Geht es nach Ökonom*innen oder Agrarpolitiker*innen, kann jeder und jede von uns die Welt zu einem besseren Ort machen, wenn man im Supermarktregal zu den richtigen Produkten greift. Ist das wirklich so und was wäre notwendig, dass es so ist, fragt
Von JULIANNA FEHLINGER.
Bio sollen die Lebensmittel sein und aus regionaler Herkunft, oder sie sollten ein Fair Trade Siegel tragen. Jene, die es sich leisten können, werden damit zu Retter*innen des Planeten, und die anderen – eben nicht. Wie kritischer Konsum dennoch wichtige Schritte setzen kann, um unsere Welt zu verändern, soll im Folgenden anhand von einigen Beispielen diskutiert werden.
Wieso soll ich jetzt alleine für die Rettung der Welt Verantwortung übernehmen, dafür mehr bezahlen und am Ende nicht einmal sicher sein, ob das Geld bei den Bauern und Bäuerinnen ankommt? Mit diesen Fragen müssen sich Konsument*innen konfrontieren, wenn sie es satthaben, dass sich politisch nichts bewegt und sie dennoch ihren Beitrag durch bewussten Einkauf leisten wollen.
Probleme sind nur gemeinsam zu lösen
Auch Bauern und Bäuerinnen stecken in einer widersprüchlichen Situation. Trotz des Trends zu mehr Bio und regionalem Konsum sperren alleine in Österreich immer noch sieben Betriebe pro Tag zu. Auch für einen Bio-Betrieb bleibt am Ende des Jahres oft zu wenig über, um ein entsprechendes Einkommen für die geleistete Arbeit zu erhalten. Die kleinen Betriebe sind vom Druck des Wachsens oder Weichens besonders betroffen. Hinzu kommt das mulmige Gefühl, dass bald die nächste Auflage kommt, die man am Betrieb nicht mehr erfüllen kann. Oder man wird aus anderen Gründen ausgetauscht, weil beispielsweise einfach zu viel Milch am Markt ist, oder die Supermarktketten ihr eigenes Gemüse herstellen lassen. Gestaltungsspielraum für Produkte und Preise zu erlangen, ist in der Landwirtschaft kaum möglich.
Dass wir diese Probleme nicht individuell beheben können, erscheint völlig klar und einleuchtend. Dennoch wird die individuelle Entscheidung, anders einzukaufen, immer noch als zentrale Lösungsstrategie für beinahe jedes Problem in der Landwirtschaft verkauft – vom Klimaschutz bis zum Bauernsterben: die Konsument*innen sollen entscheiden. Aktuell soll nun auch in der Gastronomie eine Herkunftskennzeichnung eingeführt werden – eine sinnvolle Initiative, die jedoch nichts daran ändert, dass die Verantwortung für die Rettung der Welt auf das Geldbörsel jedes Einzelnen abgeschoben wird.
Zusammenarbeit zwischen Berg und Stadt
Bereits mit dem Beginn der Bio-Bewegung haben Produzent*innen erkannt, dass die Kooperation mit Konsument*innen der Schlüssel zum Erfolg ist, wie auch die Zusammenarbeit mit Berufskolleg*innen. Ein leuchtendes Beispiel dafür ist die Bersta, die bis heute wichtige Händlerin von bäuerlichen Produkten aus dem Waldviertel. Bergbauern und -bäuerinnen und Handwerker*innen aus dem Waldviertel reichten kritischen Konsument*innen aus Wien die Hand und gründeten bereits 1979, mit Unterstützung der ÖBV, ein Netzwerk zwischen Berg und Stadt (Bersta). Durch die Ausschaltung des Zwischenhandels sollten den Erzeuger*innen ein gerechtes Einkommen und den Konsument*innen qualitativ hochwertige Produkte zu erschwinglichen Preisen zugänglich gemacht werden. Es gelang nur teilweise, die hochgesteckten Ziele zu verwirklichen. Mit der Durchsetzung von Bioprodukten in den Supermarktketten und die einfache Verfügbarkeit für die Konsument*innen gerieten Kooperationen wie die Bersta ins Hintertreffen.
Konsum abseits der Supermarktketten: Food Coops und Solidarische Landwirtschaft
Ein neuer Schwung der Selbstorganisation von kritischen Konsument*innen gelang in den letzten zehn Jahren durch Einkaufsgemeinschaften (Food Coops). Über Online-Bestellsysteme kann direkt bei Produzent* innen bestellt werden, die Produkte werden anschließend in ein gemeinsames Lager der Food Coop geliefert und von den Mitgliedern selbst abgeholt. Dadurch haben die Produzent*innen eine garantierte Abnahme und eine gebündelte Bestellung. Food Coops verlangen ein hohes Engagement der Einkäufer*innen und fördern auch eine aktive Auseinandersetzung mit der Situation der landwirtschaftlichen Betriebe. Ein noch engeres System des Austauschs zwischen den Höfen und ihren Abnehmer* innen konnte die Projekte solidarischer Landwirtschaft in den letzten Jahren etablieren. Hier werden die Konsument*innen in die Planung am Hof mit eingebunden und beteiligen sich am finanziellen Risiko des jeweiligen Betriebs.
Partizipation und Kooperation im Supermarkt
Die Welt des Einkaufens durch kooperative und partizipative Supermärkte zu verändern, ist in Österreich noch weitgehen unbekannt, bringt jedoch neue soziale und ökonomische Lösungsansätze mit sich. Das Modell hat sich in den USA entwickelt, in den letzten Jahren haben auch in einigen Städten in Europa solche Supermärkte eröffnet. So beispielsweise die Kooperative »La Louve« aus Paris. Gutes Essen für alle zu Verfügung zu stellen, ist auch das Ziel für diese Art der kooperativen und partizipativen Projekte – sie zeigen, wie »alle« ernst gemeint werden könnte. Ihre Struktur ist darauf ausgelegt, kein Club von »guten Einkäufer*innen« zu sein, sondern möglichst vielen Menschen eines Stadtviertels zu ermöglichen, mehr regionale, gesunde und biologische Produkte einzukaufen. Für sie ist wichtig, dass jeder und jede willkommen ist und der Einkaufskorb von allen ein Stück in Richtung Nachhaltigkeit verschoben werden kann. Ihr Modell ist eine Antwort auf die Beobachtung, dass vorwiegend gut situierte Konsument*innen in Läden einkaufen, die nur biologische und regionale Produkte anbieten und damit auch höhere Preise haben. Ihr Modell baut aber auch auf der Erfahrung vieler Food Coops auf, dass von den Mitgliedern ein hohes Engagement und viel Zeit vorausgesetzt werden und Food Coops damit nur für eine ausgewählte Gruppe zugänglich sind.
Wie genau funktioniert ein kooperativer und partizipativer Supermarkt?
»La Louve«, der partizipative und kooperative Supermarkt aus Paris, bietet seinen Mitgliedern ein breites Sortiment an, ähnlich wie in einem herkömmlichen Supermarkt. Alle Waren des täglichen Bedarfs sind ohne Vorbestellung erhältlich und können aus den Regalen genommen werden. Voraussetzung für den Einkauf ist nur eine Mitgliedschaft, die sich nach der Höhe des Einkommens richtet und sich zwischen zehn bis 200 Euro bewegt. Jedes Mitglied muss jedoch drei Stunden im Monat im Laden mitarbeiten und kann sich auch nicht durch einen höheren Beitrag davon »freikaufen«. Die Arbeitseinsätze sind in fixen Teams organisiert, wodurch jedes Mitglied seine Fähigkeiten optimal einbringen und sich gleichzeitig mit anderen Mitgliedern austauschen kann. Bei »La Louve« organisieren nur acht hauptangestellte Mitarbeiter*innen einen Supermarkt für über 5.000 Mitglieder. Die große Schwester von »La Louve«, »Park Slope« aus New York, ist bereits auf 17.000 Mitglieder angewachsen.
Die angebotenen Produkte reichen von konventionell bis biologisch, von Übersee bis regional und werden nach den Kriterien Bio, Regionalität, Gesundheit, Fair Trade, Geschmack aber eben auch dem Preis ausgewählt. Durch die niedrigen Ausgaben für Löhne gelingt es, dass zum Beispiel biologisches Gemüse günstiger angeboten werden kann als konventionelle Ware im Supermarkt nebenan. Damit steigt die Motivation für jene, die aufs Geld schauen müssen, ihre Konsummuster zu verändern, ohne den moralischen Zeigefinger zu heben. Für »La Louve« steht die Zusammenarbeit und Teilhabe an erster Stelle. Als Standort haben sie daher ein Stadtviertel gewählt, in dem bürgerliche wie proletarische Menschen leben. Das Modell ist keine Lösung für alle Probleme in der Landwirtschaft, ist jedoch ein wichtiger Puzzlestein in der Landkarte der Versuchslabors für ein Wirtschaften der Zukunft.
Solidarisch Ökonomie – Versuchslabor der Zukunft oder Werkzeug für soziale Transformation?
Gerade die Diskussion um die Vorherrschaft von Bio-Eigenmarken der drei großen Supermarktketten (Ja!-Natürlich, Zurück zum Ursprung und Natur Pur), durch die Höfe austauschbar werden und die Abhängigkeit der bäuerlichen Betriebe und der Vermarktungsschienen in einem der drei Großen gelistet zu werden, zeigt uns überdeutlich, dass dringender Handlungsbedarf besteht!
Vor diesem Hintergrund ist es besonders fruchtbar, die Erfahrungen aus Erzeuger* innen-Verbraucher*innen-Initiativen und Food Coops neu zu lesen. Sie sind Versuchslabore für eine solidarische Zukunft, die heute schon ermöglichen, neue Formen der wirtschaftlichen Zusammenarbeit auszuprobieren. Auch kooperative Supermärkte oder Dorfgenossenschaften sind ein Versuch, neue Lösungsstrategien für reale politische Probleme zu entwickeln Gleichzeitig besteht ihr besonderer Wert in der Arbeit, die in sozialen Bewegungen eingebracht wird. Für viele Konsument*innen sind Food Coops oder eine Dorfgenossenschaft ein Ort, an dem sie beginnen, sich mit den Strukturen der Landwirtschaft zu befassen und Gleichgesinnte treffen, mit denen sie sich austauschen können und gemeinsam in der Bewegung für Ernährungssouveränität aktiv werden.
Was Solidarische Ökonomien sind, wurde in Brasilien, das eine lange Geschichte mit diesen ökonomischen Konzepten hat, anhand folgender Merkmale beschrieben: sie leisten einen Beitrag zum Lebensunterhalt, strukturieren sich durch Selbstverwaltung und Kooperation sowie durch solidarische Beziehungen zur Gesellschaft. Durch die Selbstverwaltung werden die Produktionsmittel im kollektiven Eigentum verwaltet, Kooperation verweist auf egalitäre Strukturen der Entscheidungsfindung, und solidarische Beziehungen zur Gesellschaft können sich durch Mitwirken in übergeordneten Verbänden oder Bewegungen auszeichnen. Wollen die bestehenden Projekte ein Hebel sein, um die Welt zu verändern, werden sie sich auch an gesellschaftlichen Auseinandersetzungen beteiligen müssen.
Vom 1. bis 3. November findet in der Tabakfabrik Linz die Tagung »Gutes Essen für alle – aber wie?« statt. Schwerpunkt der Tagung liegt auf regionalen Lebensmittelnetzwerken, wie sie in diesem Artikel beschrieben wurden. Eingeladen sind Vertreter*innen von »La Louve«, »Ums Egg«, »IG Food Coops«. Alle Infos unter: http://www.ernährungssouveränität.at/Veranstaltung/programm-linz/