Bahn- und Busfahren ohne ein Ticket zu kaufen; ganz legal und ohne Angst vor plötzlichen Fahrscheinkontrollen. Das könnte in Luxemburg bald Realität sein. Das kleine Land zeigt, dass gratis Öffis mit politischem Willen durchaus machbar und finanzierbar sind. Der luxemburgische Journalist JOËL ADAMI beleuchtet die Hintergründe dieser aufsehenerregenden Ankündigung.
„Deswegen wird der öffentliche Nahverkehr in Luxemburg kostenlos: Weil niemand mehr bereit ist, für so etwas zu zahlen«, ist in einem sozialen Netzwerk zu lesen. Es handelt sich um die Bildunterschrift für zwei Fotos von Anzeigetafeln der luxemburgischen Verkehrsbetriebe, die jeweils eine halbe Stunde Verspätung ankündigen. Das ist einer von vielen Scherzen, die die Diskussion über den kostenlosen öffentlichen Transport dominieren. So richtig populär ist die Idee anscheinend nicht, weil die Qualität von Bus, Tram und vor allem Bahn zu wünschen übrig lässt. In der internationalen Presse, wo man nichts über die Verspätungen oder Ausfälle zwischen Esch im Süden und Ulflingen im Norden weiß, wird der luxemburgische Vorstoß jubelnd aufgenommen. In seiner Regierungserklärung ging Premierminister Xavier Bettel darauf ein: »Das war eine unserer Überlegungen, als wir diese Maßnahme beschlossen haben. Es ist nämlich neben dem ökologischen und dem sozialen Aspekt, den ich herausstreichen will, eine Maßnahme, die uns als Land attraktiver macht.«
So wirkte es auch wenig überraschend, dass der grüne Verkehrsminister François Bausch für die Präsentation des Datums, ab dem die Gratisfahrt gilt, die internationale Presse eingeladen hatte. Viel neue Informationen hatte er zwar nicht, konnte dafür aber seine Botschaft wiederholen: Kostenlose Öffis seien eine »soziale Maßnahme«, keine verkehrspolitische. Außerdem wiederholte er noch einmal, dass das Großherzogtum, das ungefähr der Größe Vorarlbergs entspricht und 600.000 Einwohner* innen hat (zu denen sich täglich 100.000 Pendler*innen gesellen), milliardenschwere Investitionen in die Transportinfrastruktur unternimmt.
Billiger parken, wenn man gratis mit dem Zug fährt
Gemeinden und Arbeitgeber*innen soll künftig auch finanziell unter die Arme gegriffen werden, um Maßnahmen im Sinne des Mobilitätskonzepts »Modu 2.0« umzusetzen. In diesem wurden vier Gruppen von Akteur*innen identifiziert, die die Umsetzung vorantreiben müssen: Staat, Gemeinden, Arbeitgeber*innen und Bürger*innen.
»Langfristig« soll die Kapazität der Park and Ride-Anlagen verdoppelt werden, wozu eine nationale P&R-Strategie ausgearbeitet werden soll. Neben der tatsächlichen Planung und Errichtung von Parkhäusern soll ein einheitliches Preismodell entwickelt werden, das Nutzer*innen des öffentlichen Transports privilegiert. Wie das funktionieren soll, wenn es keine Tickets mehr gibt, die beweisen könnten, dass man den restlichen Weg zur Arbeit mit dem Zug zurückgelegt hat, darüber schweigt das Koalitionsabkommen. Wie viel Verkehr solche P&R-Anlagen anziehen und wie viel sie verhindern, ist auch in der Mobilitätsforschung nicht eindeutig geklärt. Zumindest wenn P&R-Anlagen komplett kostenlos sind, werden sie auch immer wieder von Menschen benutzt, die eigentlich gar nicht auf die öffentlichen Verkehrsmittel umsteigen, sondern lediglich ihr Auto praktisch abstellen wollen.
Da wirkt es auch stimmig, dass dann doch nicht wenige Umgehungsstraßen in den Anhängen zum Koalitionsabkommen stehen. Immerhin sollen parallel dazu in den Städten verkehrsberuhigende Maßnahmen durchgeführt werden. Die Resultate hiervon werden jedoch stark von den Details abhängen. Das Fahrrad soll als Verkehrsmittel promotet werden – eine Aufgabe, die jedoch nur dann gelingen kann, wenn die nötige Infrastruktur dazu vorhanden ist. In den letzten fünf Jahren wurde viel Vorarbeit geleistet, nun soll diese endlich umgesetzt werden.
Neu und nicht im bisherigen Mobilitätskonzept enthalten ist ein »Mobilitätsobservatorium«, das geschaffen werden soll. Das soll vor allem Daten zur Verkehrsnutzung und zu den Mobilitätsbedürfnissen der Bevölkerung sammeln und sie den »betreffenden Akteuren« zur Verfügung stellen. Damit keimt neue Hoffnung auf, dass die Mobilitätszentrale, der Bahnbetreiber CFL und die Busse der Stadt Luxemburg irgendwann einmal die gleiche Datenbasis für Fahrpläne benutzen und Verspätungen untereinander kommunizieren werden.
Ausbauen, dann kostenlos machen
Wenn die Infrastrukturarbeiten gut vorankommen, gibt es vielleicht weniger Grund zu meckern, wenn am 1. März 2020 der öffentliche Transport für alle in Luxemburg kostenlos wird. Für verschiedene Gruppen ist dies bereits jetzt der Fall: Schüler*innen bis zum Alter von 20 Jahren brauchen lediglich einen Ausweis, um kostenlos fahren zu können, Studierende unter 30 können ebenfalls eine Freifahrtkarte beantragen. Auch Geringverdiener*innen und ihre Familienmitglieder können kostenlos unterwegs sein. Dies gilt auch für Geflüchtete oder Schwerbehinderte. In Luxemburg-Stadt ist der öffentliche Transport an Samstagen und geschäftsoffenen Sonntagen ohnehin kostenlos. Auch die Beförderung von Fahrrädern, Kinderwägen oder Tieren ist umsonst – was im europäischen Vergleich keine Selbstverständlichkeit ist.
Die meisten Reisenden, die mit öffentlichen Verkehrsmitteln in Luxemburg unterwegs sind, zahlen dafür. Obwohl die Zahl der Passagiere in den letzten Jahren konstant gestiegen ist – ein Grund dafür, dass vor allem die Bahn so überlastet ist –, sind die Einnahmen aus Ticketverkäufen von 2016 auf 2017 um ein Prozent gesunken. Es wurden weniger Kurzzeitfahrscheine verkauft, dafür aber mehr Monats- und Jahreskarten. Auch auf die Angebote für Pendler* innen aus Deutschland, Frankreich und Belgien ist 2017 häufiger zurückgegriffen worden als im Vorjahr. 41 Millionen im Jahr soll der kostenlose öffentliche Verkehr laut Ministerium kosten, die Ticketeinnahmen lagen den offiziellen Zahlen nach allerdings etwas höher.
Die neue Regierung hat durchblicken lassen, dass die steuerlichen Vergünstigungen für Fahrtkosten, oft auch als »Kilo meterpauschale« bezeichnet, zur Finanzierung des kostenlosen öffentlichen Transports herangezogen werden sollen. Zumindest soll es zu einer Reform kommen – die Verlierer*innen könnten also jene sein, die auf ihren PKW angewiesen sind, aber durch das Raster fallen, mit dem Härtefälle wie Nachtarbeiter*innen aufgefangen werden sollen. 114 Millionen lässt sich Luxemburg aktuell durch diese Steuererleichterungen durch die Lappen gehen – demnach gibt es Spielraum bei der Finanzierung der gratis Öffis, auch ohne die von den Gewerkschaften befürchteten Einsparungen beim Personal.