05 Mai

INSZENIERUNG: Siegfrieds Stunde – Bravo Kanzler! – die Krisen-Performance des Herrn Kurz

von

VON EVA BRENNER

Er tritt auf, er wirkt ernsthaft, seriös, gefasst. Er ist in Kontrolle, er versichert, er sichert zu. Jung, attraktiv, slimfit, rhetorisch geschult hat er schnell in seine Krisen-Rolle gefunden, was man vom »grünen« Vize leider nicht sagen kann. Jeden Abend spult die makellose Inszenierung punkt 19.30 Uhr im Staats-TV als gut geprobtes Schauspiel vor uns ab. Aber der Kanzler ist nicht allein; die Choreographie der Pinguine – ein Krisenquartett des Ausnahmezustands bestehend aus Kanzler, Vize, Innenminister und Gesundheitsminister – ist perfekt getimt. Im Gleichklang treten sie vor aufgepflanzten Österreich- und EU-Fahnen auf, im verordneten Sicherheitsabstand, anfangs ohne, dann mit Masken. Frauen kommen kaum ins Bild, das maskuline Zuckerbot- und Peitsche-Theater braucht sie nicht, es handelt von Message Control, Disziplin und Ordnung. Parallel zum Anstieg der Infizierten und Todesfälle mutieren die Vermittlungstaktiken von »Team Österreich« und »Wir« (minus der »Ausländer«, versteht sich). Eine ganze Nation wird wochenlang in die eigenen vier Wände verbannt, abwechselnd beruhigt dasKrisenquartett oder droht mit drastischen Strafen. Der Strahle-Kanzler spielt nicht nur die Hauptrolle, er verkörpert sie: Prediger, Staatsmanager, Retter in der Not, Arzt am kranken Volksköper. Er beherrscht sein Skript wie der Darsteller des Jedermann auf dem Domplatz zu Salzburg. Die Corona-Kri­senperformance ist die Stunde des Herrn Kurz.

Das »Theater« (mit) der Politik

Was ist der Theaterbegriff dieses Stücks? Wes Geistes Kind ist der »Krampus-Diskurs« (Falter-Chefredakteur) des obersten Staats­dieners, der mit der Rute droht, sollten die braven Schäfchen – ein Volk von »Staats ­hörigen« (NZZ) – sich nicht wohl verhalten und zuhause bleiben. Egal, ob sie nun ins Landhaus im Grünen flüchten können oder in kleinen Innenstadtwohnungen zusam­mengepfercht sind? Das ständestaatliche Szenario kennt keine sozialen Unterschiede. Im deutschen Feuilleton wird der Kanzler mit »Siegfried« verglichen, während ein hei­mischer Kritiker vom »verhinderten Minis­tranten« spricht, der mit Engelszungen die Einübung in den autoritären Staat vorberei­tet. Der Verkündigungston kommt mit lee­ren Worthülsen aus, der Kanzler spricht mit emotionsloser Miene – ein Signum neolibera­lisierter Manager-Performance. Das Szena­rio: Es ist schlimm, es ist schon besser, es kann schlimmer werden – es gilt die Regeln zu beachten, wir sind noch lange nicht über den Berg! Die mediale Präsenz ist die Mes­sage, bald kommt die neue Überwachungs-App, natürlich zum Schutz aller. Form geht vor Inhalt.

Auf in die Schlacht!

Mit der Ansteckungsgefahr wächst die Angst. Sind wir auf dem Weg zum Order-Regime? Die Kriegsmethaper stammt vom israeli­schen Premier, mit dem sich unser Kanzler gern berät, sowie vom französischen und amerikanischen Staatspräsidenten. Wir sind im Krieg gegen das Virus. Freiheitsrechte werden eingeschränkt, das Regelwerk des Rechtsstaates gerät ins Wanken, im Land herrscht Stillstand. Die Folgen der Corona Virus-Katastrophe sind nicht abzusehen, es droht Rezession, die Situation wird mit der Depression der 30er Jahre verglichen. Zur Kriegsrhetorik passen die Einberufung von 3.000 Milizionären, Grenzschließungen, Aufstockung der Polizei, Verstärkung durch das Bundesheer – ganz so als stünde ein Krieg ins Haus. Nach Überwindung der ersten Krisenphase, die das kleine Öster­reich vorbildlich gemeistert hat, folgt nun die schrittweise Öffnung kleiner Geschäfte sowie von Bau- und Gartenmärkten. Aber »wir sind noch lange nicht dort, wo wir hinwollen«, trommelt der Gesundheitsmi­nister. Wissen wir, wo wir hinwollen? In welcher Gesellschaft wir aufwachen wollen, wenn dereinst die Corona-Krise bezwungen sein wird? Warum nützt der »grüne« Vize seine Rolle nicht, um über nun zutage tretende Zusammenhänge zwischen Globalisierung, Umweltkrise und Virengefahr aufzuklären? Wann bekommt die glatte Fassade der Kri­sen-Performance Risse, wird die Achilles­ferse des Strahle-Kanzlers sichtbar?

Gesellschaft des Spektakels

Das Krisen-Spektakel (Guy Debord) folgt einer wohlüberlegten Absicht. Jedem der Statisten ist eine genaue Rolle angepasst, die Masken sitzen. Manchmal darf der Innenminister als Scharfmacher »mit-spie­len« und wiederholt mit deutlich schwä­cherer Rhetorik die gut geölten Aussagen des Kanzlers. Neben dem jugendlichen Hel­den besteht einzig der sympathische Gesundheitsminister, der mit Statistiken und Besonnenheit punktet. Dem grünen Vize, oft erzürnt in den Hufen scharrend, bleibt als Junior Partner nicht mehr als die undankbare Nebenrolle. Er versprüht hemdsärmelige Volksnähe, bemüht sich stets um Authentizität, man merkt, er denkt, was er sagt und hat vielleicht mehr zu sagen. Aber mit der Kurz-Show kann er nicht mithalten. Dann wird sein Unbehagen über das festgezurrte koalitionäre Korsett schmerzlich spürbar, aber jetzt ist es zu spät, jetzt sitzt er mit am Tisch der Mächti­gen, jetzt kann er nicht mehr aus der Rolle fallen. ProduzentInnen (Türkis/ÖVP) und RegisseurInnen (PR-StrategInnen) haben die Show im Griff: Alles in diesem Schau­spiel zielt ab auf politische Breitenwirk­samkeit – und die befindet sich in Öster­reich im Augenglick rechts des Zentrums. Die Performance ist ideologisch zugeschnit­ten auf den »jungen Kaiser«.

Kein Widerspruch, nirgends

Akute Themen wie die katastrophale Situa­tion Geflüchteter, Klimakrise, Kriege (nicht nur in Syrien) hat die Covid-19-Tragödie längst aus den Medien verdrängt. Im stände­staatlich-nationalen Schulterschluss schnü­ren sich der Kriegs-Diskurs im Tandem mit Sicherheits- und Schutzmaßnahmen enger und enger, werden gigantische Geldpakete zur Abfederung der Wirtschaftskrise, sozia­ler Härtefalle und möglicher Unruhen verab­schiedet. Die Bevölkerung nimmt die Ein­schnitte in die Freiheitsrechte sadomasochis­tisch-sprachlos hin. Bisweilen entsteht der Eindruck, die Türkisen hätten geradezu Spaß am Ausnahmezustand-Spiel. Es gibt ihnen Macht. Nach Einführung der Maskenpflicht konnte man zusehen, wie die Leute nur darauf warteten, ihre selbstgenähten Krea­tionen öffentlich auszuführen. Und wäh­renddessen nähen die Werkstätten österrei­chischer Theater Masken und Schutzklei­dung, anstatt Kostüme. Viel mehr Rolle kommt der Kunst in Zeiten der Krise nicht zu, mal abgesehen von der Flut an Online-Video-Programmen, die kaum zu über ­blicken ist und keinen Ersatz für das live Erlebnis darstellen.

Das Wahre und das Falsche

Nur wenige kritische Intellektuelle themati­sieren den mit gespenstischer Geschwindig­keit vor sich gehenden Verlust von über Jahrhunderte erkämpften Freiheitsrechten, rufen auf zur Mäßigung, versuchen die Selbstorganisation linker Kräfte. Herr und Frau Durchschnitts-ÖsterreicherIn bleiben jedoch frei/willige ZuschauerInnen im Kri­senmodus, sitzen stumm vor den Bildschir­men und starren auf die perfekte Zurschau­stellung des Krisen-Managements. Es soll kein Staubkorn auf die reine Weste des Strahle-Kanzlers fallen, nichts Unerwünsch­tes soll ans Tageslicht gebracht, keine Kri­senursachen enthüllt werden, das Stück ein baldiges Happy End finden. Die Message: Wir haben alles fest im Griff – und nach der Krise soll alles wieder so werden wie zuvor, höchs­tens ein klein bisserl anders! Vielen däm­mert: So schnell wird es nicht gehen. Wenn es nicht so ernst wäre, müsste man lachen, aber hier gibt es nichts zu lachen. The Show must go on – Bravo Kanzler!

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