Zur Gefährlichkeit der Ideologie der ›Identitären‹
JUDITH GOETZ und ALEXANDER WINKLER*
Wenngleich die ›Identitären‹ seit ihrer Gründung darum bemüht waren, sich selbst als »gewaltfreie Aktivist_innen« zu inszenieren, zeichnete die aktivistische Praxis oftmals ein gänzlich anderes Bild. Die Gewaltdisposition spiegelt sich sowohl in ihrer (Bild-)Sprache wider, als auch in ihrer Ideologie, die Gewalt als scheinbar letzte Lösungsmöglichkeit der »letzten Generation, die den Großen Austausch noch aufhalten« könnte, präsentiert.
Bis vor wenigen Wochen hatten die ›Identitären‹ stark an politischer Relevanz verloren und kaum noch Aufmerksamkeit bekommen. In Zeiten rechtsextremer Regierungsbeteiligung scheint auch der Bedarf nach außerparlamentarischen rechtsextremen Gruppen zu sinken. Im Nachgang des rechtsextrem motivierten terroristischen Attentates in Christchurch rückte die Gruppe – wegen der ideologischen Nähe zum Manifest des Attentäters und einer Spende des Attentäters an den Chef der österreichischen Gruppe – wieder ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Obwohl die ›Identitären‹ aktuell mit terroristischer Gewalt in Verbindung gebracht werden, drehen sich Debatten mehr um personelle und räumliche Überschneidungen mit der FPÖ, als um die gewaltvolle Ideologie, die sie vertreten. So gelingt es ihr erneut, die unkritische mediale Aufmerksamkeit für sich zu nutzen, um sich harmloser darzustellen und ihre politische menschenverachtende Propaganda weiter zu verbreiten.
Identitäre Kriegsschauplätze
Bereits das erste Youtube Video des französischen Vorbilds der ›Identitären‹, der Génération Identitaire, das auch im deutschsprachigen Raum weite Verbreitung fand, trug den Titel »Kriegserklärung«. Mit dem Verweis auf »Unser Land, unser Blut, unsere Identität«, die gegen eine »erzwungene Rassenmischung« zum Einsatz gebracht werden sollen, wird darin nicht nur unverhohlen Rassismus zum Ausdruck gebracht, sondern tatsächlich auch der Krieg erklärt: »Glaubt nicht, dies ist nur ein Manifest«, lautet die Botschaft im Video, »es ist eine Kriegserklärung!«
Auch das Erkennungssymbol der ›Identitären‹, der griechische Buchstabe Lambda, bezieht sich auf einen Kriegsschauplatz. Im Film 300 zierte es die Schilder der Spartaner, die trotz einer Überzahl an angreifenden »fremden Horden« nicht zurückweichen und sich für ihr »Volk« auch bis zum Tod aufopfern. Diese Darstellung passt zum Selbstbild der ›Identitären‹, die sich als heldenhafter Ritter inszenieren, welche die Festung Europa gegenüber dem »Fremdenansturm« verteidigen. Seit 2017 wird von den ›Identitären‹ anlässlich der Schlacht am Kahlenberg im Jahr 1683 zum »Gedenkzug zur Erinnerung an die Befreiung Wiens und die Verteidigung Europas« mobilisiert. Hier sollte ein Mythos geschaffen werden, der eine scheinbar ungebrochene Linie zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft entstehen lassen soll und die Teilnehmenden auf den bevorstehenden Kampf einschwört. Als Teil eines schicksalhaften, überzeitlichen Kollektivs, gelte es auch heute die neue Bedrohung durch »Fremde« abzuwehren. Diese politischen Mythen, die hier im Rückgriff auf das Vergangene konstruiert werden, sind diskursive Gebilde, die eine Erzählung und Identität vermitteln sollen und emotionale Affekte mobilisieren. Nicht ohne Grund ist der Mythos, das Irrationale, das Gegenteil von Aufklärung und hatte im Faschismus eine wichtige mobilisierende Funktion, die im Endeffekt auf eine »Apologie der Gewalt« (Georges Sorel) hinausläuft. Es geht um das Einschwören auf eine Gruppenidentität, deren prägende Merkmale Opferbereitschaft, Männlichkeit und Kampf sind.
Eine neue Sprache?
In einem weiteren Video der ›Identitären‹ mit dem Titel »Zukunft für Europa – Identitäre Bewegung« heißt es »Unser Ziel ist keine Beteiligung am Diskurs, sondern sein Ende als Konsensform, wir wollen nicht mitreden, sondern eine andere Sprache.« Deutlich wird die Forderung nach einer »neuen Sprache« vor allem in der relativ erfolgreichen Strategie der ›Identitären‹, eigene, von ihnen mit bestimmten Bedeutungsinhalten aufgeladene Begrifflichkeiten in bestehenden politischen wie auch gesellschaftlichen Diskursen zu verankern und somit diese auch in ihrem Interesse zu verändern. Mitgemacht bei der Etablierung bestimmter Begrifflichkeiten im öffentlichen Diskurs haben, wie sich beispielsweise anhand der Verwendung der Formulierung »der große Austausch« zeigt, jedoch leider auch bzw. vor allem die Medien.
Als die ›Identitären‹ in Wien im Juni 2015 einen »Aufmarsch« organisierten, der als ein Höhepunkt ihrer explizit rassistischen und tendenziell antisemitischen Kampagne »gegen den großen Austausch« fungieren sollte, übernahmen beinahe alle österreichischen Tageszeitungen unkritisch den Begriff und verhalfen ihm somit zu steigendem Bekanntheitsgrad im öffentlichen Diskurs. Die unkommentierte Reproduktion führte nicht nur zu einem Legitimationsvorschub, indem das Ziel, »den großen Austausch stoppen zu wollen«, als scheinbar berechtigtes politisches Anliegen präsentiert wurde, sondern stand auch in unmittelbarem Einklang mit der Kampagnen-Strategie der Gruppe, die der aktuell in allen Medien zitierte Führungskader 2015 folgendermaßen beschrieb: »Der erste Schritt ist, den Großen Austausch im ganzen patriotischen Lager bekanntzumachen und in den allgemeinen Sprachgebrauch übergehen zu lassen. Mehr und mehr wird er dann auch in die mediale Debatte eindringen. Wir haben mit unseren Aktionen im letzten Monat bereits einige Medienmeldungen provoziert, in denen unser Begriff übernommen wurde.«
Von der Umvolkung zum Austausch
Der Rückgriff auf die Begrifflichkeit des französischen Philosophen Renaud Camus »der große Austausch« (»Le grand remplacement«), die von den ›Identitären‹ durch stetige Verweise sowie einige medienwirksame Aktionen popularisiert wurde, ermöglichte der Gruppe über eine modernisierte Sprache ihr Anliegen in der Öffentlichkeit zu platzieren und wirksamen Einfluss auf damit verbundene Diskurse zu nehmen. Die eindeutig rechtsextremen Wörter »Umvolkung«, »Volkstod« und »Überfremdung« werden an dieser Stelle durch den mindestens ebenso bedrohlichen, jedoch historisch weniger vorbelasteten Begriff »großer Austausch« ersetzt. Er beschreibe, so der erwähnte identitäre Führungskader, »in kommunizierbarer und doch eindringlicher Weise das, was hinter Islamisierung, Überfremdung, Ausländergewalt etc. eigentlich« stünde und sei als »Feindbegriff« »dazu prädestiniert, das Lager zu einen«. Seine Attraktivität reichte dabei weit über das einschlägige Spektrum hinaus. So ergibt sich die Gefährlichkeit der ›Identitären‹ bis heute nicht zuletzt dadurch, dass sie Spektren erreichen, die anderen Rechtsextremen bislang verschlossen geblieben sind. Dass die Formulierung inzwischen auch losgelöst von der Berichterstattung über die ›Identitären‹ von diversen Medien übernommen wurde, lässt den Grad der Normalisierung und der fortschleichenden erfolgreichen Einflussnahme auf den Diskurs und das Denken sowie der Wirksamkeit identitärer Strategien ablesen.
Dass nun der Christchurch Attentäter ausgerechnet oder vielmehr gerade sein Manifest mit derselben Phrase »The Great Replacement« betitelte, kam auch nicht von ungefähr, gibt es doch auch über den Titel hinaus weitreichende ideologische Überschneidungen zwischen dem Attentäter und der Gruppierung. Wie die ›Identitären‹ beruft er sich auf das rassistische Konzept des Ethnopluralismus, das vorsieht, »ethnisches Überleben« mittels einer globalen Apartheid abzusichern, in der alle »Völker« klar voneinander abgetrennt leben sollen. Gemeinsamkeit gibt es auch in den ausgemachten Ursachen der imaginierten Untergangsbedrohung: niedrige Geburtsraten der autochthonen Bevölkerung sowie die mangelnde Wehrhaftigkeit von Männern. Auch die ›Identitären‹ appellieren an eine virile, soldatische Männlichkeit, die durch Kampfsporttrainings u. ä. auch eingeübt wird. Gewalt wird diesem Gedankengang folgend als angeblich letzte Lösungsmöglichkeit des Problems »der aufgezwungenen Vermischung«, als scheinbar legitime »Notwehr« präsentiert.
Krieg der Worte ermutigt auch zu Taten
Letztendlich ist das gesamte identitäre Projekt auf den Erhalt und Ausbau von bestehenden Macht- und Herrschaftsverhältnissen ausgelegt und kann dadurch auch nicht ohne Gewalt auskommen, da die Unterdrückung, Ausgrenzung und Diskriminierung vermeintlich »Anderer« in dieses Vorhaben immanent eingeschrieben ist. So bleibt die Ideologie der ›Identitären‹ menschenverachtend und brandgefährlich, geht es ihnen ja um die Schaffung einer »ethnisch relativ homogenen Gemeinschaft«, die unter den Voraussetzungen einer durch Migration geprägten Gesellschaft nur mit massiver Gewalt durchzusetzen wäre. Hinzukommt, wer die Erhaltung seiner »ethnischen Identität«, was im völkischen Denken immer auch Reinhaltung impliziert, als etwas Lebensnotwendiges begreift, der trägt die Bereitschaft zum Totschlag bereits mit sich, da vermeintlich Fremde in diesem Denken immer schon als existenzielle Bedrohung gelten. Die Forderung nach »Identität« ist somit auch immer eine zur Auslöschung des Anderen, des Nicht-Identischen. In diesem Sinne lässt sich auch die von den ›Identitären‹ 2017 aufgestellte Behauptung, »Unsere Waffen sind ausschließlich gute Argumente und deren Verbreitung« als falsch demaskieren, da sich hinter der radikalisierten Sprache auch der implizite Aufruf zur Tat verbirgt.
Nicht ohne Grund sprechen Rechtsextremismus-Experten wie Andreas Peham bei den ›Identitären‹ von der »Generation Breivik«. Die Bereitschaft zuzuschlagen wird trainiert, denn der Ernstfall, der »Untergang Europas«, steht unmittelbar bevor. Und man lauert nur mehr bis man »vom Lagerplatz aus« in die »belagerten Regionen, in ihre besetzten Städte heimkehren und die Posten einnehmen« wird, wie Sellner 2015 in der Sezession paranoid-programmatisch vorgab. Und weiter: »Sie [die Identitären] wollen sie nicht nur halten – sie wollen gewinnen. Sie wollen die Reconquista.« Von dieser beschworenen »Kampfbereitschaft« ist es nicht mehr weit bis zu politischen Morden und Attentaten, wie zuletzt in Christchurch – zumal sich offen auf die »Reconquista« bezogen wird, jener blutrünstigen Säuberungswelle, die sich neben Muslimen auch gegen Jüdinnen und Juden richtete.
*Judith Goetz und Alexander Winkler haben gemeinsam mit Joseph Maria Sedlacek den Sammelband »Untergangster des Abendlandes. Ideologie und Rezeption der rechtsextremen ›Identitären‹« (https://www.facebook.com/untergangster/) herausgegeben.