FEHLFRONTEN - (DEN MÄNNERN, DIE MEINE GENOSSEN SIND)

von

Freund, wie gehst du um
Mit deiner Freundin?
Genosse, wie gehst du um
Mit deiner Genossin?

Es gibt Genossen, die sagen -
Und sie meinen’s als Anklage
Gegen das herrschende System –
Wer zehn Jahre am Fließband gestanden hat –
Zehn Jahre denselben Handgriff,
Gehetzt vom Sekundenmesser –
Der kann nicht mehr denken,
Nur konsumieren.
Auf den kann man nicht mehr zählen
Für die Revolution.
Und mit solchen ist auch kein Staat mehr zu machen.
(Aber mit wem sonst?)

Es gibt Genossen, die sagen –
Und sie meinen’s als Anklage
Gegen das herrschende System –
Wer aufgewachsen ist in der Heuchelei des Kapitalismus,
der den Menschen sich selbst entfremdet
Und zu einer Ware macht,
Männer wie Frauen –
Wer so aufgewachsen ist,
Mit dem ist keine Revolution und kein Staat mehr zu machen,
Und nicht einmal ein Leben zu zweit.
(Aber mit wem sonst?)

Du und ich und viele von uns,
Wir glauben das nicht.
Aber:
Ob du unbrauchbar bist oder brauchbar
Für die Welt, die wir wollen,
Erweist sich nicht allein daran,
Ob du zu dieser Gruppe gehörst oder zu jener
Der »Alten« oder der »Neuen« Linken,
Ob du deine Arbeit tust
Im Interesse der Arbeiterklasse,
Ob du linke Bücher liest und linke Platten hörst –
Die alten aus Spanien
Und die neuen aus Cuba und Chile –
Ob du demonstrierst, wenn es gegen die Folter geht
Und für Solidarität mit den Opfern;
Es erweist sich auch daran
Wie du es hältst mit der Frau:

Ob du ihrer Stärke dich freust und
Ihre Schwäche nicht ausnützt,
Ob du nicht Angst haben musst, sie zu benützen
Oder von ihr benützt zu werden –
Für Arbeit, für Lachen, für Ausruh’n,
Für Trost oder Lust –
Wie du mit ihr schläfst und wie du sie liebst,
Wie du gegen sie kämpfst und
Selbst noch, wie du sie verlässt –
Auch das erweist dich einen,
Der unbrauchbar ist oder brauchbar für die Welt,
Die wir wollen:

Wie du umgehst mit deiner Freundin, Freund,
Wie du umgehst mit deiner Genossin, Genosse.

---

Erika Danneberg (1922–2007), Psychoanalytikerin, Mitglied des KPÖ-Bundesvorstands; das Gedicht ist im »Arbeitskreis schreibende« Frauen geschrie­ben und in der Märznummer 1984 in der stimme der frau veröffentlicht.

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Gelesen 5139 mal Letzte Änderung am Donnerstag, 10 September 2020 12:06
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