Über Ansätze linker Gesundheitspolitik, die Maßnahmen der Bundesregierung und seinen Arbeitsalltag sprach Volksstimme-Redakteur KLEMENS HERZOG mit ROBERT KROTZER, dem kommunistischen Stadtrat für Gesundheit und Pflege in Graz.
Lieber Robert, es ist deine erste Amtszeit als Gesundheitsstadtrat in Graz und dann sind wir gleich mit einer globalen Pandemie konfrontiert. Wie geht es dir damit?
ROBERT KROTZER: Gerade die ersten Tage und Wochen waren sehr fordernd, weil unzählige Fragen von Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen und BürgerInnen an uns gerichtet worden sind. Die Unsicherheit war verständlicherweise groß. Die ganze Situation hat mitunter surreal gewirkt. Wenn ich zwischendurch etwas Zeit zum Verschnaufen hatte und gelesen oder einen Film geschaut hab, hab ich manchmal danach auf orf.at geschaut, um zu realisieren, dass die »neue Normalität« nicht nur ein böser Traum ist.
Wie sieht dein Arbeitsalltag aus? Was kannst du für die Bevölkerung und das Gesundheitspersonal in Graz bewirken?
ROBERT KROTZER: Soziale Notlagen kennen keinen Shutdown. Der Parteienverkehr und die persönlichen Beratungen im Rathaus können zwar bis auf weiteres nicht stattfinden, per E-Mail oder Telefon wir sind aber weiterhin für alle da, die Hilfe suchen.
Sehr schnell ist es gelungen, gemeinsam mit vielen Vereinen das Projekt Grazer Telefon-Kette gegen COVID-19 zu initiieren. Ziel war es, möglichst viele Menschen aus der Hochrisikogruppe mit deutscher und nicht-deutscher Muttersprache zu erreichen und fundiert über Gefahren und Verhaltensregeln in der Corona-Krise aufzuklären. Wir sind dabei, das Projekt in eine zweiten Phase zu führen, um die Menschen in der Hochrisikogruppe für einen »gelockerten« Alltag vorzubereiten und mit den Informationen zu versorgen.
Die Coronakrise hat den Pflegenotstand noch einmal verschärft. Darum war es uns ein Anliegen, eine einfach bedienbare Datenbank über die Verfügbarkeit von Pflegeplätzen zur Verfügung zu stellen. Auf dieser kann jetzt tagesaktuell abgefragt werden, ob und wo es freie Plätze in Heimen oder beim betreuten Wohnen gibt. Das kommt vor allem SozialarbeiterInnen und dem Entlassungsmanagement der Spitäler bei der Arbeit zugute. Selbst die Information, dass im gewünschten Heim kein Platz frei ist, ist wichtig, weil sie den Betroffenen viele Telefonate erspart.
Oft scheint es so als würde das Virus den Weg alternativlos vorgeben: Will man einen Kollaps des Gesundheitssystems und tausende Tote verhindern, heißt es Kontakte reduzieren, Kontakte reduzieren und nochmals Kontakte reduzieren: In der Arbeit, in den Schulen, in der Freizeit. Gibt es in dieser Krisensituation überhaupt so etwas wie eine linke beziehungsweise kommunistische Gesundheitspolitik?
ROBERT KROTZER: All unsere Warnungen was etwa die Bettenreduktionen, die Schließungen von Abteilungen oder ganzen Spitälern oder die Privatisierungen im Gesundheitssystem betreffen, haben sich bewahrheitet. 63 Mal hat die EU ihre Mitgliedsstaaten zwischen 2011 und 2018 zu Kürzungen oder Privatisierungen im Gesundheitsbereich aufgefordert, wie der Wirtschaftsprofessor Walter Ötsch recherchiert hat. Mit dieser Logik muss jetzt gebrochen werden. Schon bisher waren die Wartezeiten für nötige Operationen sehr lang. Das hat sich jetzt noch einmal verschärft. Ein Ausbau der Kapazitäten wird zum Gebot der Stunde.
Vielen Menschen wird jetzt klar, dass der Kapitalismus im Gesundheitswesen nicht funktioniert. Die herrschenden Parteien haben in unterschiedlicher Ausprägung Gesundheitspolitik nur anhand von Budgetzahlen diskutiert. Bei allen gesundheitspolitischen Maßnahmen müssen aber das Wohl der Patienten und Patientinnen auf der einen Seite und die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten auf der anderen Seite im Mittelpunkt stehen. Das sind nämlich zwei Seiten einer Medaille.
Dein Amtskollege Peter Hacker (Anm. SPÖ-Gesundheitsstadtrat in Wien) hat sich ja ziemlich öffentlichkeitswirksam mit der türkis-grünen Regierung angelegt. Was hältst du vom Krisenmanagement der Regierung – was passt, was passt nicht?
ROBERT KROTZER: Der Shutdown trifft wirtschaftlich schwache Menschen viel härter. Die Aussage von ÖVP-Nationalratspräsident Sobotka, dass die Leute doch in den Garten gehen sollten, wurde zurecht mit Marie Antoinette und »Wenn sie kein Brot haben, sollen sie doch Kuchen essen« verglichen. Was tun, wenn man nur eine kleine Wohnung hat, ohne Garten oder Balkon? Die räumliche Enge befeuert psychische Probleme, Alkoholismus und häusliche Gewalt nehmen zu. Darum ist es jetzt wichtig, dass die Menschen sich wieder freier bewegen können – ohne dass sie für andere zum Risiko werden. Das rigide und bisweilen willkürliche Vorgehen gegenüber Menschen, die sich im Freien aufhalten, muss beendet werden.
Die Regierung pumpt viel Geld in »die Wirtschaft«, bei Unterstützungen für Menschen in Notlagen agiert sie knausrig. Ein umfassendes Paket mit sozialen Sofortmaßnahmen wäre dringend nötig. Dann »braucht« auch niemand einen Pfandleiher. Die 30 Millionen Euro Unterstützung für armutsgefährdete Familien bei über einer Millionen Menschen an und unter der Armutsgrenze kann schon in »normalen Zeiten« nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein sein.
Als nach Ostern die Maßnahmen gelockert wurden und viele Geschäfte wieder öffneten, hast du rigorose Sicherheitsvorkehrungen für alle Arbeitenden gefordert. Wie können wir gemeinsam sicherstellen, dass die auch eingehalten werden? Und was kann jeder einzelne von uns tun, um untereinander solidarisch zu sein und uns gegenseitig zu schützen?
ROBERT KROTZER: Masken und Desinfektionsmittel sollen von den Betrieben für ihre Beschäftigten in ausreichender Menge zur Verfügung gestellt werden. Auch für den Sicherheitsabstand am Arbeitsplatz muss Sorge getragen werden. Es ist wichtig, dass so das Ansteckungsrisiko minimiert wird. Wenn man den Eindruck hat, dass das nur unzureichend getan wird, sollte man sich umgehend an die Betriebsräte oder die Arbeiterkammer wenden.
Noch steht viel in den Sternen. Kannst du unseren LeserInnen eine persönliche Einschätzung geben, worauf man sich im kommenden Jahr einstellen kann und muss? Gibt es eine Rückkehr zur Normalität?
ROBERT KROTZER: Das wäre Kaffeesudleserei. Es wird viel davon abhängen, ob und wann ein Impfstoff entwickelt wird, inwieweit der schnell und kostenlos allen Menschen zugutekommt oder ob Pharmakonzerne sich eine goldene Nase verdienen wollen.
Man darf auch nicht vergessen, dass in der sogenannten »Normalität« hunderttausende Menschen in Österreich oft nicht gewusst haben, wie sie ihren Alltag bestreiten sollen. Für viele ist ein Zurück zu wenig. Wir brauchen dringendst soziale Fortschritte – und letztlich ja auch eine Überwindung des Kapitalismus, dessen Versagen jetzt so offen zutage tritt.
Manche haben ja jetzt mehr Zeit, um zu Lesen oder Filme und Serien zu schauen. Was empfiehlst du unseren Lesern und Leserinnen?
ROBERT KROTZER: »Peaky Blinders« über Gangster, Politik und soziale Verhältnisse in Birmingham in der Zwischenkriegszeit, oder »Babylon Berlin«, eine Serien-Adaption der großartigen Krimis von Volker Kutscher, die man auch lesen sollte, wären meine Tipps. Lesenswert finde ich jedenfalls die Webseiten der Zeitungen Junge Welt, Der Freitag oder des Hintergrund- Magazins.