Das Geschäft mit dem Geschäft Michael Gruberbauer Orig. Foto: Seniju CC BY 2.0 / Flickr
20 Mai

Das Geschäft mit dem Geschäft

von

»Ein Geschäft, das nur Geld einbringt, ist ein schlechtes Geschäft.« (Henry Ford)

Diesen Satz würden jene Teile der Gesellschaft, die heute viel zu sagen haben, wohl nicht mehr unterschreiben. Längst ist das liebe Geld zur Maßeinheit von allem geworden – auch bei der Verwaltung des öffentlichen oder quasi-öffentlichen Raums. Die zunehmende Verschuldung der Städte und Kommunen lässt für alternative Wertmaßstäbe nur wenig Spielraum. So wird also jedes Projekt, sei es eine Ampelanlage oder ein neuer Krankenhausflügel, einer Kosten-Nutzen-Analyse unterworfen. Ausgesuchte ExpertInnen dürfen aus der unfassbaren Menge der großen und kleinen Konsequenzen, die jede Änderung unweigerlich mit sich bringt, einige wenige herauspicken und stolz verkünden: Der Nutzen – natürlich in Geld ausgedrückt – übersteigt die Kosten!

Auch bei den Wiener Linien ist man sicher davon überzeugt, dass der Nutzen für die kürzlich angekündigte »Privatisierung« der Öffi-Toiletten die angekündigten Kosten von fünf Millionen Euro übersteigt. Die grundsätzliche Argumentation des Öffi-Betreibers für die Umstellung auf extern gemanagte, kostenpflichtige WCs scheint verständlich: Zu viel Verschmutzung und zu viel Vandalismus würden in den rund 70 öffentlichen Klos dazu führen, dass viele von ihnen zeitweilig überhaupt nicht zur Verfügung stünden. Um den Fahrgästen die ständige Benutzung der WCs zu ermöglichen, beabsichtigt man nun, den Zutritt nun nur noch jenen zu gewähren, die dafür etwas Kleingeld (50 Cent) lockermachen. Dafür müsste man zwar fast die Hälfte der Klo-Standorte zusperren, die restlichen etwa 40 Toiletten würden aber modernisiert. Die Fahrgäste, die mehrere Euro für ihr Ticket oder 365 Euro für die Jahreskarte bezahlt haben und sich zufällig an einem der 40 Standorte wiederfinden, können sich also auf Anlagen freuen, die den höchsten Stuhlgangansprüchen genügen.

Im Trend

Schon die ÖBB haben vor etwa zehn Jahren damit begonnen, auf Bezahl-Klos umzustellen. Seit 2013 dürfen auch Raststätten an österreichischen Autobahnen Geld für die dringende Erleichterung verlangen. Aber es geht nicht nur um die Frage, ob bezahlt werden muss oder nicht: Die Stadt Wien lagert ebenfalls immer mehr der öffentlichen Toiletten, in denen auch schon bisher bezahlt werden musste, an private BetreiberInnen (hauptsächlich umliegende Gastronomiebetriebe, z. B. McDonald's) aus. Public-private-Partnership heißt das. Man liegt also bei den Wiener Linien im Trend – ja, man ist sogar Musterschülerin –, wenn man nun Verwaltung und Betrieb der U-Bahn-WCs europaweit ausschreiben wird, damit ein profitorientiertes Unternehmen in Zukunft Geld mit dem menschlichen Grundbedürfnis machen kann.

Dass das eigentlich lange Zeit ganz gut funktioniert haben muss mit den Gratis-Toiletten bei den Wiener Linien, das macht natürlich trotzdem stutzig. Stellt sich also die Frage, was sich denn verändert hat in den Köpfen der Menschen, dass sie nun nicht mehr fähig sind, ein öffentlich zugängliches WC angemessen zu benutzen. Sind wir in den letzten Jahrzehnten kollektiv zu beschädigungswütigen RandaliererInnen geworden? Wohl kaum. Ein bisschen egoistischer vielleicht? Wahrscheinlich. Dass es hier in Wirklichkeit aber nicht um anonyme Schuldzuweisungen gegen die Gesamtheit der BenutzerInnen geht, liegt auf der Hand. Unausgesprochener Kern der Problematik ist der »Missbrauch« durch jene, die sonst keinen Rückzugsort (mehr) finden, die quasi durch ihre bloße Anwesenheit nicht nur die Toilette sondern auch den Raum selbst »verschmutzen«.

Öffentlicher Werberaum

Es geht heute – ob bewusst oder unbewusst – bei der Kontrolle des öffentlichen Raums nämlich um sein immer dominanteres Nutzungskonzept: Menschen, die sich aus ihren eigenen vier Wänden wagen und über ausreichend Einkommen verfügen, sind heute nicht nur Menschen, sondern immer und überall potenzielle KundInnen. Du bist nicht nur Fahrgast, sondern Teil einer Zielgruppe, empfänglich für Werbung aller Art, vielleicht sogar Tourist. Das lässt sich zu Geld machen: Einnahmen durch Werbeflächen und ein besseres Image durch vordere Plätze auf internationalen Rankings für die Lebensqualität. Da hilft nur eine makellose Präsentation und Zielgruppenfokussierung. Es zählt nicht, wie Menschen in diesen Räumen leben, sondern welche. Denn jene, die weder über vier Wände noch über Kaufkraft verfügen, fallen in der Bilanzrechnung höchstens negativ auf.

Die zunehmenden Probleme mit Armut und Drogenmissbrauch, die so gar nicht zum Image der modernen Stadt bzw. des modernen Kapitalismus passen wollen, werden im besten Fall in eigens geschaffenen Bereichen und Service-Gebäuden bearbeitet. Im schlechtesten Fall werden sie als pathologische Verhaltensfehler einzelner dargestellt, deren Ursprünge rätselhaft bleiben müssen. In beiden Fällen werden sie fein säuberlich in das Unterbewusstsein der Gesellschaft verdrängt. Letzte Konsequenz: Der öffentliche Raum wird überwacht, kostenpflichtig oder abgeschlossen – jedenfalls für nicht wünschenswerte BesucherInnen unzugänglich gemacht. Und das darf man sich schon was kosten lassen.

Neoliberale Logik

Das alles nun empört den Verantwortlichen der Wiener Linien vorzuwerfen, wäre aber vermessen. Es zählt nun einmal die Bilanz und die »Kostenwahrheit«. Eines der – bei allen Problemen – weltweit besten Öffi-Netze weiterhin zum Interesse aller zu betreiben, lässt sich unter dem Druck der vorherrschenden neoliberalen Logik nur schwer realisieren. Deshalb wird man in den großen U-Bahn-Stationen auch von Kopf bis Fuß mit Werbung bestrahlt, deshalb wirbt die nächste einfahrende Garnitur auf ihrer ganzen Länge auch für Bier. Deshalb dürfen zig Exemplare der werbefinanzierten »Heute« auch alle paar Meter zur Gratis-Entnahme angeboten werden, um dann wenige Stunden später als verschwendetes Altpapier den Boden der gesamten Station zu verschmutzen. (Hier ist die allgemeine Verschmutzung und der Vandalismus der abgedruckten Botschaften komischerweise kein Problem …). Alle stehen unter dem Druck, mehr einzunehmen und weniger auszugeben, auch wenn der quasi-öffentliche Raum darunter leidet.

Das Perfide: Private Unternehmen profitieren davon, indem Sie angeblich günstigere Lösungen für jene Probleme der Öffentlichkeit anbieten, die das durch sie vertretene System selbst erzeugt hat und weiter erzeugt. Zur Erinnerung: Public-private-Partnership heißt das. Profitieren wird auch jenes Unternehmen, das spätestens ab 2020 die Betreuung der bald kostenpflichtigen U-Bahn-Toiletten für die Wiener Linien übernehmen darf. Dort wird man Henry Ford natürlich auch nicht zustimmen, weil es unterm Strich ja doch nur ums Geld geht. Denn immerhin macht man bald gutes Geschäft mit dem Geschäft der Menschen, auch wenn in Zukunft nicht mehr jeder Mensch, der die U-Bahn-Stationen betritt, Mensch sein darf.

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