HONORARE UND GRUNDEINKOMMEN: Von Arbeit leben können?

von

Soziale Absicherung von Kunst- und Kulturschaffenden.

VON CLEMENS CHRISTL

Der Ausgangspunkt der Misere liegt bei den geringen Einkommen im Feld. In den letzten 20 Jahren sind spärlich aber doch einige Studien zur sozialen Lage von Künstler_innen, spartenbezogen, generell oder auch geschlechterspezifisch erschienen, die Einkommen weit unter dem gesellschaftlichen Durchschnitt belegen. Die Einkommen direkt aus der künstlerischen Tätigkeit liegen nochmal niedriger, im Median bei rund 5.000 Euro/Jahr/Person. Ein Einkommens- und Tätigkeitenmix ist die logische Folge – und daraus resultierend das zweite Kernproblem: Die Architektur der Sozialversicherung wie auch jene der sozialen Sicherheitsnetze stammt aus einer Zeit, in der lineare Beschäftigung die Regel war – paralleles Arbeiten als Selbstständige, Unselbstständige und vielleicht noch Landwirtin führt zu serien weisen Problemen, umso mehr, wenn in Zeiten der Joblosigkeit auch noch Arbeitslosenversicherung oder Mindestsicherung ins Spiel kommen. Dazu kommt: Die Gesetzeslage ist so wenig aufeinander abgestimmt, dass viele Alltagsprobleme von Kunst- und Kulturschaffenden zur individuellen Auslegungsfrage werden; und: die Spezialist_ innen in den jeweiligen Ministerien, Sozialversicherungsanstalten usw. kennen in der Regel ihre Institution, die Regelungen zum Zusammenspiel mit anderen aber nicht.

Ein aktuelles Beispiel

In der Coronakrise werden Arbeitsstipendien für Künstler_innen in den Bundesländern eingeführt, die natürlich hochwillkommen sind (künstlerisch tätig sein können und bezahlt werden!). Nicht geklärt wurde seitens der Fördergeber_innen leider, welche steuerrechtlichen und in der Folge sozialversicherungstechnischen Folgen dieses Einkommen (von in der Regel maximal 3.000 Euro pro Person) hat. Sind sie einkommenssteuerfrei? Die Länder verweisen auf unterschiedliche Paragraphen und Gesetze, eine ja/nein-Antwort? Gibt es Mitte Juni 2020 nicht. Werden sie von der Notstandshilfe, von der Mindestsicherung abgezogen? Keine Antwort. Sind sie von Personen mit befristetem Aufenthaltsstatus bedenkenlos beantragbar, oder gelten diese Arbeitsstipendien letztlich als Sozialhilfe? Eher ersteres, aber entschieden wird das wohl erst bei anstehenden Verlängerungen von Aufenthaltstiteln.

Einzelne Künstler_innen und Interessenvertretungen im Feld gehen diesen Fragen seit Wochen nach, einfache Antworten gibt es nicht. Es gibt auch keine einzelne Institution, die dies qua Expertise und Entscheidungsbefugnis beantworten könnte, ein Problem, das auch insbesondere bei der Arbeitslosenversicherung kulminiert.

Arbeitslos im Kunst- und Kultursektor

In Zeiten der Erwerbslosigkeit Geldleistungen aus dem AMS zu erhalten ist eine Selbstverständlichkeit für alle, die ihr Geld entlang des Musters »Job – Erwerbslos – Job« verdienen. Kunst- und Kulturschaffende, aber auch viele andere verdienen ihr Geld aber heutzutage in einer Kombination aus selbstständigen und unselbstständigen Tätigkeiten, tageweise Beschäftigungen oder dazu langfristig geringfügig. Problem eins im Sektor ist ganz simpel, dass die Jobsuche nicht am AMS stattfindet – AMS-Betreuer_innen kommen da schneller auf die Idee, Umschulungen oder irgendwelche Jobs weitab der Qualifikationen und Jobwünsche vorzuschlagen, Konkretes für die Situation der Betreffenden haben sie schlicht nicht. Wirklich kompliziert wird es aber mit selbstständigen Einnahmen: Regelungssysteme wie die rollierende Berechnung bei angenommener durchgehender Selbstständigkeit (innerhalb der Zuverdienstgrenzen) basieren auf einem monatlichen Rausschmiss und einer wiederkehrend rückwirkenden Aufnahme ins AMS. Wer einen Monat über die Grenzen kommt, ist bei Feststellung immer schon einen Monat leistungslos. Das Perfide: Selbstständige Einnahmen beziehen sich auf das Jahreseinkommen, auch beim AMS – Leistungen bekommt nur die Person, die das ganze Jahr unter der zwölffachen Geringfügigkeitsgrenze bleibt, selbst wenn es nur um einen Monat Arbeitslosengeld geht. Kleine, über die letzten Jahre erkämpfte Verbesserungen oder auch nur erkämpfte Informationen machen den Zugang zwar leichter, aber nicht unkomplizierter.

Dass eine Pflichtversicherung in einem Versicherungszweig Leistungen aus dem AMS generell ausschließt, gehört zu den am dringendsten zu lösenden Problemen. Alternativ wäre dies via Umweglösung Ruhendmeldung für alle neuen Selbstständigen umsetzbar (gewerblich Selbstständige haben das seit Jahrzehnten). Derart grundlegende Änderungen der Kompatibilitätsprobleme liegen aber auf Eis: Der zuständige Sektionsleiter meint seit zehn Jahren, dass es diese Probleme gibt, Lösungen aber nicht möglich sind. Regierungsseitig war seither auch nie anderes zu hören.

Künstler_innensozialversicherungs fonds (KSVF)

Wenn es um soziale Absicherung der Künstler_innen geht, fällt schnell das Wort KSVF: Der KSVF (gegründet 2001) hat die Aufgabe, Sozialversicherungszuschüsse an selbstständige Künstler_innen zu vergeben – mit einem sehr engen Set an Zugangsbedingungen. Hintergrund war schlicht die Einführung der Pflichtversicherung und damit einhergehend die politische Anerkennung der Tatsache, dass Künstler_ innen gesellschaftlichen Mehrwert schaffen, von dem nicht in erster Linie sie selbst profitieren – eine Umverteilungsmaßnahme. In den letzten Jahren gab es etliche kleine Verbesserungen, in der Regel leider umgesetzt durch Verkomplizierung statt an grundsätzlichen Schrauben zu drehen; und zwei neue Aufgaben kamen hinzu, deren eine aktuell in der Coronakrise so richtig sichtbar wird: Zum KSVF gehört seit 2015 ein Unterstützungsfonds für Künstler_innen in sozialer Not (eine Aufgabe, die bis dahin die Kunstsektion selbst zu erledigen hatte). Das liefert nicht nur Argumente für die Beschreibung des KSVF als Sozialtopf (was er nicht ist), sondern sorgt auch für einen weiteren Quell ständiger Probleme und kleiner Änderungen – Grundlegendes konnte noch nicht erreicht werden. Symptomatisch: Die jährlich zu vergebende Höchstsumme von 500.000 Euro ist noch nie auch nur annähernd ausgeschöpft worden. Aktuell betreut der KSVF mit dem Covid-19-Fonds einen der Entschädigungs-Töpfe für Künstler_innen – als Parallelstruktur zum Unterstützungsfonds.

Was wäre aber beim KSVF-Zuschuss-System zu tun: Endlich öffnen für alle Tätigen im Kunst- und Kultursektor, eine Abkehr von der qualitativen Bewertung der künstlerischen Arbeit durch Kurien hin zu einer Bewertung der Arbeitssituation, ein Abschaffen der Mindesteinkommensgrenze, um nur drei langjährige Forderungen aus dem Sektor aufzuzählen: Es ist ja auch wirklich zu absurd, dass ausgerechnet die Geringstverdiener_innen ausgeschlossen sind (respektive via zahlreicher Ausnahmebestimmungen detailreich nachweisen müssen, wieso sie vielleicht doch genug verdienen).

Sozialversicherungsprobleme?

Spezifische Probleme der Kunst- und Kulturschaffenden liegen weniger an den Sozialversicherungen selbst, sondern am Zusammenspiel mit anderen Institutionen wie dem AMS oder dem Finanzamt. Allgemeiner Verbesserungsbedarf insbesondere für neue Selbstständige, beispielsweise ein Krankengeld ab dem ersten Tag, steht natürlich auch auf der Wunschliste der Künstler_innen ganz oben.

Kompliziertheit und Inkompatibilitäten führen oft und schnell zu einfachen Forderungen, etwa dem Abschaffen der Mehrfachversicherung oder der Einführung einer Künstler_innensozialversicherung. Beides ist im Rahmen des aktuellen Sozialversicherungssystems sicher machbar – die damit verbundenen Forderungen, eine billigere bzw. einfachere Sozialversicherung für alle im Feld, ist damit aber nicht umsetzbar. Eine Mehrfachversicherung ist für sich genommen allenfalls ein bürokratisches Problem, die Versicherungsbeiträge selbst werden dadurch nicht höher (Sozialversicherungsbeiträge fallen schlicht auf jeden Euro Verdienst an – leider Flattax-artig, aber mit Obergrenze; d. h. Reiche zahlen verhältnis mäßig weniger). Eine eigene Künstler_ innensozialversicherung würde das Problem zunächst nur verschieben: Mehrfach versichert wäre nicht mehr die Schauspielerin, die sowohl angestellt als auch selbstständig ihrer Tätigkeit nachgeht, sondern z. B. die Musikerin, die daneben auch einem Job ausserhalb des Kunstkontexts nachgeht. Dazu kommt das Solidarprinzip in der Sozialversicherung: Eine Sparte mit durchschnittlich sehr niedrigen Einkommen ist schlecht beraten, freiwillig auf die Solidargemeinschaft zu verzichten.

What’s to do?

Zum einen haben Interessenvertretungen in den vergangenen Jahren eine ganze Menge an Detailvorschlägen zusammengetragen – im besten DIY-Sinn wurden viele zu Sozialversicherungs- und oder Steuerexpert_innen, weil die Zuständigen (Politik wie auch Verwaltung) sich kaum für Verbesserungen einsetzen. Zum anderen muss es endlich möglich sein, von Arbeit auch zu leben. Mit dem Schlagwort Fairpay wird auf eine faire und angemessene Bezahlung gedrängt (Mindestlohndebatte aber auch darüber hinaus). Das beinhaltet auch absurde Beschäftigungen mit dem Wettbewerbsrecht (in Österreich wie auch auf EU-Ebene) – eine Honorarempfehlung als Grundlage für Kunst- und Kulturschaffende wie auch deren Auftraggeber_innen ist nicht einfach straffrei zu veröffentlichen. Ein anderer Schauplatz der politischen Auseinandersetzung um Fairpay ist das Urheber_innenrecht: Ein Vertragsrecht für Urheber_innenverträge, angelehnt beispielsweise an das Mietrecht zum Schutz der Mieter_innen, steht seit Jahrzehnten aus, ist derzeit aber zumindest in Ansätzen in greifbare Nähe gerückt.

Eine grundlegend andere Perspektive würde ein bedingungsloses existenzsicherndes Grundeinkommen bringen: Arbeit und Einkommen entkoppeln, mit vielen Einschränkungen aber doch: tun zu können, ohne auf Auftraggeber_innen, Fördergeber_innen, Sponsor_innen Rücksicht nehmen zu müssen. Kein Betteln mehr um 500 Euro Materialkosten, Ringen um Gehalt oder Honorar in Projektanträgen auf Augenhöhe. Alleine dafür lohnt es sich, zu kämpfen. Und dann darum, das Grundeinkommen auch wirklich allen hier Lebenden zukommen zu lassen, und wahrscheinlich um Kämpfe für das Sozialsystem, das mit einem Grundeinkommen sicher unter Druck gerät. Pardon. Nicht unterkriegen lassen!

Clemens Christl arbeitet seit vielen Jahren für den Kulturrat Österreich und ist gelernter Historiker.

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Gelesen 5363 mal Letzte Änderung am Dienstag, 14 Juli 2020 12:11
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