Schwangerschaftsabbrüche sind in Österreich ein Tabu, das sich verschärft. Die meisten Menschen sind überzeugt, dass Abtreibungen ohnehin legal sind, dass frau problemlos zur Ärztin oder ins Spital gehen kann. Dass dem so nicht ist, beschreibt MIRIAM GERTZ.
Die Erkenntnis, dass sichere Rahmenbedingungen für Abtreibungen eine gesundheitspolitische Notwendigkeit darstellen, hat sich dank feministischer Kämpfe durchgesetzt. Umfragen zufolge stimmt auch seit Jahrzehnten eine Mehrheit der österreichischen Bevölkerung für die Fristenregelung1. Auch realpolitisch orientierte Katholik_innen teilen diese Überzeugung. Es ist schließlich nicht allzu lange her, dass in Österreich ungewollt Schwangere auf dem nicht nur sprichwörtlichen Küchentisch verblutet sind. Aber die Einsicht, dass unvermeidbare Abtreibungen sicher durchgeführt werden können müssen, bedeutet noch nicht, dass ungewollt Schwangeren tatsächlich vertraut wird. Vertraut werden sollte ihnen darin, selbst darüber entscheiden zu können, ob das Austragen einer Schwangerschaft zu diesem Zeitpunkt richtig oder absolut unpassend wäre; #trustwomen sollte als kompetente biographische Entscheidung wertgeschätzt werden. Dafür braucht es jedoch nicht nur sicheren Zugang zu Abtreibung, sondern auch den Kampf für eine egalitäre Gesellschaft, in der Frauen sich ohne ökonomische Zwänge oder patriarchale Gewalt tatsächlich selbstbestimmt entscheiden können.
Die konkrete Versorgungslage
Obwohl Schwangerschaftsabbrüche im Rahmen der Fristen- und Indikationenregelung in Österreich straffrei sind und es – anders als in Deutschland – kein Informationsverbot für die durchführenden Ärzt_innen gibt, sind Versorgungslage und Transparenz unzureichend. Das liegt neben der erlaubten Verweigerung aus Gewissensgründen an fehlenden Durchführungsbestimmungen, sodass betroffene Frauen keinen Anspruch auf die tatsächliche Durchführung eines – insbesondere wohnortnahen – Abbruchs haben2. Politisch wäre es durchaus möglich, jede gynäkologische Abteilung eines öffentlichen Spitals dazu zu verpflichten.
Die Verhältnisse sind vor allem außerhalb Wiens prekär und weisen eine große klassenspezifische Zugangsungerechtigkeit auf. In Wien können Frauen je nach Einkommen sich einen schnellen Termin in einem Ambulatorium mit Methodenwahl leisten oder müssen auf einen der wenigen Plätze in einem öffentlichen Spital hoffen. Im zweiten Fall sind sie den verschärften Bedingungen ausgesetzt, dass derzeit nur zwei öffentliche Spitäler des Krankenanstaltenverbundes (KAV) regulär Termine für Schwangerschaftsabbrüche bereitstellen – die Semmelweis Frauenklinik und das Wilhelminenspital. Im Hanusch-Krankenhaus und in der Krankenanstalt Rudolfstiftung werden ebenfalls ab und zu Schwangerschaftsabbrüche gemäß § 97 gemacht, jedoch ohne öffentliche Terminvergabe und völlig intransparent.
Die Spitäler haben die Möglichkeit, intern selbst festzulegen, bis zu welcher (legalen) Frist sie den Abbruch vornehmen, sodass die Grenze in der Semmelweisklinik auf das Ende der zehnten Schwangerschaftswoche (SSW) statt auf drei Monate nach Einnistung gelegt wurde. Im Wilhelminenspital werden die Eingriffe bis zur zwölften SSW durchgeführt. Bei einer durchschnittlichen Wartezeit von vier Wochen (manchmal auch sechs!) muss das Wissen über die ungewollte Schwangerschaft und die Entscheidung zum Abbruch demnach sehr früh feststehen, um noch einen Termin in einem öffentlichen Spital in Wien zu bekommen. Zusätzlich erschwerend müssen die Frauen, obwohl das gesetzlich nicht vorgeschrieben ist, vor Anmeldung erst einen Schein aus der Familienplanungsberatung bekommen, auf deren offene Sprechzeiten teilweise mehrere Tage gewartet werden muss.
Auf der Homepage des Wiener KAV geht nicht klar hervor, in welchen Spitälern zu welchen Bedingungen Abbrüche durchgeführt werden – jede ungewollt Schwangere muss aufwändig recherchieren; Informationen werden hauptsächlich im obligatorischen Beratungsgespräch in der Familienplanungsstelle weitergegeben3. Wenige Ärzt_innen außerhalb der Spitäler führen außerdem Abtreibungen zu Sozialpreisen durch. In Wien sowie auch in anderen Bundesländern ist es immerhin mit bürokratischem Aufwand möglich, dass bei geringen finanziellen Einkünften die Kosten der gynäkologischen Behandlung einmalig (!) vom Sozialamt übernommen werden.
In den anderen Bundesländern ist die Versorgungslage sehr viel schlechter; viele Frauen müssen deshalb weite Strecken fahren oder in privaten Ordinationen enorme Summen zahlen. In Salzburg setzte Landeshauptfrau Burgstaller 2005 geringe Kapazitäten für Schwangerschaftsabbrüche am LKH – die Ärzt_innen vor Ort verweigerten sich jedoch kollektiv, sodass bis heute der Wiener Gynäkologe Christian Fiala (Gynmed) am Wochenende nach Salzburg pendelt. Weitere öffentliche Spitäler, die Abbrüche im Rahmen der Fristenregelung durchführen, finden sich nur in Korneuburg und Linz. In Vorarlberg ist die Situation besonders gravierend – es gibt nur eine Ordination und die auch nur, weil ein deutscher Frauenarzt einen Zweitsitz in Bregenz eröffnete4.
Bedrohung durch Schwarz-Blau und fundamentalistischen Aktivismus
Christlich-fundamentalistisch motivierte Gegner_innen des Rechts auf reproduktive und sexuelle Selbstbestimmung organisierten sich bereits, seit für die Legalisierung von Abtreibungen gekämpft wird. 1975 realisierte die der Bischofskonferenz nahestehende Aktion Leben ein Volksbegehren gegen die Einführung der Fristenregelung und erreichte damals 895.665 Stimmen. 2014 startete die »Aktion Leben« die Bürgerinitiative »Fakten helfen!« mit den Forderungen, die statistische Erfassung und Meldung von Schwangerschaftsabbrüchen für Ärzt_innen gesetzlich vorzuschreiben und regelmäßig die Gründe für Abtreibungen zu erforschen.Unter Schwarz-Blau II bekommen die Anti-Choice-Aktivist_innen nun kräftigen Rückenwind wie nie zuvor seit Inkrafttreten der Fristenlösung. Das Regierungsprogramm enthält einige Hinweise auf geplante Verschärfungen:
Im Kapitel »Justiz« steht, dass geplante Maßnahmen Reformen im Strafrecht und dort u.a. die stärkere Gewichtung von negativen Auswirkungen »von Straftaten auf das Leben« betreffen sollen. Im Kapitel »Frauen« steht u. a., dass »Unterstützungsleistungen für Schwangere in Konflikt- oder Notsituationen durch Geld-, Sach- und Beratungsleistungen« forciert werden sollen. So wünschenswert eine tatkräftige Unterstützung von gewollt Schwangeren in materiellen Notsituationen ist, so sehr ist zu befürchten, dass es hier hauptsächlich darum geht, Schwangere zu motivieren, sich im Konfliktfall nicht für einen Abbruch, sondern für das Austragen der Schwangerschaft zu entscheiden. Der Verweis auf die Forcierung von Beratungsangeboten deutet darauf hin, dass eine verpflichtende Beratung mit gesetzlich verankerter Bedenkzeit wie in Deutschland angestrebt wird und die Beratung im Sinne des sogenannten »Schutzes des Ungeborenen« ausgerichtet sein soll. Denn Frauengesundheitszentren und sonstige psychosoziale Beratungsangebote, in denen freiwillig Klärungsgespräche im Konfliktfall in Anspruch genommen werden können, sind in Österreich bereits vorhanden – ihnen wurden jedoch zynischerweise Förderungen gekürzt. Weiterhin findet sich im Kapitel »Fairness und Gerechtigkeit« unter dem Punkt »Soziales und Konsumentenschutz« das Vorhaben, eine parlamentarische Enquete zum Thema der eugenischen Indikation und zur Verhinderung von Spätabtreibungen durchzuführen.
Politisch aktive Abtreibungsgegner_innen wollen nun das Thema geschickt in den Diskurs bekommen – denn für die Fristenregelung gibt es in der österreichischen Bevölkerung eine stabile Mehrheit und Frauen- bzw. Selbstbestimmungsrechte sind derzeit ein international viel diskutiertes und beachtetes Thema. An dieser Stelle kommt die im vorigen Jahr gestartete »Bürger_inneninitiative« #fairändern ins Spiel, die die Forderungen von »Fakten helfen!« aufgreift, aber um einiges darüber hinausgeht. Für die sehr professionell aufgezogene Kampagne wurden drei freundlich aussehende Frauen als repräsentative Gesichter gewählt. Das passt zur Tendenz der sogenannten »Lebensschutzbewegung«, junge Menschen und Frauen in den Vordergrund zu stellen und nach Möglichkeit – u.a. durch die Instrumentalisierung von Menschen mit Behinderungen – auf die Tränendrüse zu drücken. Impliziert wird, dass es nicht um patriarchale Einschränkungen im Recht auf Selbstbestimmung geht, sondern dass nächstenliebende Frauen sich für faire Bedingungen für Frauen bzw. werdende Mütter und ihre (behinderten) Kinder einsetzen wollen. Vorsitzende ist Carina Eder, die als Sprecherin der »Jugend für das Leben« auch in Salzburg schon den »Widerstand« gegen die Gynmed-Ambulanz anführte. Die 1. stellvertretende Vorsitzende von #fairändern, Petra Plonner, ist ebenfalls in diversen christlich-fundamentalistischen Organisationen aktiv und Gründerin der evangelikalen LIFE Church in Leoben. Die 2. stellvertretende Vorsitze, Marie Louise Schütz, war Mitarbeiterin von Othmar Karas, der für die Volkspartei als Abgeordneter im Europaparlament sitzt und Mitglied verschiedener katholischer Männerbünde ist.
Instrumentalisierung von Menschen mit Behinderungen
Auf der Homepage von #fairändern wird schnell deutlich: Einen seriösen psychosozialen, medizinischen oder wissenschaftlichen Background hat keine_r der öffentlichen Initiator_innen und Unterstützter_innen; ihre »Kompetenz« liegt ausschließlich in religiösen Einstellungen, die in der staatlichen Gesetzgebung keine Rolle spielen sollten. Unterstützt wird die Initiative dabei u.a. von Abgeordneten der ÖVP und FPÖ sowie Vertretern der katholischen Kirche. Wie eine Recherche von fida zeigt, ist auch der Kartellverband (CV) als Unterstützer für die Kampagne nicht zu unterschätzen5. Aus den Regierungsparteien unterschrieben haben u.a. der Regierungskoordinator Norbert Hofer und der Familiensprecher des ÖVP-Klubs, Norbert Sieber. Letzterer hielt auch eine Rede beim »Marsch für das Leben« im November 2018 in Wien, wo er von der ebenfalls unterstützenden ÖVP-»Menschenrechts«sprecherin Gudrun Kugler begrüßt wurde. In seiner Rede freute er sich darüber, dass sich in der Politik etwas verändere und bereits »ein Paket« zum Thema verhandelt werde. Die Forderungen von #fairändern sind die Erhebung einer Statistik und Motivforschung zu Schwangerschaftsabbrüchen in Österreich, die Hinweispflicht auf Alternativen, eine verpflichtende Bedenkzeit und die Abschaffung der »eugenischen Indikation6«.
Eine Statistik wäre bei Kostenübernahme durch die Krankenkassen automatisch erreicht, realistische Zahlenschätzungen liegen außerdem bereits vor. Studien sowie Expert_innenwissen aus der Praxis zu den Ursachen ungewollter Schwangerschaften und den Motiven für die Entscheidung zur Abtreibung gibt es ebenfalls zur Genüge.
Das Thema der embryopathischen Indikation ist ein höchst komplexes, dessen problematische Aspekte unbedingt aus feministischer und anti-ableistischer7 Perspektive mit Fokus auf gesellschaftliche und medizinische Entwicklungen im Neoliberalismus diskutiert werden. Dem Thema sollte sich über Diskussion der Pränataldiagnostik, sensible und freiwillige Beratungsangebote, Unterstützung von Familien mit beeinträchtigten Kindern sowie gesamtgesellschaftliche Inklusion und nicht über das Strafrecht genähert werden. Zur Abschaffung der »eugenischen Indikation« ist auch im Regierungsprogramm die Abhaltung einer Enquete vorgesehen – dass hier tatsächlich angesetzt wird, ist also mehr als realistisch. Einfaches Spiel ohne Gegenwind werden ÖVP und FPÖ dabei jedoch nicht haben; dass der Petitionsausschuss die Bürgerinitiative #fairändern am 13.2.2019 vertagt hat und die Anträge der Opposition auf Stellungnahmen von Amnesty International und der Österreichischen Gesellschaft für Familienplanung angenommen wurden, ist ein sehr gutes Zeichen.
Nichtsdestotrotz machen einige hochkarätige Abgeordnete und auch die außerparlamentarische Rechte (wie die sog. »Identitären«) derzeit gegen das reproduktive Selbstbestimmungsrecht mobil, sodass Verschärfungen über die Schiene des »Schutzes von Kindern mit Behinderungen« und des »Schutzes von Frauen vor sich selbst« jedenfalls denkbar sind.
Was können wir tun?
Der Kampf für das Recht auf reproduktive Selbstbestimmung und eine emanzipatorische Debatte über die aktuelle Lage ist in Österreich dringend nötig! Als feministische Bewegung müssen wir erstens die politischen Entwicklungen im Blick haben, Verschlechterungen möglichst abwehren und notfalls direkt für Aufmerksamkeit und Widerstand sorgen. Und zweitens dürfen wir nicht vergessen, dass der Kampf nicht die Wahrung, sondern die Überwindung des Status Quo als Ziel hat, der ein einziger, suboptimaler Kompromiss ist. Dabei hilft es, im eigenen sozialen Umfeld persönlich und politisch über das Thema zu sprechen, vor manipulativen Homepages im Internet zu warnen und sich über Beratungsstellen zu informieren, bei Hashtag-Aktionen mitzumachen, zu Demos zu gehen, Aktionen zu organisieren, sich bei feministischen Organisationen nach Proteststrukturen zu erkundigen, wissenschaftlich zum Thema zu arbeiten u.v.m.. Es müssen jedenfalls das Tabu gebrochen, die prekäre Versorgungslage skandalisiert und die unter Schwarz-Blau sich abzeichnenden Rückschritte bekämpft werden. Gleichzeitig müssen wir Bündnisse schmieden und darüber aufklären und diskutieren, was zur Erreichung tatsächlicher Selbstbestimmung fehlt!
Die (Haupt-)Forderungen bleiben: Schwangerschaftsabbruch ist keine Straftat, sondern eine Gesundheitsleistung – darum RAUS AUS DEM STRAFGESETZBUCH! Verbesserung der Versorgungslage; Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen in jeder öffentlichen Krankenanstalt und Aufhebung der Gewissensklausel! Schluss mit der ideologisch motivierten Kapazitätenverknappung! Kostenübernahme durch alle Krankenkasse.