Von ANNIKA RAUCHBERGER und FERDINAND KOLLER (BettellobbyWien)
Der öffentliche Raum ist nicht nur ein Ort, an dem soziale Auseinandersetzungen und Begegnungen stattfinden. An seiner Verfasstheit zeigt sich, inwieweit eine Gesellschaft fähig ist, Verschiedenartigkeit zuzulassen und anzuerkennen. In Wien ist der öffentliche Raum vermehrt strengen Reglementierungen unterworfen, die einen voraussetzungslosen Zugang für alle verhindern. Anhand des Umgangs mit bettelnden Menschen zeigt sich besonders deutlich, wie sich der Umgang mit armutsbetroffenen Menschen in der Stadt verändert hat.
Der Hotspot
Die jüngsten Verdrängungsprozesse lassen sich am Praterstern beobachten. Dort gilt seit dem 27.4. 2018 ein Alkoholkonsumverbot. Der gewünschte Effekt, dass zumeist Obdachlose, alkoholkranke Menschen verschwinden werden, stellte sich nur bedingt ein. Die vom Verbot Betroffenen wichen an die Ränder der Verbotszone aus. So auch auf die Kaiserwiese, eine beliebte Grünfläche der WienerInnen, die sie gern zur Erholung nutzen, wenn sie nicht gerade für drängt werden. Es besagt auch, dass der Zugang zum öffentlichen Raum ein wichtiges Element der Inklusion von marginalisierten Menschen ist. Dieses Statement ist wohl kaum das Papier wert, auf dem es geschrieben ist, wenn sich auf der Kaiserwiese die BesucherInnen der »Wiener Wiesn« volllaufen lassen dürfen, während armutsbetroffene Personen bei Alkoholisierung mit einer Wegweisung und der Abnahme alkoholischer Getränke rechnen Events besetzt ist. Die Kaiserwiese ist jedoch nicht mehr wirklich »öffentlicher Raum«. Sie untersteht der Verwaltung der Prater Wien GmbH, diese hat dort am 29.5.2018 eine Hausordnung erlassen. Betteln, Hausieren, Herumlungern, Ballspiele und übermäßiger Konsum von Alkohol sind verboten. Hauseigene Securities sind befugt, Platzverbote zu erteilen, obwohl die Wiese als Erholungsgebiet bzw. Parkanlage gewidmet ist und damit der gesamten Bevölkerung zur Verfügung stehen müsste. Im Mission statement soziale Arbeit im öffentlichen Raum bekennt sich die Stadt Wien dazu eine tolerante Stadt zu sein. Niemand dürfe diskriminiert oder vermüssen.
Die Vertreibung von bettelnden Menschen aus dem öffentlichen Raum wird abseits dieses aktuellen Hotspots jedoch in vielen Teilen Wiens mit großem Eifer betrieben. Die BettelLobby Wien, eine Initiative, die das Grundrecht auf Betteln verteidigt, beobachtet dies seit Jahren.
Kriminalisierung von Armut
Anhand des Umgangs mit bettelnden Menschen lässt sich gut erkennen, wie sich der Umgang mit armutsbetroffenen Menschen in der Stadt verändert hat. Während in der Vergangenheit Betteln Gegenstand staatlicher Fürsorge war, fällt Betteln heute wieder in den Bereich der Sicherheitspolizei. Grundsätzlich ist Betteln in Wien erlaubt, verboten ist es laut dem Wiener Landessicherheitsgesetz (WLSG) nur »in aufdringlicher oder aggressiver oder gewerbsmäßiger Weise oder als Beteiligter an einer organisierten Gruppe um Geld oder geldwerte Sachen« zu betteln (WLSG §2, 1-3). Verboten ist es außerdem, Kinder zum Betteln mitzunehmen bzw. diese zum Betteln anzuleiten. In Wien wird Betteln aber nicht nur nach dem Wiener Landessicherheitsgesetz geahndet, sondern ebenfalls nach dem Sicherheitspolizeigesetz (SPG §81: Störung der öffentlichen Ordnung), dem Wiener Veranstaltungsgesetz (WVG §30 Bettelmusizieren) und der Straßenverkehrsordnung (§78c StVO: unbegründetes Stehenbleiben auf Gehsteigen). Darüber hinaus sind BettlerInnen mit Hausordnungen in privaten und halböffentlichen Räumen, wie etwa mit der der Wiener Linien, konfrontiert.
Da im Wiener Landessicherheitsgesetz die Begriffe nicht genau definiert sind, besteht eine erhöhte Willkürgefahr. Beamt Innen entscheiden ganz subjektiv, was sie etwa als aggressiv werten, wie das Beispiel einer Strafverfügung, ausgestellt auf der Mariahilferstraße, zeigt. Dort werden die Worte »Bitte, bitte, 1 Euro für armen Mann« als aggressiv und das »Hin- und Herpendeln« als eine Behinderung des Fußgängerverkehrs gewertet. Der Betroffene sollte 440 Euro Strafe bezahlen oder eine sechstägige Ersatzfreiheitsstrafe antreten. Mit Unterstützung der BettelLobby konnte der Betroffene die Strafe erfolgreich bekämpfen. Insgesamt hat die BettelLobby bereits gegen mehr als 200 Strafen Rechtsmittel eingebracht, in vielen Fällen werden die Strafen aufgehoben. Wenn sie nicht aufgehoben werden, werden die Strafen häufig reduziert. Nur in wenigen Fällen bleiben die Rechtsmittel gänzlich erfolglos.
Was bedeutet »gewerbsmäßig?«
Während es beim Tatbestand des aufdringlichen und aggressiven Bettelns noch um das im öffentlichen Raum tatsächlich gesetzte Verhalten geht, wird beim »gewerbsmäßigen« Betteln mit einer Strafe belegt, wer aus den falschen Motiven bettelt. Schon bei der Einführung dieses Tatbestands 2009 war es unklar, was er denn bedeute. Die Rechtsprechung des VfGH und die durch die BettelLobby Wien angestrengten Verfahren haben - gegenüber der Sichtweise jener, die den Paragraphen als ein de facto allgemeines Bettelverbot interpretierten - zu einer Klärung und Einschränkung beigetragen. Betteln zur Überbrückung einer individuellen Notlage muss erlaubt sein. Gewerbsmäßiges Betteln liegt noch nicht vor, wenn jemand mehrfach beim Betteln betreten wird, sondern erst dann wenn eine Erwerbsentscheidung nachgewiesen werden kann. Sprich, wenn der Bettler/die Bettlerin seinen Unterhalt »überwiegend« oder »ausschließlich« aus der Bettelei bestreitet und nicht nachweisen kann, dass er/sie sich aktiv um andere Formen des Erwerbes bemüht. Es geht also nicht darum, was der Bettler/die Bettlerin in einer konkreten Situation im öffentlichen Raum macht, sondern mit welcher Intention er/sie nach Wien gekommen ist und ob es außer des Bettelns zumindest das glaubhafte Bemühen gibt, Arbeit zu suchen.
Der Willkür durch die Polizei gebietet diese Klärung nur bedingt Einhalt: Denn BeamtInnen stellen auf der Straße ohne Dolmetscher/in fest, dass es sich beim von ihnen beobachteten Betteln um gewerbsmäßiges Betteln handelt. Die Intention oder die Bemühungen um andere Arbeit lassen sich aber nun einmal nicht beobachten. Dass Bettelnde »zum ausschließlichen Zwecke der Bettelei« in Wien seien und keiner anderen Form des Erwerbs nachgehen würden sowie nicht auf Arbeitssuche seien, wird deshalb ohne Nachweis unterstellt. Auf Grundlage dieser Unterstellungen wird dann bestraft. Bettelnde werden in manchen Fällen während der Amtshandlung dazu gedrängt, ein Formular zu unterschreiben, das sie nicht verstehen. Die BeamtInnen kreuzen dann vorgefertigte Aussagen an, die die Gewerbsmäßigkeit des Bettelns unterstreichen. Die Bettelnden haben dann zugegeben, dass sie gewerbsmäßig gebettelt haben. Bekämpfen sie in der Folge die Strafe, wird ihnen das mitunter zum Verhängnis. Und da viele im informellen Sektor nach Arbeit suchen oder arbeiten, ist es auch schwierig, dies vor Gericht nachzuweisen.
Vertreibung statt Vermittlung
Abgesehen von den vielen rechtlichen Problemen, die diese Regelung und ihre praktische Umsetzung mit sich bringt, ist sie auch aus ordnungspolitischer Sicht widersinnig. Die Bestrafungen wegen gewerbsmäßigen Bettelns konterkarieren die Intention, bestimmte, für PassantInnen störende Formen der Bettelei zu unterbinden, vor allem aufdringliches Betteln. Wenn bettelnde Menschen aber unabhängig von ihrem Verhalten bestraft werden, macht es für sie auch keinen Unterschied, ob sie still am Boden sitzen oder eine für die PassantInnen lästigere Form der Bettelei ausüben. Egal wie sie sich verhalten, sie bekommen eine Strafe.
Diese Vertreibungspolitik wird seit vielen Jahren mit großem Einsatz betrieben. So geben etwa PolizistInnen aus dem 1. Bezirk vor dem Verwaltungsgericht zu Protokoll, dass sie jeden Tag zu viert unterwegs sind, auf »Bettlerstreife«. Auch in anderen Bezirken gibt es BeamtInnen, die nicht viel anderes machen, als BettlerInnen nachzustellen. Diese Vorgehensweise ist teuer und sinnlos. Die Bettelnden verstehen meist nicht, warum sie bestraft werden. Entweder sie bezahlen die hohen Strafen (bis zu 700 Euro) oder sie treten die Ersatzfreiheitsstrafen an, was ihre soziale Situation weiter verschlechtert und zusätzlich Kosten verursacht.
Es ist klar, dass die Anwesenheit bettelnder Menschen im öffentlichen Raum zu Konflikten führen kann. Diese Konflikte könnten in der Regel jedoch durch Vermittlung und Kommunikation gelöst werden, die Polizei und die Strafen sollten - wenn überhaupt - das allerletzte Mittel sein. Es wäre dringend an der Zeit im Umgang mit dem Phänomen Betteln neue Wege zu gehen, etwa durch streetwork mit einem gezielten Auftrag und den relevanten Sprachkenntnissen. Der Einsatz der Polizei und die damit verbunden Strafen haben lediglich zur Verletzung der Rechte bettelnder Menschen und zu einer Verunsicherung der PassantInnen beigetragen.
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