23 September

WIEN-WAHL 2020: Schöne Versprechungen und Fake-News

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In wenigen Tagen, am 11. Oktober, wird in Wien gewählt – der Gemeinderat und die 23 Bezirks ­vertretungen. SPÖ und Grüne, die seit 2010 gemeinsam die Stadtregierung stellen, überbieten sich in Fake-News und schönen Versprechungen, die nach der Wahl sicherlich rasch vergessen sind, während die FPÖ und H.-C. Strache mal wieder mit Hass und Hetze glänzen.

VON DIDI ZACH

SPÖ-Bürgermeister Michael Ludwig, dessen Strategie offenbar ist, möglichst wenig aufzufallen, gibt sich als Garant für Arbeitsplätze, Bildungschancen für alle, den Erhalt und Ausbau des Gesundheitssystems, er will Wien zur Umweltmusterstadt machen und natürlich stehe die SPÖ auch für leistbaren Wohnraum mit hoher Lebensqualität, was insbesondere durch eine Wohnbauoffensive gewährleistet werden soll. An diesem Punkt wollen wir gleich einhaken. 2015, einige Wochen vor der Wahl, versprach der damalige SPÖ-Bürgermeister Michael Häupl 2.000 Gemeindebauwohnungen der neuen Art bis 2020. Wobei noch zu vermerken ist, dass zwischen 2004 und 2015 keine einzige neue Gemeindebauwohnung errichtet wurde, weil, so die damalige SPÖ-Argumentation, die Stadt nicht kostengünstig bauen könne. Im Dezember 2016 sprach der damalige Wohnbaustadt Ludwig dann plötzlich davon, 4000 neue Gemeindewohnungen bis 2020 »auf den Weg« zu bringen, was auch immer darunter konkret zu verstehen ist. Tatsache ist jedoch, dass Anfang Oktober 2020 gerade mal 120 Gemeindebau-Wohnungen NEU bezogen sind.

Schöne Versprechungen der SPÖ

Ein weiteres Versprechen der SPÖ proklamiert die Errichtung von 36 Primärversorgungszentren bis 2025. Primärversorgungszentren sollen PatientInnen kürzere Wartezeiten auf Arzttermine bescheren und Spitalsambulanzen entlasten. Laut früheren Versprechungen sollten bis 2021 eigentlich bereits 16 solcher Zentren in Wien in Betrieb sein – tatsächlich in Betrieb sind aber nur 3 solche Zentren, denn zwischen Wahlversprechen und der Realität, wir wissen es, existiert auch bei der SPÖ eine riesengroße Kluft.

Auch bzgl. Klimahauptstadt Wien sprechen die Zahlen nicht für die blass-rote/zart-grüne Stadtregierung. Laut Energiebericht der Stadt ist der Gesamtanteil erneuerbarer Energie von 2010 bis 2017 (neuere Zahlen liegen aktuell nicht vor) zwar von 12,2 auf 16,1 Prozent gestiegen, wobei die Produktion in Wien selbst aber sogar zurückgegangen ist.

Und auch bzgl. des Modal-Splits (also der Verteilung des Transportaufkommens auf verschiedene Verkehrsmittel) ist die Bilanz der Stadtregierung keineswegs berauschend. Denn die Zahl der mit einem Auto zurückgelegten Wege lag auch im Jahr 2019 bei 27 Prozent – womit sich seit zehn Jahren fast nichts bewegt hat. Das von den Grünen 2010 deklarierte Ziel, den Radfahranteil bis zum Jahr 2015 auf 10 Prozent zu erhöhen, ist in weiter Ferne. Obwohl Millionen-Beträge in die »Mobilitätsagentur« mit Fahrrad- und Fußgängerbeauftragten fließen, stagniert der Wert der Fahrrad-Nutzenden seit Jahren bei 7 Prozent.

Pop-Up Radwege und »coole Straßen«

Die Wiener Grünen nutzten die mediale Sommerflaute, um mit diversen Pop-Up Projekten auf sich aufmerksam zu machen. Pop-Up Radwege, über deren Nutzungsintensität und Sinnhaftigkeit debattiert werden kann, sind wie Schwammerl aus dem Boden gewachsen. Und mit einem umstrittenen Pop-Up Swimming-Pool am Gürtel, einer der meistbefahrenen Straßen der Stadt, gab es viel mediale Aufmerksamkeit. Kosten von mehreren hunderttausend Euro und die Tatsache, dass – aufgrund der Coronavirus-Maßnahmen – nur sechs Personen gleichzeitig im Wasser des neun mal vier Meter großen Pools sein durften, sollte jedoch auch erwähnt werden.

Fast täglich wurden in den letzten Wochen von der grünen Spitzenkandidatin und Vizebürgermeisterin Hebein auch neue »coole Straßen« bejubelt. Sofern mensch sich die Sache genauer ansieht, kommen Betonwüsten wie beim Umbau des Reumannplatzes (siehe Seite 25) zum Vorschein bzw. kann festgestellt werden, dass primär kosmetische Korrekturen vorgenommen werden oder es sich – angesichts der Probleme – um Alibi- Aktionen handelt. Wie anders ist nämlich der Sachverhalt zu bezeichnen, dass z. B. in einer ohnedies nicht stark befahrenen Straße in unmittelbarer Nähe eines Parks 150 Meter zur »coolen Straßen« erklärt werden?

Grüne Fake-News?

Schon im Juni präsentierte Birgit Hebein ihr Projekt »autofreie City«. Jeden Tag, so Vizebürgermeisterin Hebein, »kämen 50.000 Autos in die (Innen)Stadt« – daher würden jetzt Maßnahmen gesetzt, daher werde die Wiener City innerhalb von Ring und Kai nun zur ersten autofreien Innenstadt im deutschsprachigen Raum. Was den Autor dieser Zeilen verblüffte, denn zugleich erläuterte Hebein, dass sie sich einen unmittelbaren Verkehrsrückgang in der City um bis zu 30 Prozent erwarte. Nun ist eine Reduktion um 30 Prozent allemal besser als eine Reduktion um 5 oder um 20 Prozent, aber von einer autofreien City kann dann ja wohl kaum die Rede sein. Dass sogar von »einem historischen Moment« (Hebein) oder einem »klimapolitischen Meilenstein« (so der grüne Verkehrssprecher Maresch) gesprochen wurde, strapazierte dann wahrscheinlich nicht nur die Nerven von Aktivist*innen der Fridays-for-Future Bewegung. Das Projekt ist mittlerweile sanft entschlafen, weil Bürgermeister Ludwig seine Zustimmung vorerst verweigerte.

Gratis-Öffis für 1 Jahr?

Gekonnt auf das grüne Zielpublikum fokussiert ist auch die Forderung »alle Wiener Öffis mögen für 1 Jahr gratis sein«. Was einen kleinen Rückblick notwendig macht. 2010 forderten die Wiener Grünen im damaligen Gemeinderatswahlkampf radikale Schritte betreffs der Leistbarkeit der öffentlichen Verkehrsmittel. Von »1/10/100« war die Rede – gemeint war: 1 Euro für eine Tageskarte der Wiener Linien, 10 Euro für die Monatskarte, 100 Euro für die Jahreskarte. Nach der Wahl war das Versprechen – so wie andere auch – rasch vergessen. Nun wurde ein Jahresticket um 365 Euro als großer Erfolg verkauft, während die Preise für Einzelfahrscheine, Wochen-und Monatskarten auch unter grüner Regierungsbeteiligung kontinuierlich erhöht wurden. Bis zum Juli 2002 kostete ein Einzelfahrschein der Wiener Linien 1,20 Euro, seit 1.1.2018 kostet dieser Fahrschein 2,40 Euro. Damit wurde der Einzelfahrschein in 16 Jahren um unglaubliche 100 Prozent teurer. Zu fragen ist zudem, wer Hebein und ihre Vorgängerin Vassilakou in den letzten 10 Jahren Regierungsbeteiligung in Wien daran gehindert hat, Gratis-Öffis für ein Jahr durchzusetzen. Zu fragen ist, warum nicht Nulltarif auf allen Öffis. Zu fragen ist, warum gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit auch bei den fast 100.000 Beschäftigten der Stadt Wien noch immer nicht Realität ist und warum die Stadt Wien nicht schon längst die 30-Stunden-Woche für ihre Beschäftigten eingeführt hat. Zum Argument, solche »Wahlkampfansagen sind legitim und so lange die Grünen keine absolute Mehrheit haben, müssen sie halt Zugeständnisse machen«, sei gesagt, dass selbiges Argument (die haben ja keine absolute Mehrheit) Freunde und Freundinnen der SPÖ über Jahrzehnte zur Verteidigung der SPÖ ins Treffen geführt haben – wohin dies die SPÖ gebracht hat, ist bekannt. Dass dies u. a. einer der Gründe war, warum die FPÖ wahlpolitisch so stark wurde, ist mittlerweile relativ unumstritten. Die (angeblich oder tatsächlich) fehlenden politischen Mehrheiten werden immer wieder – und in den letzten Jahren auch sehr oft von den Grünen (Stichwort 3. Piste, Stichwort Lobau-Autobahn) – als Ausrede genutzt, um Agieren, welches mit grünen Prinzipien und grünen Bekundungen wenig bis gar nichts zu tun hat, zu legitimieren. Wobei sich in letzter Zeit die Vorfälle häufen. So stimmten die Grünen vor einigen Wochen im Wiener Gemeinderat für die Erhöhung des Arbeitslosengeldes, im Nationalrat stimmten die Grünen aus Koalitionsräson aber natürlich dagegen. Der grüne Eiertanz um die Evakuierung von 100 unbegleiteten Kindern aus Moria ist nur der letzte Stein in einem großen Mosaik. Ob SPÖ und Grüne am 11. Oktober von den Wähler*innen die Rechnung präsentiert bekommen, bleibt abzuwarten, denn wiederum, so ist zu befürchten, werden sich viele enttäuschte Linke von Meinungsumfragen und dem Argument der angeblich verlorenen Stimme beeindrucken lassen. Tatsache ist jedoch, um einen Links-Aktivisten zu zitieren, »jede Stimme für Rot oder Grün ist eine verlorene Stimme, denn traurige Tatsache ist, dass das politische Spektrum, inklusive SPÖ und Grüne, seit Jahrzehnten nach rechts rückt«. Wer Veränderung zum Besseren will, der/die muss für die Stärkung der außerparlamentarischen Opposition kämpfen und zugleich – auch bei Wahlen – für die Stärkung linker Positionen eintreten. Notwendig ist eine Kraft, für die auch nach der Wahl gilt, was vor der Wahl versprochen wurde.

Didi Zach ist Landessprecher der KPÖ-Wien und Bezirksrat in Rudolfsheim-Fünfhaus. Er kandidiert für Links auf Platz 5 der Gemeinderatsliste.

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