PAUL SCHEIBELHOFER im Gespräch mit HEIDE HAMMER über »hegemoniale Männlichkeit« und »patriarchale Gewalt«.
Vor wenigen Wochen wurde in Frankreich die »Ligue du LOL« öffentlich, eine ins Jahr 2009 zurückreichende Facebook-Gruppe junger, erfolgreicher Männer aus der Medienbranche. Sie bildeten eine Hetzmeute gegen aufstrebende Kolleginnen, verfolgten diese mitunter über Jahre mit diffamierenden Postings, Emails und Anrufen. Eineinhalb Jahre nach #metoo ist das Thema sexueller Gewalt medial omnipräsent und zugleich wird gerade in Österreich diese Gewalt vorwiegend rassistisch interpretiert und mit härteren Strafen entgegnet. Wie interpretierst du diese Phänomene?
PAUL SCHEIBELHOFER: Es gibt in der öffentlichen Diskussion über Gewalt gegen Frauen wiederkehrende Muster. Offensichtlich geht es dabei vor allem darum, das Bild einer guten und friedfertigen gesellschaftlichen Mitte zu erhalten. Gewalt wird hingegen im Außen lokalisiert, bei Migranten, Arbeitern, psychisch Kranken. Ein wichtiges Verdienst von #metoo ist es, diese Erzählung unterbrochen zu haben und den Fokus auf tatsächlich relevante Fragen rund um Männergewalt gegen Frauen gerichtet zu haben. Ein zentraler Aspekt sind dabei Machtungleichgewichte und Abhängigkeitsverhältnisse. So ist es kein Zufall, dass diese Übergriffe von oben nach unten stattgefunden haben, also von Vorgesetzten Männern an hierarchisch niedriger stehenden Frauen in der Filmindustrie, Kirche, im ÖSV oder EU-Parlament. Strukturelle Ungleichheit und Hierarchien sind zentral für Männergewalt an Frauen. Zudem weisen die aufgedeckten Übergriffe auf eine Verbindung von Sexualität und männlichem Entitlement hin. Mit Entitlement meine ich das Gefühl, einen Anspruch auf mehr zu haben, mehr Aufmerksamkeit, Entscheidungsmacht, Geld, etc. Dieses Entitlement ist ein Bestandteil von dominanter Männlichkeit und in den #metoo Fällen zeigte sich, dass die Männer offensichtlich auch einen Anspruch auf weibliche Körper und Sexualität geltend gemacht haben.
Wie werden Frauen in diese männliche Herrschaft eingebunden?
PAUL SCHEIBELHOFER: Patriarchale Verhältnisse sind keine reinen Gewaltverhältnisse, auch wenn ihnen Gewalt inhärent ist. Aber auch in einem System männlicher Herrschaft bzw. »hegemonialer Männlichkeit« gibt es Angebote an Frauen und Belohnungen für jene, die sie annehmen. Etwa das Angebot, sich als das empathische Geschlecht zu verstehen, das wie geschaffen ist für die Sorge um Kinder, Partner und Alte und diese Arbeit aus Liebe verrichten soll. Die Geschichte der feministischen Kämpfe kann auch gesehen werden als Geschichte des Widerstands gegen die engen Rahmen, die diese Angebote stecken. Mit jedem feministischen Erfolg sind diese Rahmen ausgeweitet worden und musste sich auch Männlichkeit verändern.
Manches kommt uns heute noch reichlich bekannt vor, der Männerbund von »Ligue du LOL« aus eher links-liberalen Kreisen bis zum konservativen Cartellverband und den rechtsextremen Burschenschaften.
PAUL SCHEIBELHOFER: Für die Reproduktion patriarchaler Männlichkeit sind Männerbünde zentral. Sie begegnen Männern schon in jungen Jahren als Bubenfreundschaften und begleiten sie ein Leben lang. In der Jugend spielen sie eine wichtige Rolle für die Inkorporierung von Männlichkeitsnormen, da wird »richtige Männlichkeit« gemeinsam eingeübt und dargestellt. Später sind Männerbünde strategische Netzwerke, in denen Information und Ressourcen ausgetauscht werden und man sich gegenseitig fördert. Sie sind aber auch oft geprägt von großer Nähe zwischen den Mitgliedern und Loyalität gegenüber der Gruppe. Gestützt ist das nicht selten durch gemeinsame Geheimnisse, die die Mitglieder von der Außenwelt abheben und durch die sie einander auch ausgeliefert sind, wie wird das etwa bei Mafia, Burschenschaften oder oftmals der Polizei sehen.
Gleichzeitig dringen Frauen zunehmend in früher rein männliche Domänen ein und Männerbünde reagieren darauf. Manche lösen sich auf, andere verändern ihre Form bzw. agieren im Hintergrund und können so trotz Quotenregelungen weiter Macht ausüben. Die Männer der »Ligue du LOL« bildeten so einen Männerbund im Kampf gegen Frauen. Junge, gut etablierte Medienmänner, die sich verbanden, um Frauen, die ihnen als Konkurrenz erschienen, zu zerstören und sie mundtot zu machen. Auch hier zeigt sich also: Männerbünde existieren auch heute und bilden weiterhin das Rückgrat des Patriarchats. Aber es geht ihnen vielerorts an den Kragen und ihre ungestörte Reproduktion wird immer schwerer möglich.
Was hältst du von neuen Begriffskombinationen wie »toxische Männlichkeit«?
PAUL SCHEIBELHOFER: Die #metoo Debatten haben den Begriff breit bekannt gemacht. Das ist einerseits positiv, da dadurch Männlichkeit den Status des Unmarkierten verliert und kritisch in den Blick genommen wird. Andererseits verleitet die Zuschreibung »toxisch« zu Individualisierungen. Als ob das Problem lediglich das toxische Verhalten einzelner unguter, unsympathischer, sichtbar gewaltvoller Männer wäre. Aus dem Blick geraten können dabei die gesellschaftlichen Strukturen, die männliche Herrschaft reproduzieren, insbesondere dort, wo sie einen sympathischen, bürgerlichen Schein vermitteln.
Das »Toxische« verweist wiederum auf die Frage der Gewalt. Auch in Formen der Gewaltanwendung muss man sich einüben, nicht nur gegen Frauen, sondern auch gegen andere Männer und sich selbst. Was können wir dem entgegenhalten?
PAUL SCHEIBELHOFER: Männliche Herrschaft reproduziert sich sowohl auf der Ebene gesellschaftlicher Strukturen als auch in persönlichen Fragen von Identität und sozialen Beziehungen. Um männliche Herrschaft zu überwinden, muss auch auf diesen unterschiedlichen Ebenen angesetzt werden. Es geht darum, die Selbstverständlichkeiten dominanter Männlichkeit zu verlernen und andere Lebensentwürfe zu entwickeln. Neben anderem kann kritische Buben- und Männerarbeit hier bestimmt einiges bewirken. Es braucht aber auch einen Abbau der Strukturen, die Geschlechterungleichheit befördern sowie eine allgemeine Demokratisierung gesellschaftlicher Institutionen. Um Hierarchien abzubauen und die Bedingungen für das Entstehen von Männerbünden zu erschweren.
Ohne Ablehnung hierarchischer Verhältnisse kommen zwar mehr Frauen in Führungspositionen, sie werden dort aber kaum mehr Lust an egalitären Beziehungen entwickeln.
PAUL SCHEIBELHOFER: Frauen, die in männerbündischen Organisationen reüssieren wollen, müssen dafür oftmals one of the boys werden. Sie eignen sich jene männlichen Eigenschaften an, die in dem Feld positiv konnotiert sind, statt die Spielregeln zu ändern. Während das Geschlecht der Männer unsichtbar bleibt, müssen diese Frauen darauf achten, nicht auf ihr »unpassendes« weibliches Geschlecht zurückgeworfen zu werden.
Das beantwortet auch die immer wieder gestellte Frage, warum so wenige Frauen andere Frauen fördern.
PAUL SCHEIBELHOFER: Genau. Während es für männliche Führungskräfte in männerbündischen Organisationen kein Problem darstellt, sich mit Männern zu umgeben, kann Frauen, die weibliche Mitarbeiterinnen fördern, schnell nachgesagt werden, dass sie ohnehin nur Frauenförderung betreiben, statt auf Qualität zu achten. Für Frauen ist es also riskanter, Personen des eigenen Geschlechts zu fördern. Um die Spielregeln solcher Organisationen zu ändern, braucht es also auch Veränderungen auf struktureller Ebene, die nur kollektiv erreicht werden.
Paul Scheibelhofer arbeitet am Institut für Erziehungswissenschaft der Universität Innsbruck und beschäftigt sich dort mit Fragen von Geschlecht, Sexualität, Migration und Rassismus.