HEIDE HAMMER im Gespräch mit Katarína Staroňová über die Gesundheits versorgung in Österreich.
Katarína Staroňová ist auch medial bekannt – sie kam 2011 nach Graz, um nach einem zweimonatigen Crash-Kurs in der Slowakei als 24h-Betreuerin zu arbeiten. Auch wenn sie diese Lohnarbeit wegen des in Aussicht gestellten tollen Verdienstes antrat und wie so viele ihr Lehrgeld bezahlte, ist die heute als diplomierte Krankenpflegerin in einem Wiener Spital Tätige überzeugt, dass der Pflegebereich für sie genau das Richtige sei. Katarína hat sich trotz ihres schwierigen Berufseinstiegs das Interesse und die Neugier an Menschen bewahrt, wesentliche Voraussetzungen für den körperlich wie psychisch anstrengenden Beruf.
Als wir uns bei der Demo am 5. Februar für die 35-Stunden-Woche in der Sozialwirtschaft gesehen und zum Interview verabredet haben, hast du betont, nicht nur über Pflege sprechen zu wollen. Wie geht es dir nun als diplomierte Krankenpflegerin auf einer neurologischen Station?
KATARÍNA STAROŇOVÁ: Ich bin nun Vertragsbedienstete der Stadt Wien. Ich hatte Glück, meine Ausbildung zur Diplomkrankenpflegerin mit Unterstützung des WAFF [Wiener ArbeitnehmerInnen Förderungsfonds], einem sog. Fachkräftestipendium, absolvieren zu können. Ich finde es schade, dass diese Möglichkeit nicht mehr angeboten wird, auch weil es mittlerweile ein Bachelor-Studium ist. Es hat die Krankenpflegeausbildung auch für Personen in späterem Alter ermöglicht, und wie wir alle von Prognosen und Medienberichten wissen, mangelt es überall an diplomiertem Pflegepersonal. Nur ganz wenig 24h-BetreuerInnen haben diesen Umstieg von der Betreuung in die professionelle Pflege geschafft. Es war nicht einfach. Ich habe die Aufnahmeprüfung beim zweiten Versuch geschafft, dazu musste ich meine Deutschkenntnisse verbessern. Der Unterschied zwischen Arbeit im Krankenhaus und in der 24h-Betreuung ist riesig – auf meiner Station arbeite ich in einem tollen Team, wir können uns aufeinander verlassen und dafür sorgen, dass es PatientInnen und deren Angehörigen trotz schwieriger Erkrankungen gut geht. Man hat auch alle notwendigen Hilfsmittel zur Verfügung, dies gibt es in der 24h-Betreuung nur selten, weil es an Geld mangelt. In der 24h-Betreuung bist du auf dich selber gestellt und ich habe mich ganz oft isoliert gefühlt.
Gerade gibt es KV-Verhandlungen in der Sozialwirtschaft (seit 2016 SWÖ, davor BAGS), bislang gibt es keine Einigung. Die einzige Forderung der Gewerkschaften GPA-djp und vida ist eine flächendeckende 35-Stunden-Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich. Betroffen von der Regelung sind 125.000 Beschäftige im privaten Pflege-, Gesundheits- und Sozialbereich. Die Gruppe »Wir sind sozial aber nicht blöd« fordert zudem sechs Prozent Lohnerhöhung. Wie kann die Durchsetzung dieser richtungsweisenden Forderung gelingen?
KATARÍNA STAROŇOVÁ: Selbstverständlich würde auch ich mich über eine Arbeitszeitreduktion freuen, allein es fehlt schon jetzt an Personal und die Verweildauer im Job ist aufgrund der hohen Belastung gering. In der jetzigen Organisationsform ist das einfach nicht zu machen, es braucht vielmehr eine umfassende Strukturänderung. Die Arbeitsintensität ist jetzt schon extrem hoch und könnte so noch weiter steigen. Ich finde es traurig, dass in der Diskussion die 24h-Betreuung vergessen wird. Die Menschen übernehmen doch fünf Prozent der Versorgung zu Hause und sind rund um die Uhr in Einsatz. Community Nursing erscheint mir und vielen PflegerInnen als ein attraktives Modell. Auch hier geht es um das Zuhause-Bleiben so lange wie möglich. Das Konzept umfasst aber nicht nur die Pflege und Betreuung von alten und unterstützungsbedürftigen Personen oder Familien, es geht um ein weitreichendes Modell von Gesundheitsvorsorge und Prävention. Dieses System würde auch in der 24h-Betreuung helfen. Die Community Nurse kann beratende Funktion übernehmen und somit den Wildwuchs an Agenturen beenden (es sind jedenfalls hunderte), die sich jetzt in der 24h-Betreuung umtun und nach wie vor das große Lohngefälle in den europäischen Staaten und die individuelle Notlage der Menschen – sowohl der PflegerInnen als auch der KlientInnen – für ihre teils mafiösen Geschäfte nutzen. Community Nurses sind Angestellte der Gemeinde oder des Bezirks, kennen die BewohnerInnen, die medizinische Hauskrankenpflege in Wien geht in diese Richtung. Das gegenwärtige System ist zu wenig flexibel, um auf individuelle Bedürfnisse rasch und adäquat zu reagieren und damit auch hohe Folgekosten zu vermeiden. Wenn z. B. Frau Huber nach einem Schlaganfall intensive Betreuung und Therapie bezahlt bekommt und so wieder ein selbstständiges und selbstbestimmtes Leben führen kann, dann ist allen geholfen. Ein Schema Post-Schlaganfall kann dabei viel zu kurz greifen, und dann hängt es von den finanziellen Mitteln und dem Wissen von Frau Huber oder ihren Angehörigen ab, ob die Rehabilitation gelingt.
Das klingt ziemlich vernünftig, wer oder was steht der Einführung entgegen?
KATARÍNA STAROŇOVÁ: Es gibt einige Lobbygruppen auch in der Wirtschaftskammer, die dagegen sind. Auch die Ärztekammer fürchtet offenbar um ihren Einfluss. Dabei könnte dieses Modell fehlende HausärztInnen, besonders in kleinen Landgemeinden, aber auch den Ambulanzbereich im Spital entlasten. Das Entlassungsmanagement der Krankenhäuser könnte durch Community Nurses weitgehend übernommen werden. Die KrankenpflegerInnen sind dafür, es würde sich ein angesehenes neues Beschäftigungsfeld eröffnen. Die Frage, wo kommen die neuen Arbeitskräfte her, bleibt offen.
Die sog. Indexierung der Familienbeihilfe für in Österreich tätige ArbeitnehmerInnen, deren Kinder im EU-Ausland leben, ist vor einem Jahr in Kraft getreten. Du hast damals bei einer Donnerstagsdemo gemeinsam mit Deinem Kollegen Dušan Valach gesprochen. Dušan hat damals gesagt: »Ihr habt keinen Cent für unsere Ausbildung bezahlt und jetzt wollt ihr uns das Geld für die Ausbildung unserer Kinder wegnehmen.« Obwohl die EU-Kommission in dieser Frage ein Verfahren gegen Österreich anstrebt, hat auch die neue Türkis-Grüne Regierung diese diskriminierende Regelung nicht zurückgenommen. Welche Auswirkungen zeigen sich nach einem Jahr?
KATARÍNA STAROŇOVÁ: Die nationale Zusammensetzung der 24h-PflegerInnen hat sich verändert und wird sich weiter verändern. Als ich 2011 begonnen habe, kamen 60 bis 70 Prozent der PflegerInnen aus der Slowakei, heute sind es vielleicht 30 bis 40 Prozent. Wenn sich die Arbeitsmarkt-, sprich die Einkommenssituation in den Herkunftsländern verbessert, bleiben die Frauen (und wenigen Männer) klarerweise lieber zuhause. Zudem gibt es die Konkurrenz aus den Nachbarländern, auch die Schweiz ist ein mögliches Ziel. Da der Bedarf an PflegerInnen in Österreich steigt, greift man eben auf ärmere, weiter entfernte Länder zurück, neuerdings Bulgarien, Moldavien, zuletzt sogar Marokko. Für Menschen aus diesen neuen Herkunftsländern beginnt das zuvor beschriebene System und es wird brauchen, bis sie sich austauschen und die Fallstricke im System erkennen. Zwar habe auch ich am Beginn meiner Tätigkeit als 24h-Betreuerin für eine slowakische und eine österreichische Agentur gearbeitet, das bedeutete im Kleingedruckten des Vertrags die Strafdrohung von 16.596 Euro, sollte ich die Agentur wechseln oder meine eigene Agentur gründen, 5.000 Euro für das Ausplaudern von Interna. Regelmäßig zu entrichten wären je 500 Euro Jahresgebühren jeweils für die slowakische und die österreichische Agentur. Die zahlt man gleich zu Beginn, und dann stand auch noch im Vertrag, wenn ich meinen Turnus vorzeitig beende, kriege ich nichts. Den KlientInnen wird selbstverständlich der volle Betrag verrechnet, denn ich oder eine andere Pflegerin waren schließlich dort. Dieser Missbrauch von Arbeitskräften, der von der Unwissenheit, den sprachlichen Barrieren, der formalen Selbstständigkeit und den relativ hohen Anfangsinvestitionen des Berufseinstiegs lebt, wird durch den Staat Österreich gefördert.
Du warst zwei Jahr in diesem Über-Ausbeutungsschema tätig. Wie bist du da wieder rausgekommen?
KATARÍNA STAROŇOVÁ: Ich war anfänglich zwar auch, wie so viele andere, überfordert, übermüdet und habe die Tage gezählt, bis der Turnus beendet war. Viele Kompetenzen erwirbt man erst in der Arbeit, auch ich war schlecht vorbereitet. Ein Phänomen, das ich immer wieder wahrnehme: kranke Leute haben ein besonderes Radar, jede Unsicherheit, schlechte Laune wird gespiegelt und kommt zurück. Andererseits hatte ich keine weiteren Verpflichtungen, keine Kinder zu versorgen. Ich war relativ jung, hatte in der Slowakei maturiert. Ich hatte keinen spezifischen Grund, den Rhythmus von Arbeit und Nachhause-Fahren beizubehalten. Ich wechselte nach Wien, lernte viele Leute kennen, die auch in dem Feld tätig waren, und auch meinen Partner Roland Loidl. Mit ihm zusammen gründete ich das Institut für Personenbetreuung (IPB).
Was habt ihr in den letzten Jahren erreicht? Wie sehen eure Pläne aus?
KATARÍNA STAROŇOVÁ: Die ursprüngliche Idee war eine Interessensvertretung, sagen wir mal analog zum ÖAMTC, denn eine gewerkschaftliche Vertretung, wie sie eigentlich nötig wäre, ist aufgrund der formalen Selbständigkeit der ca. 60.000 in Österreich tätigen PersonenbetreuerInnen nicht möglich. Wir haben sehr viele Einzelfallberatungen gemacht und den Leuten geholfen, aus diesen miesen Agenturverträgen auszusteigen. Klarerweise kommen immer neue PflegerInnen nach, ihre Zwangslage nimmt meist mit der Entfernung vom Herkunftsland zu. Das Lohngefälle ist noch größer, die Anreisewege noch länger, die Erfahrungen mit Selbstorganisierung oder das Wissen um die eigenen Rechte ist kaum vorhanden. Gerade arbeiten wir mit der FH Campus Wien an dem Projekt »24h QuAALity«. Dabei geht es um die Entwicklung von Software Lösungen zur Qualitätssicherung der 24h-Betreuung. Die BetreuerInnen sollten mit mehr Wissen ausgestattet werden. Es entstehen E-Learning Module, es wird ein elektronisches Dokumentationssystem, ein Notfallmanagement sowie eine Vernetzungsplattform für Betreuungskräfte und KundInnen entwickelt. Das Arbeitsfeld ist geprägt von zwei Faktoren: die besonders am Beginn fehlende Kompetenz und die übergroße Verantwortung. Gegen die oft erlebte Ohnmacht helfen auch die sozialen Netzwerke der BetreuerInnen, diese versuchen wir gerade zu institutionalisieren und für alle zugänglich zu machen.
Danke für das Gespräch.