Michael Scharang, 1990 Michael Scharang, 1990

Gespräch zweier junger Genossen (lesend) über einen alten (schreibend): Zum 80. Geburtstag von Michael Scharang.

von

Von Alex Hartl

 

Brecht sagt: »Die Darstellung der Wirklichkeit ist eine schwierige Aufgabe.«

— Und die Wirklichkeit der Darstellung?

— Die Wirklichkeit der Darstellung … Da kommt das Politische dann zu sich, verstehst du? Hier entscheidet sich, ob die Aufgabe gelungen ist oder nicht, in welche Richtung die Darstellung führt: In der Wirklichkeit der Darstellung fallen Schreiben und Lesen in eins.

— Scharang sagt ja: »Lesen heißt lernen«, oder so ähnlich. Hab’ ich unlängst in einem Zeitungsgespräch mit ihm gelesen. Ein guter Satz: Lesen heißt lernen ...

— Für uns Kommunisten und Kommunistinnen, zweifellos.

— Und dann hab’ ich mich gefragt: was ist das für ein Lernen? Wenn ich einen Roman lese, wie lerne ich da?

— Ich glaube, Lernen das bedeutet für uns in erster Linie: verstehen. Ein Wort, das in jüngster Zeit – vor allem in der Literatur – zu kurz kommt. Wem geht es in diesem Literaturbetrieb denn noch darum, verstanden zu werden?

— Verstehen ist Arbeit. Mir scheint, hier hat uns die Entfremdung selbst da eingeholt, wo wir uns noch sicher gefühlt haben. Und das Verstanden-werden-wollen, das ist nochmal eine andere Sache.

— Weißt du, wir Kommunistinnen und Kommunisten, wir haben unsere eigenen Universitäten.

— Und die wären?

— Menschen, Bücher … Aber wiederum nur die von der menschlichen Sorte. Die auf Erfahrung bauen.

— Scharangs »Aufruhr« zum Beispiel wäre doch so ein menschliches Buch – und eines, das verstanden werden will. Auch der »Charly Traktor« aus den 70er Jahren.

— Unsere Literatur lebt davon, dass ihre Essenz demokratisch ist. Wir wollen keine Verfremdung um der Verfremdung willen, keine Arroganz und Heuchelei. Das passt nicht zu uns. Scharang hat eine klare Haltung, seit Langem. Er schreibt nicht, um sich zu profilieren, er schreibt für alle, für uns alle.

— Für die, die ihn verstehen können?

— Ja. Wir, das sind die, die darauf beharren, verstehen zu können: Wir haben keine Assoziationen, sondern Gedanken. Wir beten nicht das Wort an, sondern wir lesen den Satz. Unsere Erfahrungen sind keine Bruchstücke, jeden einzelnen von uns verbinden sie mit den andern. Das kannst du bei Scharang lernen. Es lohnt sich also, ihn zu lesen.

— Verstehen heißt dann auch Praxis …

— Natürlich.

— Sollte das Lesen dazu führen, dass man das Buch zuklappt?

— Unter gewissen Bedingungen.

— Und zwar?

— Zum Beispiel unter der Bedingung, dass die darauffolgende Praxis konkret ist. »Die Kommunistin, der Kommunist arbeitet politisch dort, wo die Arbeit ihn hinverschlägt«, sagt Scharang.

— Egal an welchem Ort?

— Überall.

 

Gelesen 4077 mal Letzte Änderung am Montag, 15 Februar 2021 12:32

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