Eine Reportage über das Kurzwellen sende zentrum Moosbrunn von Barbara Eder
Ernst Spitzbart sitzt an seinem Schreibtisch im Kontrollraum des Kurzwellen-sendezentrums Moosbrunn. Der Minutenzeiger auf einem der verglasten Ziffernblätter oberhalb der Weltkarte steht kurz vor Beginn der nächsten Runde, fünf weitere Uhren zeigen Ortszeiten anderer Erdteile an: Los Angeles • Buenos Aires • New Dehli • Tokio • Wellington. Die leicht vergrößerte Scheibe mit aktueller UTC-Anzeige hängt inmitten, die Weltzeit ist vor Ort entscheidend. Um Punkt zwölf Uhr wird sich die logarithmisch-periodische Hyperbolantenne am Feld vor dem Sendegebäude automatisch um fünf Grad nach Osten neigen, das Radioprogramm dann von Moosbrunn bis in die Ukraine zu empfangen sein. Die numerischen Informationen in den gelben Kästchen am Computermonitor indizieren die zeitgesteuerten Veränderungen; nicht alle der vier betriebsfertigen Sender sind heute noch aktiv, zwei davon stehen schon seit Jahren auf Standby.
Im Dezember 1959 begann im niederösterreichischen Moosbrunn der regel -mäßige Sendebetrieb, von einer provisorisch errichteten Baracke aus übertrugen fünf ehemalige U-Boot-Sender erste Versuchssendungen. Der Ausbau der Station hatte eben erst begonnen: Im September 1960 konnte die erste Rundstrahl-Vertikalreusenantenne in Betrieb genommen werden, ein Jahr später kam eine rhombenförmige Richtantenne mit Abstrahlrichtung gen Übersee hinzu. Das Sendegebäude existiert seit Mitte der Sechzigerjahre, Nachrichtentechniker des Österreichischen Rundfunks steuerten von dort aus die ersten beiden 100-Kilowattsender nebst umgerüsteten 50-Kilowattsender aus dem Provisorium. In den Achtzigerjahren veränderte sich die technische Ausrüstung nochmals grundlegend: Neue Antennen, darunter eine Drehstandantenne, eine Doppelwandantenne und eine Quadrantenantenne sorgten für notwendige Erweiterungen, 1983 folgte der erste »Telefunken«-Sender, 1987 ein weiterer. Seit Beginn dieses Jahr-hunderts ersetzen zwei auch für digitale Übertragungen geeignete »Thomcast«-Sender die alten Steuersender, eine Abkehr von der Kurzwelle zeichnet sich ab.
Mehr als ein halbes Jahrhundert wurde von hier aus das Auslandshörfunk -programm des ORF übertragen, heute sind die Kunden des Senders meist Kirchen. Radio Vatikan und die Sieben-Tages-Adventisten lassen ihre Gottesdienste von Moosbrunn aus in die Welt entsenden, ihr zah-lungsbereites Interesse hat die Existenz der Station, die schon seit Jahren eingestellt werden sollte, gerettet. Jahre des Aufbruchs gingen voraus: Bis 1976 arbeitete vor Ort eine eigene ORF-Redaktion, ihre akustische Kennung war mit den ersten Takten des Donauwalzers unterlegt; rund zehn Jahre später nannte sich das vormalige »Austrian Short Wave Service« »Radio Österreich International«, neben Deutsch, Englisch, Französisch und Spanisch zählten zuletzt auch Esperanto und Arabisch zu den offiziellen Sendersprachen. Empfangen werden konnten die Weltnachrichten aus Niederösterreich anfangs nur auf Kurzwelle, dann auch per Satellit und Kabel. Mitte der Neunzigerjahre kam das Hörfunk-Übertragungssystem »Astra Digital Radio« hinzu, zu Beginn dieses Jahrhunderts »Digital Radio Mondiale«; am schmalen Band von DRM ist seither das »BBC World Service« zu hören.
Feuchtgebiete wie das in Moosbrunn begünstigen die Ausbreitung von Kurzwellen, der Boden, auf dem Sender und Antennen stehen, ist deklariertes Naturschutzgebiet. Für Ernst Spitzbart, den Naturfreund, sind Ökologie und Radiowelle nicht unvereinbar, einem nur vermeintlichen Widerspruch begegnet er jeden Tag: Neben den meterhohen Masten der Quadrantenantennen kompostiert ein Biobauer sein Feld. Einer lokalen Bürgerinitiative, die eine Studie zu möglichen gesundheitsschädigenden Folgen des Senders beim Universitätsinstitut für Umwelthygiene in Auftrag gab, entgegnete Spitzbart stets mit rationalen Argumenten. Im Garten seines Arbeitsplatzes blühen stolze Riesen aus Stahl, umgeben von Tagfaltern und Zwerglibellen; sie sind Teil des Ökosystems einer der leistungsstärksten Kurzwellensendeanlagen Europas.
Radio Österreich International am Ende?
Seit 1981 hält Ernst Spitzbart vor Ort die Stellung, währenddessen hat er nicht nur technische Veränderungen erlebt. Im März 2003 wurde »Radio Österreich International« offiziell eingestellt, im Dezember 2004 gliederte der ORF-Konzern die Sendetechnik aus; angestellt ist Spitzbart seither bei der Österreichischen Rundfunksender GmbH & Co KG, anteilig gehört sie zur Raiffeisen-Holding. 2009 wurde erneut bei der Kurzwelle eingespart, die Europa- Frequenz seither nur mehr stundenweise bespielt. Ernst Spitzbart ist es dennoch gelungen, die Anlage in Moosbrunn aufrechtzuerhalten. Der lau-fende Betrieb wird gegen Entgelt von Fremdprogrammen finanziert, gesichert hat sich der Nachrichtentechniker damit auch seinen eigenen Arbeitsplatz. Ernst Spitzbarts Pensions antritt steht nun unmittelbar bevor, die Zukunft des Sendezentrums besorgt ihn. »Radio Österreich International« sei auch für ihn eine Art Zuhause gewesen, übermittelt aus dem Landesstudio des zehnten Bundeslandes. Es liegt auf keiner Karte und ist doch ein eigener Kontinent für sich – bewohnt von Exilierten und Emigrant:in nen, die ihrem Herkunftsland auch in der Ferne nah sein wollten. Sie zu informieren, sei mehr als nur ein Auftrag gewesen, mit Reichweite und Sendeleistung hat diese Ethik viel zu tun. Die Techniker in Moosbrunn hatten dahingehend neue Maßstäbe gesetzt: Mitte der Neunzigerjahre war »Radio Österreich International« am 49-Meter-Band auf 6.155 Kilohertz europaweit ganze neunzehn Stunden täglich zu hören, dank Unterstützung durch ein Relais von »Radio Canada International« in Nord- und Mittelamerika bis zu drei Stunden; in Afrika betrug die Sendezeit noch um eine Stunde mehr, am 31-Meter-Band des Nahen Ostens mit Pausen sogar ganze acht Stunden. »Radio Österreich International« strahlte aus in weit entfernte Erdteile, nach Weltzeit getaktet. Für die Dauer des jeweiligen Zeitfensters waren die Antennen der Abstrahlrichtung entlang ausgerichtet.
In den Siebzigerjahren produzierte die ORF-Kurzwellenredaktion in Moosbrunn eigene Sendungen für die Friedenstruppen auf den Golanhöhen, mehrmals täglich gingen die Nachrichten des »Österreich-Journal« um die Welt; bis 1998 war Paul Lendvai Intendant des Kurzwellensenders, für seine kritischen Berichterstattungen zum politischen Geschehen in der zweiten »Heimat« über alle Landesgrenzen hinweg bekannt und berüchtigt – nicht anders als Alfons Dalma ließ auch er an der ersten »Heimat« jedoch kein gutes Haar. Heute kommen Ö1-Mittags- und Abendjournal je ein Mal pro Tag über Koaxialkabel vom Küniglberg, die vielen Sprachen von »Radio Österreich International« sind längst verstummt. Die Esperanto-Sendungen im Kurzwellenprogramm seien besonders beliebt gewesen, erinnert sich Ernst Spitzbart und zeigt auf eine in die Jahre gekommene Pinnwand mit Hörer:innen-Zuschriften. Die Adressen der Absender reichen von Kuba bis nach Papua Neu Guinea, daneben eine Empfangsbestätigung des Senders mit einem Motiv von Rudolf Hausner – eine QSL-Grußkarte für die Funker:innen und Kurzwellenhörer:innen, als Dank für ihre Sendeberichte. »Ob Europa oder Übersee – immer ihr Begleiter«, steht auf einer Metalltafel mit eingestanztem ORF-Oval, darunter eine Weltkarte mit Sendesignal, das sich punktförmig entlang der Längengrade ausdehnt. Sie wirkt wie eine surreale Skizze jener Wege, die Adam abschreitet. In Rudolf Hausners Bild ist er der erste Mensch, der für alle steht. Er entwickelt sich, weil er durch Welten wandert.
Barbara Eder ist freie Autorin und Redakteurin der Tageszeitung junge Welt.