung von Schwarzarbeit, Arbeitsunwilligen sowie Sozialmissbrauch spezialisiert sind.« (NÖN, 29.06.2018) Das AMS Niederösterreich informiert, dass dieser Erhebungsdienst schon im November 2018 auf fünf Personen ausgeweitet wurde und sich mit hochbrisanten Themen beschäftigt: »Vereitelung und Verweigerung von Arbeitsangeboten«, Scheinwohnsitzen und dem »Verdacht von Schwarzarbeit«. Der Druck auf Arbeitslose, jeden Job anzunehmen, wird auf der Ebene der Gesetzgebung, der Institutionen und des gesellschaftlichen Diskurses erhöht. Maßgebliche Akteur:innen wie Sven Hergovich surfen (bestimmt aufgrund herausragender Leistungen) von der Arbeiter:innenkammer zum Verkehrsministerium (Bures, Stöger), zum Sozial- und Arbeitsministerium (stellvertretender Leiter des Ministerbüros Stöger), zum stellvertretenden Landesgeschäftsführer des AMS NÖ, und ein Jahr später wird er auch schon zum Leiter ernannt, der Vorgänger geht 64-jährig in Pension. Dass Hergovich auch schon Vorsitzender der »Jungen Generation« Favoriten war, tut bestimmt nichts zur Sache. Seine Jobs sind gut bezahlt, ob er jenen des AMS-Chefs auch wirklich so gut macht, darf bezweifelt werden. Seine Beflissenheit ist ihm nicht vorzuwerfen, nur sind die Superlative angebracht? »Ohne Ausnahme, jeder, der langzeitarbeitslos ist in der Gemeinde, und nicht nur jeder, der aktuell langzeitarbeitslos ist, sondern auch jeder, der in der Zukunft langzeitarbeitslos werden wird – das macht’s ja noch viel herausfordernder und komplexer –, alle bekommen ein Angebot. Das ist der ganz große Unterschied, und das ist auch weltweit einzigartig. Wir sind weltweit die ersten, die das ausprobieren und sagen, wir garantieren wirklich jedem und jeder Langzeitarbeitslosen einen Arbeitsplatz.« (Interview mit arbeit plus). Nun sollen also »alle« in Lohn- und Brot gebracht werden, durch Arbeit, egal welche, aber kollektivvertraglich entlohnt, als wäre das ein Prädikat und nicht vielfach ein Skandal. Die gpa informiert: »Für eine wöchentliche Normalarbeitszeit von 40 Stunden gebührt Kindergartenpädagoginnen und -pädagogen, Hortpädagoginnen und -pädagogen, diplomierte Kinderkrankenschwestern (-pflegern), diplomierte Sozialpädagoginnen und -pädagogen, Lehrerinnen und Lehrer, diplomierte Elementarpädagoginnen und –pädagogen folgender monatlicher Bruttogehalt: 1. und 2. Berufsjahr 2.396« [netto rund 1720]. Im »39. und 40. Berufsjahr 3.312,-« [netto rund 2200,-]. Nun weiß ich nicht, wie viel der AMS-Chef von NÖ verdient, 2008 erklärte uns Sozialminister Erwin Buchinger in einem Interview, dass er 15.800 Euro brutto verdient, was ihn aber nicht interessiere: »Entscheidend ist ja, was netto rauskommt.« (Augustin online, 6. Feb. 2008) Ein Vielfaches von jenen als systemrelevant bezeichneten Berufen wird es wohl sein. Für diese Summe X könnten doch alle Arbeitnehmer:innen ebenso wie alle Kund:innen des AMS verlangen, dass ihre Chefs ihren Job gut machen, nach innovativen Lösungen für die überlebenswichtigen Fragen von Individuen wie Gesellschaft suchen.
Welche Fragen werden ignoriert?
Was sind gesellschaftlich notwendige Arbeiten im 21. Jahrhundert und wie können diese demokratisch verteilt werden? Welche Arbeitskräfte werden benötigt, um Klimaneutralität zu schaffen? Wer soll etwa all die Öl- und Gas-Heizsysteme tauschen und wer unsere Alten pflegen, wenn denn 100.000 Pflegekräfte bis zum Jahr 2030 fehlen, wie die Caritas nicht müde wird zu betonen? Neben der Qualität von Arbeit geht es um die Bewertung gerade jener systemrelevanten Tätigkeiten, deren Bedeutung nicht zuletzt in der Corona-Krise sichtbar wurde und wird. Aber weder die 5000 protestierenden Elementarpädagog: innen noch die formal selbständigen 24-Stunden-Betreuer:innen werden angemessen entlohnt, wie es ihre Arbeit mit besonders vulnerablen Personen erfordern würde. Der Grad an Humanität unserer Gesellschaft sollte sich doch viel eher im Umgang mit diesen Menschen, in unseren alltäglichen Beziehungen zeigen, als in der Lust an Sanktionen und der Kürzung von Arbeitslosengeld und Notstandshilfe.
Libido domandi
Utta Isop spricht von der libido domandi, der Lust, Dominanz über andere Menschen auszuüben. Dass Macht und Einflussnahme in Betrieben und Institutionen nicht nur durch das Eigentum von Kapital erfolgt, sondern gerade auch durch die Besetzung von Arbeitsplätzen und durch die Laufbahnen von einem Arbeitsplatz zum nächsten, geführt durch einflussreiche Netzwerke, ist nicht nur für Isop klar. Mit Elizabeth Anderson können wir es »Private Regierung« nennen, wenn Arbeitgeber:innen in einem demokratiefreien Raum über die Lebenszeit von Mitarbeiter:innen – ebenso wie Kund:innen in der Terminologie des AMS – bestimmen. Würden wir, wie Utta Isop, die Machtfrage stellen und die Lust an Dominanz und Unterwerfung nicht ausgerechnet am Arbeitsplatz, sondern lieber in unserer Freizeit kultivieren, wäre demokratiepolitisch viel gewonnen. Arbeitszeitverkürzung und Arbeitsplatzgarantie machen erst dann richtig Spaß, wenn es für »Alle« gilt. Durch Rotation von Positionen in und zwischen Betrieben und Institutionen, durch Losverfahren auch, denn jede:m und jede:r wird mit 7,4 Mio. Euro bestimmt was einfallen – ich bin sogar zuversichtlich, dass dabei mehr als eine Holz- und eine Textilwerkstatt rausschaut. Und wer nicht arbeiten will, soll das auch nicht tun müssen. Was neben dem Lohnarbeitsbashing für »Alle«, besonders auch für die radikale Linke, zu tun bleibt, sind Praktiken der Anerkennung und Wertschätzung, die weder auf den individuellen Karrierepositionen in einem hierarchischen System noch auf einem Übermaß an Aktivität und Projektkult bestehen. Stattdessen wäre es auch schön, wieder mal durchs Grätzl, Barrio oder den Kiez zu flanieren und hier und dort ein Schwätzchen zu halten.