ABCDARIUM: Vor dem Gesetz gleich – tatsächlich aber ungleich

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Der erste Absatz von Artikel 7 des österreichischen Bundesverfassungsgesetzes (B-VG) aus 1929, das heute noch gilt, beginnt mit: »Alle Staatsbürger sind vor dem Gesetz gleich.« Mangels Einigung der politischen Parteien hatten diese damals auf das Staats­grundgesetz der Monarchie von 1867 zurückgegriffen, das wiederum auf der »Oktroyierten Märzverfassung« von 1849 beruht, die von Kaiser Franz Joseph I. ohne Mitwirkung des Parlaments erlassen wurde. Pikantes Detail: Der Kaiser hatte diese Ver­fassung aus Olmütz verkündet, wohin sich der Hof aus Angst vor revolutionären Umtrieben geflüchtet hatte. Die Gleichheit vor dem Gesetz ist aber nur ein Teil des menschlichen Lebens. Politische Rechte für alle ließ noch länger auf sich warten. Wäh­rend das Frauenwahlrecht 1918 eingeführt wurde – elf Jahre nach dem Wahlrecht für Männer, erlaubte die katholische Fakultät der Universität Wien erst 1945 das Frauen­studium.

VON PETER FLEISSNER

Die Gleichbehandlung in der Arbeitswelt wurde 1979 durch das Gleichbehand­lungsgesetz (GlBG) für die Privatwirtschaft und analoge Gesetze für Bundes-, Länder- und Gemeindebedienstete geltendes Recht. Damit ist die Gleichbehandlung von Frauen und Männern in einem Arbeitsverhältnis einklagbar geworden. Soweit so gut.

Lebenslange Diskriminierung von Frauen

Leider enthalten Gleichbehandlungsgesetze keine Vorschriften für die Einkommens­höhe einer Person oder eines Haushalts. Wie die Einkommen und Pensionen tat­sächlich verteilt sind, bleibt dem persönli­chen Schicksal der Einzelnen überlassen. Und hier gibt es große Unterschiede. Statis­tik Austria berichtet über das Jahr 2017: »Betrachtet man die Bestverdienenden (oberstes Dezil) 1, so lagen die männlichen Angestellten mit 95.532 Euro vor den männlichen Beamten mit 93.928 Euro, deut­lich darunter blieben die bestverdienenden Beamtinnen mit 81.294 Euro.« 2 Dagegen liegen weibliche Vertragsbedienstete mit einem mittleren Einkommen von 30.798 Euro brutto im Jahr deutlich niedriger, männliche Arbeiter kommen auf 26.239 Euro, weibliche Angestellte auf 23.675 Euro. Das Schlusslicht bilden die Arbeiterinnen mit 11.570 Euro.

In traditioneller Manier sind immer die Männer der Vergleichsmaßstab für die Frauen: »Die rund 4,4 Mio. unselbständig Erwerbstätigen (ohne Lehrlinge) erzielten 2017 ein mittleres Bruttojahreseinkommen von 27.545 Euro. Die Einkommen der Frauen erreichten mit 21.178 Euro im Mit­tel nur 62,7 % des Einkommens der Männer (33.776 Euro), wobei Frauen viel häufiger teilzeitbeschäftigt sind. Die mittleren Net­tojahreseinkommen beliefen sich auf 20.821 Euro (Frauen: 16.931 Euro, Männer: 24.564 Euro).«3 Frauen verdienten also im Mittel ein Drittel weniger als Männer. Nimmt man als Bezugspunkt aber die Einkommen der Frauen, wird die Aussage noch deutlicher: Männer verdienen um fast 60 Prozent mehr als Frauen. Obwohl PolitikerInnen immer wieder diese Ungleichheit an den Pranger stellen, hat sich in den letzten Jahrzehnten daran kaum etwas geändert.

Warum ist das so, obwohl die Gesetze ein­deutig sind? Der Hauptgrund liegt heute weniger darin, dass Frauen für gleiche Arbeit weniger Stundenlohn bekommen als Männer, sondern an den unterschiedlichen Bedingungen, in denen Frauen leben. Sie arbeiten häufiger als Teilzeitbeschäftigte, nicht das ganze Jahr über und erleben durch die Kinderkarenzzeiten öfter Arbeitsunter­brechungen als Männer. Außerdem gibt es Unterschiede in der Qualifikations- und Altersstruktur. Dennoch bleibt ein unerklär­ter Rest zugunsten der Männer.

Die Unterschiede bei den Einkommen set­zen sich bei den Pensionen fort: 2017 bezo­gen Frauen (incl. Beamtinnen) eine mittlere Brutto-Pension von 16.018 Euro, Männer erhielten 26.669 Euro. Damit lag die Pension der Männer im Mittel um zwei Drittel (66,5 Prozent) höher als bei Frauen.

Höhe der Vermögen – gut gehütetes Geheimnis

Während die Ungleichheit der Einkommen ziemlich gut belegt ist, gibt es in Österreich über die Höhe und die Ungleichheit der Ver­mögen erst seit dem Jahr 2010 einigerma­ßen valide Daten. Bis dahin war das persön­liche Vermögen ein gut gehütetes Geheim­nis. Erst seit 2010 müssen in allen Ländern der EU Statistiken über Vermögenswerte erhoben werden. Dabei handelt es sich um Geld-, Immobilienvermögen und die Beteili­gung an Betrieben. In Österreich führt die Nationalbank die Auswertungen durch und publiziert die Ergebnisse. Ein Wermutstrop­fen: Leider gibt es gerade über die reichsten Haushalte immer noch keine stichhaltigen Informationen, da die Daten auf freiwilligen Auskünften beruhen und sich die reichste Gruppe besonders zurückhaltend zeigt. Durch raffinierte statistische Tricks wird allerdings sichergestellt, dass falsche Anga­ben weitgehend vermieden werden.

Wie sehen die Ergebnisse aus? Alle drei Befragungen aus 2010, 2014 und 20174 stim­men überein: Das reichste Prozent der Haushalte verfügt über beinahe ein Viertel aller Vermögenswerte, während die ärmere Hälfte (!) der Bevölkerung insgesamt nur auf rund 4 Prozent (ein Fünfundzwanzigs­tel) kommt.

Die Klassen kehren wieder

Für MarxistInnen interessant ist, dass die Bevölkerung in der Studie in Klassen einge­teilt wird, allerdings etwas anders als bei Marx. Er hat Klassen danach charakteri­siert, wie sie an der Erzeugung und Vertei­lung des Reichtums einer Gesellschaft teil­nehmen. Am Ende seines Hauptwerks »Das Kapital« heißt es: »Die Eigentümer von blo­ßer Arbeitskraft, die Eigentümer von Kapi­tal und die Grundeigentümer, deren res­pektive Einkommensquellen Arbeitslohn, Profit und Grundrente sind, also Lohnarbei­ter, Kapitalisten und Grundeigentümer, bilden die drei großen Klassen der modernen, auf der kapitalistischen Produktionsweise beruhenden Gesellschaft.«5 Die EU-Erhe­bung geht dagegen empirisch vor und sieht sich die Höhe und Art des Vermögens der Haushalte an. Nach der Höhe und Art des Vermögens unterscheidet sie ebenfalls drei Klassen, die jedoch anders definiert wer­den: Die Klasse der »MieterInnen« (renters) hat nur geringes Geldvermögen und wohnt zur Miete. Die Klasse der »BesitzerInnen« (owners) hingegen bewohnt eine eigene Immobilie, also eine Eigentumswohnung oder ein Haus. Die dritte Klasse heißt wie bei Marx »KapitalistInnen« (capitalists). Sie wohnen im Eigentum, vermieten aber zusätzlich ihre Immobilien und/oder erzeugen Einkommen aus Anteilen an einem Betrieb.

Im internationalen Vergleich fällt auf, dass der Anteil an MieterInnen in Deutschland und Österreich mit mehr als 50 Prozent besonders hoch ist.6 In den Niederlanden beträgt er ca. 40 Pro­zent, in Spanien, Ungarn und der Slowa­kei nur 15 bis 20 Prozent. In diesen Län­dern wird weniger gemietet, sondern (oft auch kreditfinanziert) gekauft.

Die Studie zeigt deutlich, dass vor allem die »MieterInnen«, die etwas mehr als die Hälfte aller Haushalte ausmachen, über kein oder nur ein sehr geringes Vermögen verfügen, während die »BesitzerInnen«, ca. 40 Prozent der Haushalte, überwiegend aus der reicheren Hälfte der Haushalte kom­men. Die reichste Klasse, die KapitalistIn­nen, besteht aus weniger als 10 Prozent aller Haushalte. Die Autoren der National­bankstudie weisen immer wieder darauf hin, dass für die reichsten Haushalte zu wenige Daten vorliegen und dass die ange­führten Werte den tatsächlichen Reichtum der Vermögendsten unterschätzen würden.

Frauen auch beim Vermögen benachteiligt

Es dauerte bis zum Jahr 2017, bis in Öster­reich die Vermögen von Frauen und Män­nern untersucht wurden. Wohl wurden Analysen der Lohn- bzw. Einkommensun­terschiede publiziert, die Vermögensunter­schiede zwischen den Geschlechtern stan­den jedoch bisher nicht im Zentrum der Betrachtung. Dabei ist gerade Vermögen ein wesentlich umfassenderes Maß für den Wohlstand eines Individuums. Diese Studie, veröffentlicht von der Arbeiterkammer Wien7, zeigt, wie ungleich das Nettovermö­gen von Paarhaushalten verteilt ist. Frauen haben im Durchschnitt ein um 58.417 Euro geringeres Vermögen als ihre Partner, was 28 Prozent des gemeinsamen Haushaltsver­mögens ausmacht. Interessant ist, dass die Vermögensunterschiede im gemeinsamen Haushalt im reichsten Prozent am größten sind. Frauen verfügen dort nur über ein Viertel des gesamten Vermögens, während die Vermögensverteilung bei den ärmeren Haushalten in etwa ausgeglichen ist.

Die Studien legen nahe, dass vermehrte Anstrengungen auf der politischen Ebene nötig sind, die großen Unterschiede bei Einkommen-, vor allem aber beim Vermö­gen abzubauen. Noch besser wäre es, auf die Klassen zu verzichten.

1Die reichsten zehn Prozent

2http://www.statistik.at/web_de/statistiken/menschen_und_ gesellschaft/soziales/personen-einkommen/jaehrliche_per­sonen_einkommen/index.html

3Am oben angegeben Ort

4Pirmin Fessler, Peter Lindner, Martin Schürz (2019): Eurosys­tem Household Finance and Consumption Survey 2017. First results for Austria. Österreichische Nationalbank, Wien.

https://www.hfcs.at/dam/jcr:6c798d62-f16a-4fc7-8555-9df9042fc836/hfcs-2017-austria-first-results.pdf

5http://www.mlwerke.de/me/me25/me25_892.htm;

6Pirmin Fessler, Martin Schürz (2018): The functions of wealth: renters, owners and capitalists across Europe and the United States. ÖNB, working paper 223.https://www.oenb.at/ Publikationen/Volkswirtschaft/Working-Papers/2018/working-paper-223.html, S. 12.

7 Julia Groiß, Alyssa Schneebaum und Barbara Schuster (2017): Vermögensunterschiede nach Geschlecht in Österreich und Deutschland: Eine Analyse auf Personenebene. AK Wien. https://www.wu.ac.at/ineq/forschung/einkommen-und-ver­moegen/vermoegensunterschiede-nach-geschlecht-in-oes­terreich-und-deutschland/ ­­­­

Gelesen 10394 mal Letzte Änderung am Donnerstag, 21 März 2019 10:47
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