Zur Ausgangsbeschränkungszeit sind Gärten zu, zur Urlaubszeit Grenzen geschlossen. Selbsterzogene Genüsse aus eigenen gesperrten Gärten: Es blüht im Grünen. Ein Quarantäne-Souverän wacht, gießt und jätet.
VON DREHLI ROBNIK
Die Corona-Krise sei, sagt der Kanzler gern, »die größte Herausforderung seit dem Zweiten Weltkrieg«. Das ist geschichtspolitisch übel: Es legt nahe, Vernichtungskrieg und Holocaust (samt hiesiger Hochleistungsbeiträge dazu) als Naturkatastrophe zu sehen. Auf Herausforderung aber wurden wir mit Message Control und ›Flexibilisierung‹ (12-Stunden-Tag-Challenge) eingegrooved. »Heraus aus dem öffentlichen Raum!« forderte Kurz, und Österreich nahm die Herausforderung dankbar an.
Unmutsgefühle gärten nur wegen der Gärten. In Wien, wo das Volk oft nicht folgt, wurde gesperrt und gemurrt. Es gab Kritik, als die Bundesregierung in der Zeit der Großen Vaterländischen Quarantäne Parks und Gärten in Bundeseigentum für die Öffentlichkeit sperrte: Schönbrunn, Augarten etc. Die Krisenstabs-Stars begründeten das so: Ansteckunsgefahr sei auf Wiesen erwiesenermaßen höher als im Gehsteiggedränge.
Heraus aus dem Garten!
Virologisch wurde der Sinn der Sperre oft widerlegt. Von einer Schikane gegen das restrote Wien war die Rede. Der Anteil von Sadismus an politischer Machtausübung ist ja nicht zu unterschätzen. Auch nicht der Anteil von Stockholm-Syndrom an der Reaktion von Parkhungrigen, die in ORF-Interviews am Tag des Wiedereinlasses als dankbare Untertanen vorgeführt wurden. Aber die Gartensperre hat auch direkte Wunschphantasie-Effekte für jene, die Autorität und Besitzverhältnisse wieder so wollen wie vor den Neuaufteilungen, die Arbeiter*innen- und Sozial-Bewegungen erzwungen haben: Bei soviel Ausschließung von Pöbel aus dem Grün, das einst Hof und Adel gehörte, wurde manchen ganz Schönbrunnergelb ums Herz. Ach, die gesperrten Gärten! Wien wie früher, als das Land schon einmal von K.u.K. regiert war. Auch ökonomisch gesehen macht die Sperre Sinn: Die ÖVP fordert ja in Sachen urbaner Raum Schaffung von Eigentum, also gilt: Jede*r im eigenen Garten! Manche Gärten sind halt Eigentum der Krone.
Ultimativer Sinn der Gartensperre könnte aber sein, dass sie keinen Sinn hatte. Dass Gartengewaltige wie Landwirtschaftsministerin Köstinger die Sperre endlos beibehielten, das war nicht nur ›Bestemm‹, um vor Kritiker* innen ›Gesicht zu wahren‹. Vielmehr wurde da ein neues Gesicht eingeführt: das des Erlass-Erlösers als süßer, aber auch strenger Regent. Die Sperre hatte ihren Sinn für das Inthronisieren einer Souveränität, die sich als Machtform dadurch definiert, dass sie über den Ausnahmezustand entscheidet: über das Aussetzen bürgerlicher Rechte und rationaler Vernunftbegründungen. Einzig dadurch, dass die Sperre keinen rationalen Grund hatte, konnte sie der Republik eine Köstingerprobe genuin souveräner Macht bieten, die nur sich selbst und ihrer Reichweite verpflichtet ist.
Heraus aus dem Ausland!
Philosophisch gepitcht heißt das: Kein Garten ohne Blümel. Der gleichnamige Anwärter auf Regentschaft eines entröteten Wien (Slogan »Blü wird Bü«) nennt nicht umsonst als Lieblingsautor Søren Kierkegaard. Entwirft doch dieser Philosoph eine Ethik von Verzicht und Gnade, in etwa: Unterwirf dich etwas, worin du keinen Sinn siehst – Gnade erfahren jene, die brav vorm Garten warten, wissend, dass sie es ohne Grund tun.
Heißt das, Kanzler Kurz ist zu verstehen als Restaurator einer religiös gestützten Feudalautorität, die verbietet? Das wäre unvollständig. Denn das Souveränitätskonzept, wie es Giorgio Agamben anhand faschistischer Rechtstheorie (Führer als Ausnahmezustands-Entscheider) kritisch an unsere Gegenwart heranträgt, hat ein zweites Moment: den Körper als nacktes Leben, biopolitisch zugerichtet von der Macht. Nun gilt ja als Agambens Primärbeispiel für diese Konstellation der Ausnahmezustand des Lagers, zumal im Nazi-KZ. Jedoch: Das biopolitische Szenario vom Direktzugriff souveräner Macht auf Populationen, die sie ganz beim Körper und dessen Bedürfnissen packt, das weist auch in eine andere Richtung. In Richtung einer kapitalismuskritischen Pointe; und einer Ironie hinsichtlich entfesselter Konsumkultur.
Der Souverän packt im Corona-Notstand alle bei ihrer vitalen Genussfähigkeit. Er verfügt: Der Volksschatz an Urlaubssehnsucht bleibt heimischen Tourismus-Anbieter*innen vorbehalten! Volksgesundheitliche Auslandsreisewarnung – mit Infokampagnen wie Heua nix playa! oder La plage ist englisch und heißt »die Pest«! – dient der patriotischen Pflicht, den Spaßbedarf als dringend benötigten Rohstoff im Land zu belassen. Im März haben alle Hamster gekauft, aber das kann’s nicht sein: Dann enden wir mit Hamsterrat hier und Betriebsrad dort, und die Kapitalzirkulation im Handel kommt nie zum Sonntagsöffnungshöhepunkt. Nein, wer schon sonntags nicht hackelt oder glaubt, für den Hochrisikojob zum Klatschen auch noch mehr Cash erhalten zu müssen, soll reproduktionszeitlichen Inlandskonsum ableisten. Diesen Sommer. Für immer. Weil a bisslerl Glück zum Wiederaufbau noch lang net reicht, wird der Spaß exzess zum Opfer für das Volksganze. Setzt schon Kurz (im ORF am 30.3.2020) Demokratie mit Auf ein Bier-Gehen gleich – beides wolle er den Österreicher*innen nicht nehmen –, so prüft nun die in Tourismusregionen bewährte Corona-Streife, ob Gäste eh genug essen und trinken: Na, da bestellma gleich noch a Runde auf der Seeterrasse! Von Ischl bis Ischgl toben biopolitische Materialschlachten des Heimatkapitals. Volksverräter werden wandernd vernadert: Dort drüben spart einer bei der Hüttengaudi!
Heraus (aus dem Bild) zum 1. Mai!
Wir haben also mit dem Kurz-Souverän einen feudalautoritär-nationalneoliberalen Mischtypus vor uns. Das Ärgste aus allen Welten. Allerdings: Schutz ist nicht sein Monopol. Copyright-Protection in Sachen Genusskultur, das gilt auch für sozialdemokratische Traditionsmarken. Wenn’s um deren Erbpacht auf Wiens Rathausplatz am 1. Mai geht, die dortige SPÖ-Feier aber ausfällt, dann hat dieser Platz im öffentlich-rechtlichen Fernsehbild des Tages der Arbeit leer zu erscheinen wie ein gesperrter Garten. Die ORF-News am Abend des 1. Mai betonten die Leere des Platzes in Wort und Bild so beflissen – es erinnerte an die Kapriolen der stalinistischen Retouche politischer Bilddokumente. Wien Heute und ZiB zeigten eine SP-Funktionärin, die prüfte, ob der Platz eh schön leer ist (ja, passt), und ein junges Sozi-Paar beim Maifeier-Fernsehen zuhause. (Was soll Fernsehen sonst zeigen als Fernsehende?) Verfällt der ORF angesichts der nett dimensionierten 1. Mai-Kundgebungen, die etwa LINKS und kurdische Genoss*innen vor dem Rathaus abhielten, etwa in Angstabwehrgesten? Hoffentlich hat er sich bis zum Wahlerfolg von LINKS im Oktober wieder gefasst.
Drehli Robnik ist Essayist, Autor von Büchern zu Rancière, Kracauer, Kontrollhorror und Ansteckkino: Eine politische Philosophie und Geschichte des Pandemie-Spielfilms von 1919 bis Covid-19 (Neofelis, Juni 2020).